Buchstaben. Und Wasser.
Veröffentlicht: 20. Juli 2025 Abgelegt unter: #uskschwerin, Allgemein, Urban Sketching | Tags: Café, Dom, Schwerin Hinterlasse einen KommentarAm Samstag waren die Schweriner Urban Sketchers auf „Typo-Safari“, auf der Jagd nach Beschriftungen, Graffiti, Logos und was man sonst noch aus Buchstaben im öffentlichen Raum machen kann.

Der Ausgangspunkt war ein vertrauter Ort, ein stadtbekanntes Schweriner Café, dessen drei Filialen erst einmal zur Verwirrung über den Treffpunkt sorgten. Es war ein makelloser Moment, an einem Sommervormittag, noch bevor es schwül wurde, dort an einem Tischchen im Schatten sitzen zu dürfen. Ich machte es mir bequem, zeichnete erst nach der einen Seite das Schild einer Buchhandlung, dann nach der anderen das des Cafés – bis mein Blick auf die Mineralwasserflasche vor mir auf dem Tisch fiel. Die Schrift auf der blauen Flasche sprach mich sehr an, wurde beim Abzeichnen Buchstabe für Buchstabe immer schöner. (Leider habe ich die Feinheiten von Proportion und Gestalt bei der Wiedergabe eher verhunzt.) Wirklich: als ich zu Hause nachlas, stellte ich fest, dass es für die Gestaltung der Flasche einen renommierten Designpreis gegeben hatte.
(Und, nein, eine solche blaue Edelwasserflasche zählt nicht zu den Grundbedürfnissen; sie per Verbrennungsmotor aus Italien über die Alpen nach Schwerin zu transportieren, ist eher sittenwidrig als notwendig – auch darüber zu meditieren, war Zeit und Gelegenheit, während ich mich dem edlen Schriftzug widmete …)
Die zweite Etappe führte mich in den Dom. Hier gibt es Schriftzüge in Hülle und Fülle und aus den verschiedensten Jahrhunderten; ich entschied mich für das Schriftband auf dem bronzenen Taufbecken.

Die etwa fünf Zentimeter hohen Buchstaben sind in einem rauen Bronzeguss gefertigt. Es handelt sich um ein Zitat aus dem Alten Testament, dem 47.Kapitel des Prophetenbuchs Ezechiel (Hesekiel), in dem ein heilsamer Wasserstrom beschrieben wird. Die Christen bezogen diese Stelle aus der hebräischen Bibel später auf die Taufe. Ich war froh, den Text nachlesen zu können, denn die Umsetzung des lateinischen Textes in Bronze war unbeholfen – ohne Worttrennung (bzw. mit Trennungen an den falschen Stellen), dafür mit seltsamen Verbindungen zwischen einzelnen Buchstaben – beim Zeichnen kam mir der Gedanke, dass die Bronzegießer vielleicht Analphabeten waren und etwas umgesetzt hatten, was sie nicht verstanden.
Roskilde im Regen (und danach)
Veröffentlicht: 26. Mai 2024 Abgelegt unter: Allgemein, Schwerin - Kopenhagen 2024 | Tags: Dänemark, Dom, Mittelalter Hinterlasse einen KommentarRoskilde ist vielen durch sein Rockfestival bekannt. Mein Ziel war der Dom, Grablege aller dänischen Könige und Königinnen seit dem Mittelalter. Schon auf dem Weg dorthin hatte es zu regnen begonnen, der erste Regen der Tour, zeitweilig goss es in Strömen – das ideale Wetter, um mir Zeit zu nehmen.
Und die konnte ich gut gebrauchen. Ich habe selten einen Ort erlebt, an dem der Geist verschiedene Epochen sich auf solche Weise vereint. Ich saß lange einfach da und nahm die Atmosphäre einer langen Geschichte in mich auf, bevor ich anfing herumzugehen und mir die Altäre, Sarkophage und Grabkapellen anzusehen.
Zum Zeichnen entschied ich mich für das Grab der Königin Margarethe I., einer starken und machtbewussten Frau. Während ihrer Lebenszeit – und noch lange darauf – war im dänischen Königtum keine weibliche Erbfolge vorgesehen; regierende Königin war sie nach dem Tod ihres Mannes nur in Norwegen und Schweden. Das hinderte sie nicht daran, als Vormund ihres minderjährigen Sohnes und auch nach dessen frühem Tod die Macht in ihren Händen zu behalten.
Nachdem sie 56-jährig an der Pest gestorben war, wurde sie zunächst, ihrem Wunsch entsprechend, in einem Kloster begraben. Bald darauf überführte man den Leichnam auf das Betreiben des dortigen Bischofs nach Roskilde; dessen Kalkül ging auf, der Dom gewann an Bedeutung und wurde zur regulären Grablege des dänischen Königshauses und weiterer bedeutender Familien.

Der Sarkophag ist ein spätgotisches Kunstwerk von hohem Rang, aus schwarzem Marmor und Alabaster gefertigt; die Statue zeigt die Königin in einer seltsamen Mischung aus Stehen und Liegen, mit geschlossenen Augen unter der für diese Zeit typischen Mauerkrone.
Am nächsten Morgen hatte sich der Regen verzogen. Unter zunehmend lichter werdendem Himmel widmete ich mich lebendiger mittelalterlicher Geschichte. Um das Jahr 1000 herum hatte man im flachen Roskilde-Fjord mit Steinen beschwerte Schiffe versenkt und damit eine Barriere gegen den Angriff feindlicher Flotten geschaffen. Der Fund dieser Schiffswracks führte ab 1960 zum Bau des Wikingerschiffsmuseums.

Heute kann man hier nicht nur die restaurierten Schiffsfunde bewundern, sondern auch diverse Workshops in historischen Handwerkstechniken besuchen, ein echtes Mitmachmuseum, in dem nicht nur Kinder leuchtende Augen bekommen.
Am Weg
Veröffentlicht: 18. Mai 2024 Abgelegt unter: Allgemein, Reiseskizzen, Schwerin - Kopenhagen 2024, visuelles Tagebuch | Tags: Dänemark, Dom, Engel, Holstein, Kloster, Pilgerweg Ein KommentarAn den ersten Reisetagen war ich fleißig gewesen – hatte meine Zeichnungen nicht nur angefangen, sondern auch fertiggestellt und hier gezeigt. Bald ließ, wie jedes Jahr, der Eifer nach; die Augen fallen mir schon beim Abendbrot zu, der Akku muss noch ans Ladegerät und das T-Shirt gewaschen werden. Dazu kam der stetige Ostwind, der in den letzten Tagen schon mal Stärke 6 erreichte.
Einige kleine Bilder sind am Weg entstanden, und heute, am Ruhetag, war Gelegenheit, etwas davon fertigzustellen. Der schönste Abschnitt der ersten Woche war der Weg von den Holsteinischen Seen bis Oldenburg; die Landschaft kleinteilig, von Hecken gegliedert, die wenigen Dörfer wie frisch geschrubbt zwischen Flieder und Rhododendron.
In einem dieser Dörfer – Schönwalde am Bungsberg – machte ich eine längere Kirchenrast und fand dabei diesen Taufengel:

Das Schönste allerdings ließ sich nicht in einer schnellen Zeichnung einfangen: Die Kirche ist von einer neu gestalteten Parkanlage umgeben, die aus dem ehemaligen Pfarrgarten entwickelt wurde und das Kircheninnere nach außen erweitert mit Kreuzweg, Taufstein und Pflanzen in liturgischen Farben. Ich fand das Ensemble sehr gelungen.
Meine erste Station in Dänemark war das Städtchen Maribo auf der Insel Lolland. Dort gab es im Mittelalter ein Kloster des Birgittenordens; die ehemalige Klosterkirche ist heute eine Bischofskirche. Neben der Kirche entstand im Rahmen der Pilgerrenaissance der letzten Jahre eine „hyggelige“ kleine Herberge. Aus deren Dachfenster zeichnete ich den Blick auf den Kirchturm bei Sonnenuntergang.

Das Hinterland der Insel Lolland ist zum Teil weniger „hyggelig“: Wenig Menschen, viel Agrarsteppe und einiges an Leerstand und Verfall. In einer kleinen Parkanlage in Sakskøbing fiel mir ein Denkmal auf, das mich an ein Arbeiterstandbild aus den 60er Jahren denken ließ. Es stammt aber schon von 1940 und ist den polnischen Erntehelferinnen gewidmet, die vom Ende des 19.Jahrhunderts an im Zuckerrübenanbau der Region gearbeitet hatten.
Die so unerwartete Begegnung mit dem Denkmal beschäftigte mich noch lange – denken wir doch sonst selten darüber nach, welchen Anteil osteuropäische Arbeiterinnen und Arbeiter an der Entstehung unseres Wohlstandes hatten und haben.
Ratzeburg
Veröffentlicht: 10. Mai 2024 Abgelegt unter: Allgemein, Schwerin - Kopenhagen 2024 | Tags: Dom Hinterlasse einen KommentarDie Entfernung von Gadebusch nach Ratzeburg beträgt wenig mehr als zwanzig Kilometer, doch der Radweg machte fast das Doppelte daraus. Mal waren sich Wegweiser und App nicht einig, mal mäanderte der Radfernweg um die Bundesstraße herum. Dazu kam eine Wegführung über kurvige Schotterwege entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.
Die Raumordnung der Region ist bereits seit dem Mittelalter hochkomplex und kleinteilig mit ihren unterschiedlichen Zuständigkeiten zwischen Klerus und säkularer Macht, mit kleinen Herzogtümern und getauschten Gebieten. Der Weg erinnerte mich an die Vorjahresreise entlang der Werra; auch an die ersten Jahre kurz nach der Wende, in denen wir  in dieser Grenzregion auf Erkundung unterwegs gewesen waren. (Ist das Gefühl von Fremdheit noch da?) 

Die Zeichnung der Ratzeburger Dominsel entstand am nächsten Tag, an dem ich auf dem Weg nach Lübeck weniger Kilometer zu schaffen hatte. (Am Abend hatte mir meine App zum Tagesabschlussnnoch einen schwarzschlammigen Weg zu meinem Nachtquartier, einem Hotel in einer alten Wassermühle, gewiesen … )
Verden an der Aller
Veröffentlicht: 1. Juni 2023 Abgelegt unter: Reiseskizzen, Werra-Weser 2023 | Tags: Dom, Mittelweser, Romanik, Taufstein, Weserradweg Ein KommentarBald nachdem ich angefangen hatte meine Tour zu planen, wusste ich, dass sie in Verden enden sollte. Mit etwas Nachdruck hätte ich es bis Bremen schaffen können, doch wer will nach drei Wochen unter freiem Himmel schon in eine Großstadt?
Nähert man sich der Stadt von der Flussseite, hat man den Eindruck, ins frühe 19.Jahrhundert zu reisen: keine Vorstadt verstellt den Blick auf die alte Stadtsilhouette mit ihren Türmen und Kirchen, aus denen wuchtig und mächtig der Dom hervorragt.
Ich hatte mir noch einen Abschiedstag in Verden gegönnt, so konnte ich es langsam angehen lassen. Es war kalt und windig geworden, zwischendurch regnete es immer mal kräftig, so dass ich mich lange im Dom aufhielt. Der Verdener Dom, der von außen massig aussieht, ist innen hell und licht und weit. Im 19.Jahrhundert wurde er neugotisch umgestaltet; in den 1960er Jahren kam bei der letzten Renovierung eine ungewöhnliche Farbfassung dazu – cremefarbene Wände und eine dunkelrote Decke. Moderne Glasfenster in warmen Farben sorgen für eine heitere, erhebende Lichtstimmung.

Doch was zeichnet man an einem solchen Ort? Ein gotischer Raumeindruck überfordert schnell die Möglichkeiten eines kleinen Skizzenbuches, im Kreuzgang war es kalt und windig … und der Chorraum mit Taufstein und Altar von einer Kordel abgesperrt. Am Ende hoffte ich auf den Zeichnerbonus und umging die Absperrung (nicht ohne mich an einer Dame zu stören, die es mir bald darauf gleichtat und allem heiligen Gerät mit ihrem Handy zu Leibe rückte.)
Dann aber wurde es still und ich konnte in aller Ruhe den schön verzierten alten Stein zeichnen.

Am Abend – noch immer segelten hochgetürmte Wolken über den Himmel – radelte ich noch einmal vor die Stadt, um die wunderbar altmodische Stadtansicht in der Abendsonne zu zeichnen. Am nächsten Tag würde ich mich durch das Vorfeiertagsgedränge in Richtung Schwerin aufmachen:
Man sah es den Wegen im Abendlicht an, dass es Heimwege waren.
Robert Walser
Rückblick – Brandenburg an der Havel
Veröffentlicht: 20. November 2022 Abgelegt unter: Herbstreise 2022 | Tags: Backsteingotik, Brandenburg, Dom, Romanik 2 KommentareIn Jerichow bog ich nach Osten ab. Der Weg führte über Dörfer mit so hübschen Namen wie Altenklitsche und Zabakuck, vorbei an kleinen Versionen der Jerichower Kirche – die Bautrupps waren nach Fertigstellung anscheinend noch ein paar Jahre in der Gegend geblieben – , über wenig befahrene Landstraßen ins Land Brandenburg hinein. Die Strecke war länger als gedacht, nicht alle geplanten Wege befahrbar und als ich endlich in Milow an der Havel ankam, wurde es schon dunkel.
Von hier ab folgte ich am nächsten Tag dem Havelradweg. Der ließ, anders als der Elbeweg, außerhalb der Orte nur gelegentliche Blicke auf den immer noch in Altarmen sich schlängelnden und von breiten Schilfgürteln umgebenen Fluss zu. Zum Zeichnen war, wie so oft, die Zeit zu knapp bemessen, auch dort, wo es schön wurde, wo es über Fähren und Brücken ging, den Spuren Fontanes zu folgen gewesen wäre oder es alte Industriearchitektur zu bestaunen galt. Ich quälte mich durch den Freitagsnachmittagsverkehr in der Brandenburger Innenstadt, um endlich glücklich auf der Dominsel anzukommen.

Es waren Tage von herbstlicher Taglänge und sommerlicher Wärme. Ich hatte es gerade noch geschafft, vor Schließung des Doms einen Rundgang zu machen, auch die kostbaren Handschriften im Dommuseum zu bewundern, dann setzte ich mich zum Zeichnen vor ein Restaurant. Rasch begann es zu dämmern, das Gemäuer leuchtete im sinkenden Licht, doch als die Straßenlampen angingen, musste ich mit dem Zeichnen pausieren.
Heute habe ich das Bild nun fertig gestellt (es war schon recht weit gediehen, benötigte nur noch eine letzte Schicht Farbe) und mich an den Zauber dieses Moments erinnert, an die besondere Stimmung in dem umschlossenen Domhof, an die Ausstrahlung des vielfach umgebauten und erweiterten Doms, der immer ein politischer, kein spiritueller Ort gewesen war, ein Machtzentrum an der Schnittstelle zwischen Staat und Kirche. Am nächsten Morgen war noch Gelegenheit, den Dom einmal zu umrunden, einen Abschiedsblick hineinzuwerfen, dann stieg ich, schmerzlich viel Ungesehenes, Ungezeichnetes, Ungewürdigtes hinter mir lassend, aufs Rad Richtung Kloster Lehnin.
Intermezzo: Stendal
Veröffentlicht: 29. Oktober 2022 Abgelegt unter: Allgemein, Herbstreise 2022, Reiseskizzen, Urban Sketching | Tags: Altmark, Backstein, Backsteingotik, Dom, Gotik, Mittelalter, Pilgerweg Hinterlasse einen KommentarAuf dem Weg nach Tangermünde hatte ich ein paar Stunden in Stendal eingeplant. Es war Montag (also schon wieder ein paar Tage her), grau, kühl und windig. (Bald würde ich mich über Sonne von vorn beklagen …) Am Markt rüttelte ich vergeblich an der Tür der Marienkirche. Als ich mich schon zum Gehen wenden wollte, kam eine Küsterin und es gelang mir, mit hineinzuschlüpfen.
Sofort fiel mir das mittelalterliche Taufbecken auf. Es ist mit wunderbar ausgeführten Heiligenfiguren geschmückt – „die weiblichen Heiligen größer dargestellt als die Männer!“ erklärte mir die Küsterin strahlend. Als erstes fielen mir die Füße des Gefäßes auf. Sie symbolisieren die vier Evangelisten in den seit der Antike üblichen Symbolen: Mensch, Stier, Löwe und Adler. Meist werden sie, einer biblischen Vision folgend, als geflügelte Wesen dargestellt. Hier aber waren die drei Tiere als Menschen mit Tierköpfen dargestellt, was ausgesprochen seltsam anmutete, für uns heutige vielleicht wie eine Kinderbuchillustration. Gezeichnet habe ich den „Stier“.

Danach setzte ich mich auf den Marktplatz und zeichnete mit zügigen und nach einwöchiger Reise langsam sicher gewordenen Strichen die Kirche.
Auch den Stendaler Dom sah ich mir noch an und saß lange im Chor, der mit vollständig erhaltenen mittelalterlichen Buntglasfenstern versehen ist. Man sieht das heute nur noch selten, oft sind nur Fragmente oder einzelne Fenster verglast, was die Wirkung mindert. Hier war der Raumeindruck ein überwältigender – Edelsteinlicht, zeichnerisch nicht zu erfassen.
Rückblick IV – Nach Graubünden
Veröffentlicht: 17. Oktober 2021 Abgelegt unter: Bewohntes Gelände 10, Reiseskizzen, Urban Sketching | Tags: Dom, Pilgerweg, Romanik, Schweiz Hinterlasse einen KommentarMit den letzten Regentropfen überquerte ich den Rhein und betrat den Kanton Graubünden. Noch war es kühl, über dem Städtchen Maienfeld lag auf den Felsen hinter den Wolken der erste Schnee. Maienfeld spielt in dem Roman „Heidi“ eine Rolle, sein hübsches Ortsbild mit „Städtli“, Burg und Schloss lädt zur touristischen Zeitreise geradezu ein. An dem kühlen Montagmittag war ich fast der einzige Gast und die beiden Cafés geschlossen; doch fand ich noch ein wärmendes Mittagessen und machte mich danach an eine kleine Zeichnung.

Das Blatt, mit dem ich ein neues Skizzenbuch eröffnete, blieb unkoloriert. Erst heute, an einem herbstlichen Regentag, erinnerte ich mich wieder daran, auch wenn die kühle Stimmung seinerzeit noch am gleichen Tag verflog. Heiter wanderte ich durch Rebberge meinem Tagesziel Malans entgegen, während die Wolken sich auflösten und dem gewohnten blauen Himmel Platz machten.
Der nächste Tag war als Ruhetag geplant. Gegen Mittag fuhr ich mit der Rhätischen Bahn, die mich von nun an auf Schritt und Tritt begleiten würde, nach Chur. Chur, das wegen steinzeitlicher Ausgrabungen mit dem Slogan „Älteste Stadt der Schweiz“ wirbt, hat auch nach historischen Maßstäben eine lange Geschichte; es war als „curia raetorum“ ein römischer Verwaltungssitz, davor eine keltische Siedlung und danach durchgehend bewohnt. Bereits im Jahr 451 gab es hier einen Bischofssitz, den ersten nördlich der Alpen. Aus dem Bischofssitz wurde der Churer Dom, hoch über der Stadt auf einem Felssporn gelegen, und er blieb es auch, als die Stadt unter ihm ins reformierte Lager wechselte.

Der Ort strahlt die natürliche Autorität eines uralten Siedlungsplatzes aus. Der Dom selbst ist nicht besonders groß, doch angefüllt mit Kunstschätzen aus seiner langen Geschichte; die ältesten stammen noch aus der Spätantike. Mir hatten es besonders die vier „Apostelsäulen“ angetan, streng aussehende romanische Herren, drei mit einem Buch und der vierte – Petrus – mit einem Schlüssel ausgestattet, stehen sie jeder vor einer Säule, die wiederum auf einem Löwen ruht. Der Löwe hat sich gerade eine arme Seele geschnappt: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Am oberen Ende der Säule aber kommt ein Engel mit erhobenen Armen und in seltsamer Haltung zur Hilfe. Fast war ich geneigt, mich bei ihm an die geheimnisvolle Tübinger Sonnenfigur zu erinnern.
Herrn Pastorn sien Kauh
Veröffentlicht: 17. Oktober 2020 Abgelegt unter: Farbstifte, Urban Sketching | Tags: Brunnen, Dom, Mecklenburg, Schwerin Hinterlasse einen KommentarHeute war Schweriner Sketchertag. In kleiner Besetzung freuten wir uns an Sonne und blauem Himmel. Unser Treffpunkt war der „Herrn-Pastorn-sien-Kauh“-Brunnen auf dem Schlachtermarkt, und ich blieb gleich dort sitzen. „Herrn Pastor sien Kauh“ ist ein norddeutsches Scherzlied, bei dem es darum geht, wer im Städtchen welches Teil von der notgeschlachteten Kuh des Pastors bekommt. Das Lied lädt zu Ergänzungen und Improvisationen ein; über 600 Strophen sollen schriftlich verbürgt sein!
Einige der bekanntesten zeigt der Schweriner Brunnen von 1979. Und natürlich steht oben drauf keine Kuh, sondern ein stolzer Stier – schließlich ist der das mecklenburgische Wappentier.
Da es trotz der Sonne kühl war und ich Angst hatte, die Farbe würde nicht trocknen, habe ich mit Buntstiften und Wachskreiden gezeichnet. Das meiste entstand vor Ort, zu Hause habe ich noch ein bisschen vertieft und ergänzt.

Das allerletzte Blatt
Veröffentlicht: 29. Februar 2020 Abgelegt unter: Bewohntes Gelände, Bewohntes Gelände 9, Reiseskizzen | Tags: Baden, Dom, Freiburg/Br., Gotik, Pilgerweg 2 KommentareNach meiner Rückkehr aus Amsterdam hatte ich schon einmal über die allerletzten Blätter nachgedacht, die nur noch koloriert werden müssen, über die eine nicht ausgepackte Kiste vom vorigen Umzug und das halbvolle Irgendwas, das seit Monaten in der Küchenecke steht … Ein solches allerletztes Blatt kam mir heute unter die Finger, und obwohl oder vielleicht gerade weil ich zur Zeit an deutlich gewichtigeren Projekten stemme, musste es heute fertig werden.
Es war mein Abschiedsbild des letzten Pilgerweges, eine Stück hochkomplexer Dachlinie des Freiburger Münsters. Ich hatte die Zeichnung vor Ort begonnen und im Zug nach Foto noch ein bisschen daran rumgefriemelt. Später zu Hause arbeitet ich das Reisebuch chronologisch nach, Farbe, Beschriftung, Scan, Blog … bis, eben, auf das allerletzte Bild. Warum? Ich weiß es nicht mehr, nur, dass ich das Buch immer mal wieder aus der Kiste mit den leeren und und unabgeschlossenen Büchern gezogen habe und wieder reingestellt: mach ich später.

Heute war es soweit. Ein paar Pinsel voll Krappbraun, Umbra und Ultramarin holen mehr Farbe aus dem Motiv als seinerzeit, an einem grauen Oktobermittag, drin waren. Nun werde ich noch einen Aufkleber auf das Buch kleben und kann es endlich zu den „fertigen“ stellen. Es ist auch ein Abschied von einem vielversprechenden Format: Stillman&Birn Beta Square, also quadratisch. Obwohl ich quadratische Bücher liebe, passte es dann am Ende doch nicht: zu unhandlich unterwegs (17x17cm verlangen schon nach einer Unterlage), zu sperrig im Rucksack und aufgeklappt zu groß für den Scanner. Was ich sehr lieb gewonnen habe, ist die robuste Softcover-Ausgabe.
