Allerleigrau
Veröffentlicht: 3. Februar 2023 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Alltag, visuelles Tagebuch | Tags: Alltag, Barlach, Güstrow, Musik, Theater | Hinterlasse einen KommentarEin langer grauer Januar ist endlich zu Ende! Als ich mich vorhin daran machte, die Skizzen zu scannen, die „nebenbei“ mit dem kleinen Gepäck – Miniskizzenbuch „Art Creation“ 12×12 cm und vier Kugelschreibern – entstanden sind, fand ich eine andere Kugelschreiberskizze wieder: Am 03. Januar, auf dem Heimweg von meinem „Neujahrsretreat“, war ich noch bei Barlach in Güstrow eingekehrt. In der Gertrudenkapelle hatte ich schon mehrfach gezeichnet, jedes Mal mit dem Gefühl, an einen Ort von besonderer Stille und Sammlung geraten zu sein. (An einen Ort auch, an dem noch keine Angst vor Kartoffelbrei und Tomatensuppe herrscht: Mit Hinweis auf mein Malzeug durfte ich den Rucksack mit ein die Ausstellung nehmen, in der ich lange allein [allein!] saß, wenn man von der Aufsicht per Kamera im Nebengebäude absieht.)
So kam ich zu einer Zeichnung von Barlachs „Lesenden Mönchen“, und natürlich gefiel mir besonders, wie es Barlach gelungen war, einen dicken Mann durchgeistigt aussehen zu lassen.

Doch dann kam er, der Januar, und mit ihm in paar Plagen von der Art einer hartnäckigen Grippe, die eigentlich schon Weihnachten hätte vorbei sei sollen … So blieben selbst die niedrigschwelligen Kugelschreiber im Rucksack und wurden erst gegen Ende des Monats wieder herausgeholt. Die ersten Striche sind so ungelenk, als hätte man nie einen Stift gehalten, und es braucht ein paar verkrakelte Blätter, bis die Hand wieder locker ist.

Wie sich das gehört in so einer Zeit, sitzt man auch länger als einem lieb ist in Wartezimmern herum, doch auch das geht vorbei, und man findet sich in der Oper wieder:

Eine grandiose Aufführung des „Freischütz“, konzertant mit einigen Verfremdungen nach Brechtscher Manier, die sich nicht in den Vordergrund drängten, sondern die Musik um so prächtiger strahlen ließen. (Hat jemand schon mal einen züchtig schwarz gekleideten Opernchor mittels einiger Taschenlampen sich in Wolfsschlucht-Geister verwandeln sehen?)
Und nach der Oper das epische Theater: eine Dienstversammlung. Für die Zeichnerin war sie fast zu kurz, sie schaffte gerade mal die Umrisse.

Mit Bildern
Veröffentlicht: 26. November 2021 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Reiseskizzen | Tags: Barlach, Moderne, Museum, Stuttgart | 6 KommentareIch bin in einer bilderarmen Zeit aufgewachsen. Natürlich nicht so bilderarm wie die vor der Erfindung von Buchdruck und Fotografie, doch geprägt von Papierknappheit und ideologischer Begrenztheit einerseits und dem Fehlen uns heute selbstverständlicher elektronischer Medien andererseits.
Un so mehr habe ich mit Bildern gelebt. Zuerst war es der Kanon der Alten Meister, in Postkarten, Kalenderblättern und einigen Bildbänden präsent und immer wieder betrachtet; später, in den prägenden Wachstumsjahren, kamen Impressionismus und Moderne. Manche Bilder, manche Motive und Künstler, die ich in jener Zeit kennengelernt habe, sind in mein innerstes Bildarchiv abgesunken, von wo sie als Archetypen in mein weiteres Leben als Sehende und Gestaltende hineingewirkt haben.
Das meiste, was ich damals sah, sah ich in Reproduktionen und Fotografien, die Begegnung mit den Originalen geschah oft Jahrzehnte später.
Werke von Ernst Barlach sah ich bereits in den 80ern, in meiner Greifswalder Studienzeit, zum ersten Mal. Auf einem Ausflug nach Schwerin machten wir am Güstrower Atelierhaus halt. Ende Oktober diesen Jahres führte der Weg mit einigen der alten Freunde von damals wieder dorthin. Aus den gezeigten Werken stach für mich der „Lesende Mann im Wind“ hervor; der in den Stürmen der Zeit in sich und seinem Buch Geborgene, Getröstete … Ich hatte kein Skizzenbuch mit, so dass ich, entgegen meinen Gewohnheiten, ein Foto abzeichnete, zusammen mit einigen kleinen Skizzen dieses Wochenendes.

Vorher schon, auf der Rückfahrt aus der Schweiz, hatte ich in Stuttgart bei Otto Dix Halt gemacht. Das „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ ist fast schon eine Pop-Ikone, seine Präsenz im Original (wie auch die anderer Dix-Porträts) strahlt bis in den letzten Winkel des Ausstellungsraums. Auch hier ist nur wenig von meiner Zeichnung vor Ort entstanden; ich war in Gesellschaft unterwegs gewesen und hatte mich auf eine schnelle Bleistiftskizze beschränkt. Alles andere entstand zu Hause nach Fotos.

Güstrow
Veröffentlicht: 25. November 2018 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Allgemein, Dinge, Urban Sketching, visuelles Tagebuch | Tags: 60er Jahre, Barlach, Güstrow, Mecklenburg, Musik | Hinterlasse einen KommentarGestern war ich zum Zeichnen in Güstrow, und natürlich ging es zuerst in den Dom. In der überbordenden Fülle der Motive hielten wir uns – ich war mit einer Zeichenfreundin dort – an das bekannteste Motiv: den schwebenden Engel von Barlach. Es war eine schöne halbe Stunde dort in der Seitenkapelle; jemand übte Orgel und der Küster störte uns nicht, obwohl eigentlich schon Mittagspause war.

Erst im Gehen merkten wir, dass wir doch ganz schön durchgefroren waren; und leider wurde uns auch an unserem nächsten Ziel, der Getrudenkapelle, nicht wärmer. Ein wenig außerhalb der alten Stadtbefestigung steht die gotische Kapelle auf dem Gelände eines ehemaligen Friedhofs. Die Kapelle ist einer der beiden Ausstellungsorte von Barlachs Werken in Güstrow – der zweite, sein Atelierhaus, liegt etwas außerhalb der Stadt.
Zuerst wollte ich wieder eine der Skulpturen zeichnen, doch dann entschied ich mich für den Raumeindruck dieses stillen und gesammelten Ortes, an dem nichts dir Wirkung der Plastiken stört.

Leider vertrieb uns die Kälte doch recht bald, und nachdem wir uns in einem Café aufgewärmt hatten, fiel schon die Dämmerung ein. Eine letzte halbe Stunde lang sahen wir uns noch in dem kleinen Museum der Güstrower Stadtinformation um, und ich blieb ganz begeistert an einer Musikbox aus den 50er oder 60er Jahren hängen, einem Gegenstand von aus der zeit gefallener Ästhetik und Mechanik; und doch erinnerte ich mich, als Kind mit großen Augen vor solchen Geräten gestanden zu haben.

Komische Heilige
Veröffentlicht: 29. August 2017 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Allgemein, Ink&Wash, Mixed Media, Reiseskizzen, Urban Sketching, visuelles Tagebuch | Tags: Barlach, Bellin, Heiliger, Mecklenburg, Sternberger Seenland | 2 KommentareLetzten Sonntag wollte ich zum Abschluss meines Belliner Wochenendes noch ein bisschen in der Kirche zeichnen. Ich hatte mir dieses Mal den Altaraufsatz vorgenommen, der klugerweise nicht auf dem Altar, sondern in einer etwas dunklen Ecke steht. Er ist aus zwei schon einzeln wenig gelungenen Teilen zusammengestückelt: einem barocken Altarbild samt Predella, auf der Jesus beim Abendmahl aussieht wie ein Kavalier auf der Grande Tour, und den Flügeln mit sechzehn Heiligenfiguren.
Diese Heiligen sind lupenreine spätgotische Massenware, auf den ersten Blick langweilige, auf den zweiten unfreiwillig komische in die Länge gezogene Gesellen. Den komischsten von ihnen habe ich mir zum Zeichnen vorgenommen, einen St.Veit, der mit verdrehten Augen und Kussmündchen in seinem Topf voll siedendem Öl steht. Nein, Mittelalter ist nicht immer romantisch!

Heiliger Veit, spätgotische Altarfigur in der Kirche von Bellin/Mecklenburg.
Auf dem Heimweg bin ich noch bei Barlach vorbeigefahren, im Güstrower Atelierhaus am Heidberg, einer sehr schönen und erstaunlich wenig besuchten Anlage. Nach einigen Überlegen habe ich mich dann entschieden, die „Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“, der in einem Gipsentwurf dort hängt, zu zeichnen. Die Ikonographie des Frieses hat, wie vieles bei Barlach, Anklänge an mittelalterliche Sakralkunst. Die unfreiwillige Komik kam dann beim Zeichnen von selbst: indem ich anfangs den Hut der Dame etwas zu hoch zeichnete, sah die ganze Figur gleich aus wie mit einem jener 20er-Jahre-Topfhüte geschmückt – und ich bekam das Bild dann trotz Korrektur nicht mehr aus dem Kopf.
Beide Bilder habe ich mit einer Untermalung aus wasserfester Tusche versehen, bevor ich sie farbig übermalt habe.

„Die Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“ von Barlach.
Das Wiedersehen
Veröffentlicht: 13. Februar 2017 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Allgemein, Mixed Media, Urban Sketching, visuelles Tagebuch | Tags: Barlach, Mecklenburg, Schwerin | Hinterlasse einen KommentarVergangenen Sonntag hatte ich es endlich einmal geschafft, in die ständige Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin zu gehen. Leider erst am Nachmittag, Schließzeit ist 17:00, so dass es nur für einen ersten Überblick und eine Zeichnung reichte. Beim Überblick gingen mir schier die Augen über von den Schätzen, die ich in den letzten Jahren ignoriert hatte, der riesigen Holländersammlung, dem lebensgroßen (!) Nashorn von Oudry und den Elfenbeinschnitzereien. (Und, ja, es gibt auch noch den neuerdings angefügten Anbau voller Dada, Videoinstallationen und Ueckerscher Nagelbilder … )
Ein Platz zum Zeichnen fand sich in der Barlach-Sammlung. „Das Wiedersehen“ ist eine Bronzeskulptur, nicht sehr groß, einen knappen halben Meter hoch, die kleinere Version einer doppelt so großen Holzplastik. Ich hatte noch Zeit, ein bisschen Perspektive zu treiben, ein paar Hilfslinien anzudeuten und die beiden Figuren mit grauer Tinte auszuführen. (Zu Hause mit der Farbe tat ich mich schwerer.)
Und beim Zeichnen hatte ich wieder einmal Gelegenheit, darüber zu sinnieren, dass es großer Kunst überhaupt nicht schadet, wenn man sieht, wie sie „gemacht“ ist. Zu sehen, in welcher wunderbar spannungsvollen Nähe die beiden Figuren zu einander stehen, fast ornamental, wie gerade der Jesus, wie gekrümmt der Thomas (denn dieses Wiedersehen ist es, was Barlach abbildet, der Auferstandene und der „Ungläubige“); und wie der Thomas sich an Jesus aufrichtet, von ihm gehalten und getragen wird.

„Das Wiedersehen“, Bronze von Ernst Barlach, ausgestellt im Staatlichen Museum Schwerin. Noodler’s Lexington Grey Ink in Stillmann&Birn Beta, mit Wasserfarben koloriert.
Güstrower Apostel
Veröffentlicht: 23. August 2015 | Autor: annettehofmann | Abgelegt unter: Allgemein | Tags: Barlach, Claus Berg, Güstrow, Mecklenburg, Simon Zelotes | Ein KommentarNach einem ruhigen, im Mecklenburger Nirgendwo verbrachten Wochenende machte ich auf dem Rückweg Halt am Güstrower Dom. Zuerst wollte ich gleich wieder los – zu laut, zu viele Menschen. Doch dann sah ich die Apostelfiguren! Ich überlegte, aus welcher Epoche sie wohl stammen mochten, doch in dem chaotischen Stilmix des Gotteshauses war mir das ganz und gar unmöglich. Von Frühgotik bis Moderne ist dort einschließlich einiger Retrovarianten so ziemlich alles vertreten – wo steckte ich nun diese faszinierenden Figuren hin? Neugotik? Barlach-Nachfolge? Nein – sie stammen aus dem 16.Jahrhundert von dem norddeutschen Bildhauer Claus Berg, und Barlach hat sich vermutlich von ihnen inspirieren lassen.
Es sind zwölf sehr individuelle Persönlichkeiten, meditativ und kämpferisch zugleich, mit wunderbar ausgearbeiten Händen und Gesichtern, wohingegen die Gewändern geradezu expressionistisch-kubistisch daherkommen.