Kurt-Heinz

Eine gute Woche lang war ich durch Deutschland gereist, hatte Freunde und Verwandte getroffen und wieder einmal feststellen müssen, dass die Zeit nicht für alle reichte … (Und auch nicht dafür, die angefangenen Zeichnungen zu sichten, zu beschriften und zu scannen.) Ein bisschen stadtmüde war ich und wirr im Kopf von so viel S- und U- und Straßenbahn und den vielen Menschen darin – da kam mir Kurt-Heinz gerade recht.

Kurt-Heinz ist ein Dampfschlepper Jahrgang 1910 und steht im Untergeschoss des Deutschen Technikmuseums in Berlin, wohin mich zwei Berliner Zeichenfreunde eingeladen hatten. Um Kurt-Heinz herum ist es ein bisschen dämmrig und vergleichsweise still, denn die meisten Besucher zieht es hoch zu den Flugzeugen.

Das stille Schiff weckte lange vergrabene Erinnerungen an den Oranienburger Lehnitzsee, auf dem ich als Kind noch die Rauchfahnen der Dampfschiffe gesehen hatte, an einen alten Herren aus der erweiterten Familie, der aus dem Schifferdorf Malz gleich neben Oranienburg stammte und dessen Berlinisches Idiom noch mit Ausdrücken in märkischem Platt durchsetzt war. Ich erinnerte mich an einen dampfmaschinenbegeisterten Freund, der sich mit einem solchen Schiff übernommen hatte, bis es zuletzt in eben diesem Malz vor sich hin rostete …

Ich habe übrigens später noch ein bisschen nachgelesen und ein paar schöne Fotos aus Kurt-Heinz‘ aktiven Tagen gefunden, mit Wäscheleinen auf dem Vorschiff und einer freundlich aus dem engen Ruderhaus blickenden Familie.


Blick zurück nach vorn

Die Fotografie, nach der dieses Bild entstand, wurde vermutlich im Frühsommer 1962 aufgenommen, im Garten eines Hauses an der Havel in Oranienburg. Es zeigt meinen Urgroßvater Friedrich Glaser, geboren 1888, vielleicht an seinem 74sten Geburtstag, mit dem kleinen Mädchen, das ich war, und einem namenlosen Huhn. Das Mädchen ist zwei Jahre alt und wird sich später noch entfernt an die Hühner erinnern, die bald darauf nur noch als Geruch in dem alten Gartenschuppen wohnten.

Trat man vor die Tür des Hauses meiner Urgroßeltern, stand man am von Linden beschatteten Havelufer, hinter der Straßenbrücke sah man das Oranienburger Schloss. Das Haus, ein billiger Ziegelbau, war Teil des „Fischerviertels“, dessen Häuschen selbst mir als Kind winzig erschienen. Sie umschlossen Höfe mit Gärten, in denen es feucht nach dem Fluss roch. Das alles ist bereits in den 80ern abgerissen worden, nur die Linden sind stehen geblieben.

Vor zwei Jahren hatte ich, ebenfalls nach einem Foto, ein Porträt meiner Urgroßmutter gezeichnet. Trotz guter Vorsätze führte ich die Serie nicht fort. Nun, auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für meine Kinder, war es so weit. Fertig geworden ist es erst zum Jahreswechsel und weitet den Blick über das vergangene Jahr hinaus, zurück bis ins 19.Jahrhundert.


Höchste Eisenbahn

Die Schweriner Urban Sketchers hatten nach einem Ort gesucht, wo sie vor Weihnachten noch einmal „unter Dach“ und dennoch an weitgehend frischer Luft zusammenkommen könnten – und waren beim Schweriner Eisenbahnmuseum fündig geworden. So saßen wir bald der schönsten aller Loks zu Füßen, einer riesigen Dampflok mit der Nummer 031090. Was fehlte, war der Geruch nach Kohlenrauch – die Loks in der Halle sind schon so lange außer Dienst, dass sich davon nichts mehr gehalten hat. Ein frisch befeuertes Kohleöfchen hätten wir auch genommen, denn es wurde bald empfindlich kalt, so dass selbst die hartnäckigsten Vor-Ort-Zeichnerinnen zu Hause koloriert haben.

Die Geschichte dieser Lok lässt sich anhand ihrer individuellen Nummer nachlesen, und sie ist erstaunlich. 1982 sollte sie verschrottet werden – spezielle Stahlsorten in ihrem Innern weckten Begehrlichkeiten – und wurde von engagierten Eisenbahnern jahrelang in abgelegenen Lokschuppen versteckt; nach er Wende interessierten sich betuchte Sammler für das schöne Stück, und das Spiel ging weiter. Erst im Jahr 2000 wurde sie endlich unter Denkmalsschutz gestellt.

Als ich den Lokschuppen betrat, erinnerte ich mich zuerst an meine Kindheit in Oranienburg. Wie oft war ich, ein kleines Mädchen an der Hand ihrer Oma, an Bahndämmen entlang und durch Unterführungen gegangen, über uns donnernde Schnell- und endlose Güterzüge auf dem Weg nach Norden, Richtung Stralsund, und vielleicht noch weiter über Sassnitz nach Schweden, ins Unerreichbare, alle gezogen von Dampfloks. Vermutlich habe ich auf dort auch genau diese Lok einmal gesehen – denn sie fuhr viele Jahre lang auf eben der Strecke.


Was vom Hechte übrigblieb …

… gab eine schmackhafte Sülze ab. Während die Maräne im als Bratfisch den Abend nicht überlebte, musste ich mit dem Hecht noch ein bisschen was anstellen, um ihn essbar zu machen. Hechte sind feine Speisefische mit schmackhaftem festen Fleisch, doch leider ist das mit fiesen gegabelten Gräten durchsetzt, denen weder im rohen noch im gegarten Zustand gut beizukommen ist. (Was auch dazu führt, dass ein ganzer Hecht, noch dazu beim Fischer gekauft, ein erschwingliches Vergnügen ist.)

Daher wird Hecht meist püriert und als Klößchen gegessen oder so lange sauer eingelegt, bis die Gräten weich sind. Man kann ihn aber auch filetieren, wenn man ein scharfes Messer und die richtige Anleitung hat. Das Messer musste sowieso mal wieder geschärft werden, und Anleitungen zum Fische zerlegen findet man im Internet zuhauf – Angler sind da unermüdlich.

Die Filets sind auch was geworden, und die Reste einschließlich Kopf kamen in den Topf, um zu einem Fischfond zu werden. Der hatte dann noch so viel Substanz, dass mit Dill, Mohrrüben, Zwiebeln, Essig und drei Blatt Gelatine eine kleine Terrine voll Sülze daraus wurde. Zu Bratkartoffeln war sie ein Festessen, doch der schönste Moment war das Kochen: Der Duft, der aus dem Topf aufstieg, ließ mich an meine Urgroßmutter und ihre Kochkünste denken, an das lange abgerissene Haus am Havelufer in Oranienburg, wo mein Urgroßvater „den Wurm wässerte“ und eben manchmal auch einen Fisch mit nach Hause brachte.


Testbild und Neubeginn

Auf den großen Zeichenfestivals gibt es immer Warenproben der verschiedensten Art – Farben, Stifte, Skizzenbücher … Das war auch in Amsterdam nicht anders, einen üppig gefüllten Gabenbeutel brachte ich mit nach Schwerin. Manches wurde gleich ausprobiert, ein kleines Skizzenheft schon vor Ort vollgezeichnet; zu Hause angekommen, ordnete ich die Papiere ins Regal, der Rest lag lange in einem Kistchen, wurde kondensiert und in eine kleinere Schachtel gelegt – um dort wieder eine geraume Zeit zuzubringen.

Auf der Suche nach einem neuen Projekt fielen mir die guten Gaben wieder ein – für die nächsten Bilder würde ich die neuen Materialien verwenden. Damit hatte ich mir auch gleich die Erlaubnis für Wohlfühlmotive gegeben. Angefangen habe ich mit den Stiften – beim Rattenbild vom Montag habe ich mit zwei unterschiedlichen schwarzen Stiften von Cretacolor experimentiert.

Richtig überzeugt hat mich bei den ersten Probestrichen ein Procolour-Farbstift von Derwent – als Muster in der Farbe Indigo. Im Vergleich mit dem Polychromos-Stift der gleichen Farbe hatte er die Nase vorn – ein satter, weicher und präziser Farbauftrag. Kombiniert habe ich ihn auf dem vertrauten grauen Papier mit einem weißen Pastellstift – CarbOthello von Schwan Stabilo, schon lange in meinem Bestand – und einem bisschen weißem Gelmarker.

Als Motiv habe ich ein Foto meiner Urgroßmutter Helene Glaser gewählt. Das Bild ist vermutlich 1959 aus Anlass ihres 70.Geburtstags aufgenommen, im Hof ihres Hauses an der Havel in Oranienburg. Sie war eine gütige, warmherzige und tatkräftige Frau, die ich, 1960 geboren, noch gut gekannt habe. So wurde diese Zeichnung für mich zu einer beglückenden Reise in die Kindheit – und hoffentlich zum Beginn einer neuen Bilderserie, denn in den alten Fotoalben ist noch viel zu entdecken.


Oranienburg

Vor zwei Wochen war ich anlässlich einer Taufe in Oranienburg. Als Kind bin ich sehr viel dort gewesen und an vielen Sommertagen führte der Weg an dieser Kirche vorbei – drin gewesen bin ich jetzt zum ersten Mal. Gezeichnet habe ich die Kirche dann nachher doch von draußen, und unter der Hand ist mir beim Kolorieren das Wetter grauer geraten als es eigentlich war. Die Inschrift „Friede sei mit Euch“ befindet sich in der messingnen Türklinke.

Kirche St.Nicolai in Oranienburg.

Kirche St.Nicolai in Oranienburg.