Allerleigrau

Ein langer grauer Januar ist endlich zu Ende! Als ich mich vorhin daran machte, die Skizzen zu scannen, die „nebenbei“ mit dem kleinen Gepäck – Miniskizzenbuch „Art Creation“ 12×12 cm und vier Kugelschreibern – entstanden sind, fand ich eine andere Kugelschreiberskizze wieder: Am 03. Januar, auf dem Heimweg von meinem „Neujahrsretreat“, war ich noch bei Barlach in Güstrow eingekehrt. In der Gertrudenkapelle hatte ich schon mehrfach gezeichnet, jedes Mal mit dem Gefühl, an einen Ort von besonderer Stille und Sammlung geraten zu sein. (An einen Ort auch, an dem noch keine Angst vor Kartoffelbrei und Tomatensuppe herrscht: Mit Hinweis auf mein Malzeug durfte ich den Rucksack mit ein die Ausstellung nehmen, in der ich lange allein [allein!] saß, wenn man von der Aufsicht per Kamera im Nebengebäude absieht.)

So kam ich zu einer Zeichnung von Barlachs „Lesenden Mönchen“, und natürlich gefiel mir besonders, wie es Barlach gelungen war, einen dicken Mann durchgeistigt aussehen zu lassen.

Doch dann kam er, der Januar, und mit ihm in paar Plagen von der Art einer hartnäckigen Grippe, die eigentlich schon Weihnachten hätte vorbei sei sollen … So blieben selbst die niedrigschwelligen Kugelschreiber im Rucksack und wurden erst gegen Ende des Monats wieder herausgeholt. Die ersten Striche sind so ungelenk, als hätte man nie einen Stift gehalten, und es braucht ein paar verkrakelte Blätter, bis die Hand wieder locker ist.

Wie sich das gehört in so einer Zeit, sitzt man auch länger als einem lieb ist in Wartezimmern herum, doch auch das geht vorbei, und man findet sich in der Oper wieder:

Eine grandiose Aufführung des „Freischütz“, konzertant mit einigen Verfremdungen nach Brechtscher Manier, die sich nicht in den Vordergrund drängten, sondern die Musik um so prächtiger strahlen ließen. (Hat jemand schon mal einen züchtig schwarz gekleideten Opernchor mittels einiger Taschenlampen sich in Wolfsschlucht-Geister verwandeln sehen?)

Und nach der Oper das epische Theater: eine Dienstversammlung. Für die Zeichnerin war sie fast zu kurz, sie schaffte gerade mal die Umrisse.


Danke für die Wolken

Meinen ersten Band Enzensberger habe ich nicht als solchen erkannt. Es war die (selbstverständlich rare und nur über gute Kontakte zu erlangende) DDR-Ausgabe des „Wasserzeichen der Poesie“, Band 9 der legendären „Anderen Bibliothek“. Ich liebte das Buch mit seinem schönen Prägeeinband, dem gelblichen, sorgfältig bedruckten Papier und dem Spiel, das darin in Scherz und Ernst mit Gedichten getrieben wurde. Nur dass der als Herausgeber firmierende Andreas Thalmayr kein anderer als Hans Magnus Enzensberger war, erfuhr ich erst viel später.

Da war die DDR schon untergegangen mit ihrer Bücherknappheit und manchem anderen, doch blieb ich ein paar Jahre lang außerstande, mehr als die Zeitung zu lesen. Als ich wieder anfing, waren Enzensbergers kluge Essays mit das erste, das ich in die Hand nahm. Bei allem Zorn, bei aller Schärfe blitzte immer wieder eine tröstliche Leichtigkeit in ihnen auf. Manche Sätze blieben mir fürs Leben, wie der von der mächtigen Kraft, der Erosion, die allen Überwachungsdystopien ein Ende bereitet mit „ihren vier langsamen unwiderstehlichen Reitern, die da heißen Gelächter, Schlamperei, Zufall und Entropie.“

Wenig später entdeckte ich die Gedichte, und als ich die schönen Suhrkamp-Originalausgaben in den letzten Wochen wieder zur Hand nahm, erfreute ich mich an ihrer Zartheit, an ihrer Zeitlosigkeit auch, mit der sie nicht aus der Mode gekommen sind, weil sie sich nie einer unterworfen hatten.

Dieses ist vielleicht das schönste:

Empfänger unbekannt – Retour à l’expediteur

Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, daß mir das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.


Alle Wege sind Pilgerwege

Sind sie das, wirklich? Oder ist dieser Satz von der gleichen popkulturellen Beliebigkeit wie „Der Weg ist das Ziel“?

Im letzten Jahr, auf der großen Wanderung durch die Ostschweiz, habe ich viel darüber nachgedacht, was einen Pilgerweg ausmacht. Die Gegend ist es nicht und nicht einmal das „heilige“ Ziel – doch was ist es dann?

Dieser Herbst bietet mir – aufs Neue – eine Gelegenheit, es herauszubekommen. Nach einigen Umbrüchen im Leben bin ich zum ersten Mal mit dem (Elektro)Fahrrad unterwegs. Es ist ein Unterschied, die Füße nicht mehr auf dem Boden zu haben, die eigene Ausstattung nicht mehr von die Größe eines (möglichst kleinen) Rucksacks dabei zu haben, sondern sich Gedanken um Schlösser und Ladegeräte machen zu müssen.

Glockenstuhl der Dorfkirche in Kraak, südlich von Schwerin #dorfkircheninmecklenburg

Der Start konnte schon mal einen Pluspunkt verbuchen: ich bin direkt von zu Hause losgefahren. Nach einem schönen Stillleben-Abend bei einer Freundin in Sülstorf, zwei Dörfer hinter Schwerin, fuhr ich direkt nach Süden. Sülstorf hat eine wunderschöne kleine Dorfkirche, die ich allerdings schon zweimal gezeichnet hatte. Also sah ich mich im nächsten Ort um: typisch für diese Gegend ein turmloses Kirchlein mit freistehendem Glockenstuhl. Dieses Kirchlein gehörte im Mittelalter zu einer Johanniter-Niederlassung, einer sogenannten Komturei (ein Wort, das ziemlich nach Ritterroman klingt, finde ich.)

Es ging weiter durch den Jasnitzer Forst, ein ausgedehntes Waldgebiet, das in diesem Jahr von Pilzen überquillt. Leider konnte ich sie in meinen fest verzurrten Taschen nicht unterbringen, also zeichnete ich einiges von dem, was rund um meinen Rastplatz zu finden war. (Darunter befindet sich der Gasspeicher Kraak, der nicht nur ganz Meckpomm, sondern auch Hamburg versorgt. Das Private ist politisch, sogar im Wald.)

Pilze im Jasnitzer Forst. Oben der Graugrüne Milchling, dank Täublingsregel (die auch für Milchlinge gilt) ein Ausschlusskandidat: die Milch schmeckt brennend scharf. Unten zwei, die gern verwechselt werden, was nichts macht, denn sie sind beide essbar (und geschmacklich eher langweilig): der Rotfußröhrling und die Ziegenlippe.

Und das Stillleben vom ersten Abend? Soll auch seinen Platz bekommen. Die Paprika hatte ich zwei Wochen vorher am Strauch gezeichnet, und dort hatten sie sich gut gehalten.


Leporello, mal wieder

Vor einigen Wochen sah ich mal wieder einen der hinreißenden Leporellos der Landschaftsarchitektin Martina Offenberg. Sie ist eine großartige Zeichnerin, die ihre Urban Sketches gern auf selbst gestaltete Leporellos zeichnet. Sie bereitet diese Papierstreifen als Collage aus unterschiedlichen Papieren und Stempeln vor, die unterwegs noch weiter ergänzt wird.

So etwas wollte ich auch machen! In vier Wochen habe ich Urlaub, und da wäre es schön, einen selbst gestalteten Leporello as Reisetagebuch mitzunehmen. (An fertig konfektionierten hatte ich schon zwei mal meine Freude gehabt – hier und hier) Ich beschloss einen Probelauf und sichtete meine sich als reichlich erweisenden Papiervorräte. Ich liebe die Resultate solcher Aktionen – wenn andere Leute sie angefertigt haben. Selbst bin ich darin ungeschickt; ich habe Freude an der Haptik der verschiedenen Aquarell- und Bastelpapiere, doch beim Schneiden und Kleben gab es erst einmal eine Menge Ausschuss.

Irgendwann war das Produkt fertig, zusammengeklappt hat es A6-Format. Ich hatte wild darauf los geschnippelt und geklebt, unterschiedlich Papiersorten gemischt, mit Aquarellgrundierung versehen und zusätzlich noch diverse Collage-Elemente vorbereitet.

Als erstes schnitt ich eine kleine Skizze vom Mittagessen bei „Nordsee“ aus einem anderen Skizzenbuch aus und klebte sie ein – sie ist hier nicht zu sehen, nur der Leuchtturm kündet auf dieser Seite davon. Zu sehen sind drei besondere Löffel – am liebsten hätte ich „Eine kleine Geschichte von mir in sieben Löffeln“ erzählt und mich unendlich in den Assoziationen verloren, die die Dinge an unserer Seite auftun. Aber ich beschränkte mich erst einmal auf drei – mit Fortsetzungsoption.

Eine kleine Löffelsammlung.

Den „Göffel“ hat eine Freundin liegengelassen. Es ist ein superleichtes superhartes Objekt aus Titan, die Minimalistinnen-Variante des Besteckkastens für den Rucksack. Seltsamer Weise trägt er die Inschrift „Light my Fire“.

Der Suppenlöffel mit dem „Konsum“-Signet entstammt den unendlichen Tiefen der Besteckkiste auf meiner Arbeitsstelle (und ist inzwischen dorthin zurückgekehrt). Ein rauchender Schornstein und eine Sichel ergeben in typisch ostmoderner Ästhetik zusammen ein „K“ wie „Konsum“ (gesprochen Kónsumm) – dem Inbegriff des Lebensmittelgeschäfts in der DDR. (Das interessante Wurzeln in Lebensreform und Sozialdemokratie hat und in einem gemeinwohlorientierten Land wie der Schweiz z.B. als „volg“ überleben konnte.)

Der geschnitzte „Folklore“-Löffel kam durch einen der zahlreichen Osteuropa-Kontakte meiner Mutter in unseren Haushalt und hing viele Jahre als Dekoration in der Küche – mit einer dazu passenden Gabel als Salatbesteck. Ich hätte es gern benutzt, doch es ist klein und unhandlich, so wanderte es in eine Schublade, die „Mein Museum“ heißt und voll ist mit kleinen Dingen, über die ich – irgendwann einmal – schreiben möchte.

Drei Äpfel über eine Stadtsilhouette gezeichnet.

Am nächsten Tag saß ich am Schweriner Marienplatz und versuchte mich – gleich mit Füller – an einer kleinen Stadtansicht. Über die Dachsilhouette und ein paar Oberleitungen der Straßenbahn kam ich nicht hinweg, so dass ich das Ganze abends mit drei Äpfeln übermalte.

Das hätte ich vermutlich in einem konventionellen Skizzenbuch nicht getan, doch die Anmutung von Collage, die dem ganzen Projekt eigen ist, machte es möglich. Wie immer nimmt die locker aufgebrachte Grundierung die Angst vor dem leeren Blatt, macht munter und mutig. Es liegt darin auch die Gefahr, Lockerheit mit Schlampigkeit zu verwechseln und die Struktur zu verlieren. So hat mich dieses Probe-Projekt bis heute schon gelehrt, es nicht zu übertreiben mit „Mixed media“, nicht zu viele unterschiedliche Papiersorten und Collageelemente zu verwenden – zumal die einem auf Reisen sowieso in reicher Zahl in Form von Eintrittskarten, Prospekten, Zuckertüten & Co. zufallen.

Am Tag nach den Äpfeln bin ich zu mal wieder zu einer Dorfkirche über Land gefahren: Fortsetzung folgt.


Ich weiß, dass ich schmecke, sagte der Fisch

Maränen habe ich schon ab und zu gezeichnet. Es sind heringsgroße Fische, die tiefe, kalte und saubere Süßwasserseen brauchen, besonders für das Wachstum der Jungfische. Ausgewachsene Exemplare sind nicht so empfindlich und schwärmen schon mal in die Ostsee aus. Fangsaison ist im Sommer, wenn es nicht zu warm wird. Und da die Feuerzungen der Große Hitze bisher nur kurz herübergelodert haben, gibt es noch welche. Sie sind sozusagen der Inbegriff von Regionalität. (Und sie scheinen sehr variable Gene zu haben, denn jeder große See, der auf sich hält, hat seine eigene Art. Anderswo heißen sie Felchen oder Renken, wobei der lokale Name nur locker mit dem wissenschaftlichen verknüpft ist. Diese hier haben „Coregonus albula“ in der Geburtsurkunde stehen.)

Am Verkaufswagen der Schweriner Seenfischerei konnte ich letzte Woche drei geräucherte Exemplare erwerben, und Freitag Abend machte ich mich daran, sie zu malen. Ich nahm das schöne dunkelgraue Papier von PaintOn, Tinte, Aquarellfarbe (nein, es ist keine Gouache), die farbkräftigen Inktense-Stifte von Derwent, die ich mir Ende Januar in Karlsruhe gekauft hatte und zum Schluss noch einen weißen Gelmarker. Immer schön Schicht auf Schicht.

Dann kamen sie wieder in den Kühlschrank und ich hatte anderweitig zu tun und zu speisen. Heute gaben sie ein gutes Sonntagsfrühstück. Sie lassen sich gut essen, denn sie haben festes, saftiges Fleisch, das an Forellen erinnert, und kaum fiese Gräten.

Es war Sonntag, ich hatte Zeit, sie mir in Ruhe schmecken zu lassen und gleich noch einmal die Stifte herauszuholen. Dieses Mal zeichnete ich in das kleine quadratische Büchlein von Royal Talens, das ich ebenfalls bei Gerstäcker Karlsruhe erworben habe und sehr liebe. Es hat griffiges, etwas gelbliches Papier, das fast kein Wasser verträgt. Ich zeichnete mit Kugelschreiber und etwas Buntstift, den ich nur mit ein paar Tropfen Wasser anlöste.

Die Gedanken schweiften derweil zur Lektüre der letzten Tage (ja, auch das Lesen hat kam dem Zeichnen etwas in die Quere): „Der Butt“ von Günter Grass, zu dem ich über diverse Assoziationsketten kam. In diesem Buch sagt der namensgebende sprechende Plattfisch bei der ersten Begegnung zum Ich-Erzähler „Mir ist bekannt, dass ich schmecke.“ (Er bleibt, wie man aus dem Märchen weiß, am Leben.) Ich stellte mir die drei Maränen vor, wie es dem Fischer mit ihnen – noch quicklebendig – ergangen wäre, was sie mit feinen Stimmchen versprochen hätten, um ungeräuchert wieder ins Wasser zu dürfen – um am Ende auf die Frage zu kommen, das allein das „die“ vor der Maräne einen prinzessinnenhaften Gegenentwurf zum männlich-väterlichen Butt evozierte – ein kleiner Beitrag zum unerschöpflichen Thema Genus und Sexus …


Freu dich Fritzchen …

… morgen jiebt et Selleriesalat. Vermutlich habe ich den Spruch schon in meiner an Sprüchen aller Art reichen Randberliner Kindheit kennengelernt – ohne dass mir jemand erklärt hätte, was es damit auf sich hat. Erst später erfuhr ich, dass der Sellerie wegen seiner aphrodisierenden Wirkung auch Geilwurz oder Hemdenspreizer genannt wird … Allerdings sollte die Pflanze roh verzehrt werden, so dass Fritzchens Berliner Selleriesalat aus gekochtem Knollensellerie vermutlich eher eine suggestive als eine pharmakologische Wirkung entfaltet.

Letzte Woche hatte ich mir vorgenommen, Caponata zuzubereiten. Caponata ist ein dem Ratatouille ähnliches Gemüseragout sizilianischer Herkunft, das süßsauer gewürzt lauwarm oder kalt gegessen wird. Neben Auberginen – der Hauptzutat – kommt auch Staudensellerie dazu, allerdings (leider, Fritzchen) wird auch der zumindest kurz mitgekocht.

Ich liebe Auberginen und mache hier eine Ausnahme vom regionalen Prinzip, aber zu meiner Freude gab es regional angebauten Staudensellerie auf dem Markt. Das Grün war noch dran – alles zusammen zu zeichnen, wurde eine ordentliche Friemelei.

Staudensellerie vom Schweriner Markt.

Die Caponata wurde eine köstliche Angelegenheit, und da sie gehaltvoller ist als ähnliche mediterrane Gemüserezepte, eignet sie sich auch als leichtes sommerliches Hauptgericht. Das Netz quillt über von Rezepten, keines ist wie das andere; ich füge denen meines dazu. (Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem.) Also:

3 Auberginen in eher kleine Würfel schneiden, salzen und beschwert abtropfen lassen.

2 etwa faustgroße Zwiebeln schneiden und in in einer Schmorpfanne mit etwas Öl langsam und bei niedriger Temperatur (!) eher schmoren als braten, ggfs. etwas Wasser dazu geben oder den Deckel auf die Pfanne setzen.

Einige Knoblauchzehen, 1 – 2 Paprikaschoten und einige eingeweckte Tomaten zu den Zwiebeln geben (die sollten bereits weich geschmort sein und süßlich schmecken) dazugeben und das Ganze sanft weiter köcheln lassen.

Jetzt die abgetropften Auberginenwürfel in einer zweiten Pfanne kräftig anbraten (Wer hat, nimmt Erdnussöl.) und wenn sie gar sind, zu dem übrigen Gemüse geben.

Ein Bund Staudensellerie (da ist er ja!) schneiden und mit in die Pfanne geben.

Jetzt brauchen wir nur noch die „Extras“ dazugeben und das Ganze abschmecken. Ich habe nicht gegeizt: Jeweils eine Handvoll Oliven, Zedernüsse (die ersetzen bei mir die Pinienkerne; Mandeln gehen auch) und Rosinen sowie ein reichlicher Esslöffel Kapern. Alles zusammen ein letztes Mal aufkochen lassen und den Herd abstellen. Mit Essig, Zucker und Salz abschmecken (da hat jeder sein eigenes Maß) und mindestens über Nacht, besser einen ganzen Tag durchziehen lassen.

Das Ergebnis ist eine komplexe Mischung von Aromen und Texturen, die sich teilweise überlagern und vermischen und doch noch einzeln zu erkennen sind: der immer noch knackige Sellerie (Fritzchen freut sich), die Nüsse, die über Nacht wieder zu saftigen Beeren gewordenen Rosinen mit ihrer Süße, daneben die salzigen Kapern und Oliven …

Am Ende hatte ich mich mit meiner großen Pfanne etwas übernommen und beschlossen, eine Woche Caponata-Pause einzulegen – den Freund, der den Rest in einem Glas mitnahm, hat es gefreut.


An der See, drinnen

Letzte Woche war ich für ein paar Tage an der Ostsee. Bei Regen und Sturm verstand es sich von selbst, dass auch das eine oder andere drinnen stattfand. Bevor ich noch in meinem Hotel ankam, besuchte ich die Ausstellung „Perspektivwechsel“ in der Rostocker Kunsthalle – gezeigt wurde deutsche Nachkriegskunst aus Rostocker und Lübecker Beständen.

Den tiefsten Eindruck hinterließ bei mir ein Bild, das nicht zu der Ausstellung gehörte: das Selbstporträt von Kate Diehn-Bitt von 1933. Die Malerin wird als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit gerade wiederentdeckt, und so wurde das Gemälde an prominenter Stelle gezeigt, bevor es als Leihgabe zu zwei großen internationalen Ausstellungen reist.

Die Malerin hat sich selbst als Halbfigur in klassischer Malerpose dargestellt; beim Abzeichnen habe ich mich auf den Kopf beschränkt und dabei ein bisschen Schraffurtechnik geübt. (Das machte sich gut am Abend im Hotel, während draußen der Sturm tobte und die Brandung rauschte.)

Das Hotel war – wie vieles im Osten – ein klassisches Produkt der späten 90er Jahre. Während in den Zimmern Messing und Marmor den Ton angaben, waren es in der Lobby Korbmöbel, Fliesen und grün gestrichene Metallstreben, eine postmoderne Remineszenz an Kaiserbahnhöfe oder dergleichen. Es war ein schöner Ort zum Zeichnen, licht und freundlich und nicht zu voll, und dabei mangels rechter Winkel ziemlich knifflig. So sind auch außer der Rezeptionistin ganz hinten keine Menschen auf dem Bild – die waren immer schon wieder weg, wenn ich mit ihnen anfangen wollte.

Beim Frühstück hatte ich mehr Glück: nicht nur, dass draußen blauer Himmel über blauem Meer auf mich wartete – die Leute hielten auch so lange still, bis ich sie halbwegs auf dem Bild hatte.

Den Abfahrtstag verbrachte ich noch ein paar Stunden in Bad Doberan. Durchgefroren vom Münsterbesuch fand ich in einem ziemlich vollen Café einen guten Platz mit Blick aus dem Fenster und auf zwei Damen im Gegenlicht. Die beiden waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mein intensives Zeichnen nicht bemerkten. Als ich fast fertig war, sprach mich die Kellnerin an: ob mich denn die Unruhe und die vielen Gespräche nicht in meiner Konzentration störten. Da merkte ich, dass ich eine glückliche Stunde lang ganz und gar in meinem Bild aufgegangen war …


Altmark II – Tangermünde

Von allen schönen Altmarkstädten ist Tangermünde wahrscheinlich die schönste. Hoch ragen die Stadtmauern über die Flussniederung und schützen die Stadt wie eh und je vor Hochwasser. Auf der Landseite sind nur die Wallanlagen erhalten geblieben und bieten einen Blick auf die gewaltigen alten Tore.

Eines dieser Tore hatten wir uns als erstes zum Zeichnen ausgewählt. Zu unserer Freude schien wiederum die Sonne und der Zeichenplatz lag im Windschatten.

Das Neustädter Tor in Tangermünde.

Trotzdem hatten wir danach das Bedürfnis, uns ins Warme zu setzen und fanden einen gemütlichen Platz im „Lehrerwohnzimmer“ der „Exempel-Gaststuben“.

Danach noch schnell in die Stephanskirche, denn die würde bald schließen. Zu einem Rundgang kam ich nicht mehr, denn als ich den kanzeltragenden Mose sah, war es um mich geschehen – den musste ich zeichnen! Wenigstens für eine lineare Skizze hat es noch gelangt, die Schatten kamen zu Hause.

Die Kanzel ist ein Meisterwerk der Spätrenaissance, das uns ahnen lässt, was aus der Kultur Mitteleuropas hätte werden können, wenn nicht der Dreißigjährige Krieg darüberhin gewalzt wäre. Auch Moses seltsam verkrüppelte Hände sind eine Kriegsfolge – Soldaten, die in der Kirche untergebracht waren, haben daran ihre Kräfte ausgelassen.

Die Hörner haben sie dem Mose nicht abgeschlagen, und sie sind hier auch nur diskret dargestellt. Dass Moses in vielen Kirchen mit Hörnern dargestellt wird, beruht auf einem Übersetzungsfehler aus dem Hebräischen: ursprünglich waren es „Strahlen“, die von seinem Kopf ausgingen, als er nach seiner Gottesbegegnung vom Berg wieder herunter kam.

Und, ja, als ich wieder zu Hause war und das Bild anschaute, sah ich auf einmal einen E-Gitarristen sich in typischer Pose tief über sein Instrument beugen …


Altmark

„In the middle of nüscht“ sagen die Altmärker zärtlich, wenn sie gefragt werden, wo sie leben. Hand aufs Herz: von Stendal haben wir vielleicht mal gehört, wenn von umgeleiteten Zügen die Rede war, aber von den Hansestädten Salzwedel, Tangermünde, Osterburg, Werben … ? Von einer schier unglaublichen Dichte an romanischen Dorfkirchen, von hoch über der Elbe aufragenden Backsteinmauern, die besterhaltene mittelalterliche Stadtkerne einschließen?

Am letzten Wochenende habe ich eine Freundin besucht, die genau dort lebt. Wir haben in der ersten Vorfrühlingssonne zeichnend draußen gesessen, uns danach im Café aufgewärmt und natürlich ausgiebig geplaudert. (Hat hier einer „geschnattert“ gesagt?)

Das Tor zum Treppenbau des Stendaler Rathauses

Das Bild vom Ratskeller wollte ich zuerst verwerfen, weil ich vor lauter Gespräch die Gewölberippen verwechselt hatte. Dann aber entschloss ich mich zu einer Reparatur, habe aber dann doch nicht alles perfekt fertig gestrichelt.

Abends setzte sich meine Freundin ans Spinnrad.

Fläschchen

Neben der handfesten Hausarztmedizin habe ich viele Jahre die Pflanzen- und Naturheilkunde als fachliches Hobby gepflegt. Mit der Übergabe meiner Praxis in jüngere Hände war, neben vielem anderen, auch ein großer Vorrat an pflanzlichen und homöopathischen Mitteln zu sortieren. Ein Teil blieb am alten Ort, wo ich noch in kleinem Umfang damit weiterarbeite. Vieles habe ich mit nach Hause genommen, gesichtet und neu geordnet.

Dabei kam mir die Idee zu diesem Bild. Es zeigt einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle, die mich über viele Jahre erfreut hat. Die Auswahl habe ich vorwiegend unter ästhetischen Gesichtspunkten getroffen. Ein bisschen „Trauerarbeit“ ist natürlich auch dabei, Erinnerungen daran, wie ich mir diese Kenntnisse vor nunmehr zwanzig Jahren erarbeitet habe, Nachdenken darüber, wie sich die geistige Landschaft in dieser Zeit verändert hat.* (Was sich u.a. darin spiegelt, dass die Firma „Staufen“, von der auf meinem Bild gleich zwei Fläschchen auftauchen, eines Tages sang- und klanglos mitsamt ihrem Schatz an Substanzen und Erfahrungswissen von der Bildfläche verschwunden war.)

Eine kleine Auswahl an Naturheilmitteln. Gezeichnet im quadratischen Hahnemühle Tones Watercolour Book mit Tinte, Derwent Inktense, Wasserfarbe und weißem Gelmarker.

* Um dieser Veränderung Rechnung zu tragen, hier eine Schlussbemerkung, sozusagen ein Disclaimer: Ich bin – selbstverständlich, würde ich gern sagen – gegen das Coronavirus geimpft und habe diese Impfung natürlich auch in meiner Praxis angeboten.