Mittwochsmarkt

Ich wollte immer schon mal auf dem Schweriner Mittwochsmarkt zeichnen, doch es ist nie etwas daraus geworden. Heute hatte ich es mir fest vorgenommen und saß mit gespitztem Bleistift und neuem „Schmierheft“ (dem hübschen Rausreißbuch von Leuchtturm1917 aus dem Amsterdamer Gabenbeutel) auf einem der begehrten Außenplätze vom „Fuchs“. Ich wollte den Schwung vom letzten Wochenende nutzen und Menschen zeichnen.

Das tat ich auch – erst einmal. Doch der Kaffee war noch nicht ausgetrunken, als mich die Dächerlinie und der dramatische Himmel magisch anzogen, ich mein Aquarellbuch rausholte und ein bisschen was im Stil von Pat Southern-Pearce probierte – nur eben mit Aquarell und auf weißem Blatt. Ich begann mit der Dächerlinie, kolorierte dann den Himmel und widmete den Gebäuden möglichst wenig Aufmerksamkeit.

Und was wurde aus den „gesture drawings“? Die zwei ausdrucksstärksten habe ich zu Hause ausgeschnitten und in die „Sense-of-Place“-Kästchen geklebt, die ich schon vorbereitet hatte. Das Ergebnis ist eine Symbiose aus zwei sehr unterschiedlichen Seminarerfahrungen, ein bisschen unruhig und „wild“, und ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Auf dem Schweriner Mittwochsmarkt.

Nachlese

Gibt es unfertige Skizzen? Darf es sie geben? Diese Frage erheitert mich immer wieder, und ihre möglichen Antworten erzählen eine Menge nicht nur über die Beziehung, die wir zu unseren (Kunst)Werken entwickeln, sondern über unser Sein in der Welt überhaupt.

Auf einer einfachen Ebene geantwortet: gewiss gibt es unfertige Skizzen, zumal in einem Skizzenbuch, das eher ein Tage- und Wegebuch ist, das keine Entwürfe für Fertigeres enthält, sondern einen Lebensabschnitt dokumentiert. Und so habe ich auch dieses Jahr, trotz aller guten Vorsätze, wieder manches Unvollendete aus Madeira mitgebracht. Natürlich bin ich schon ein paar Wochen zurück, doch waren diese Wochen von der eher kunstunfreundlichen Art.

Heute endlich habe ich zum Befreiungsschlag ausgeholt und eine Auswahl getroffen, um das Buch endlich mit einem guten Gewissen ins Regal stellen zu können.

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Fische in der Markthalle von Funchal

Da wären zuerst die Fische aus der Markthalle. Bunt und schön und doch leider schon tot liegen sie in der Markthalle auf Eis, um spätestens am Abend gegrillt auf einem Teller zu landen. Die Händler haben es nicht leicht, bei ihrer täglichen Arbeit bestaunt und fotografiert zu werden, Rücksicht auf mein Zeichnen kann ich da nicht erwarten, und – schwupps! – ist der Fisch weg, an dem ich gerade gearbeitet habe. So war ich froh, vor Ort wenigstens die Umrisse mit Tinte hinbekommen zu haben.

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Drei Kneipen gegenüber der Markthalle – „Zur Neuigkeit“, „Zur Vorzüglichkeit“ und „Zum Händler“

Diese drei Kneipen gleich neben der Markthalle haben mich fasziniert, und ich habe sie an verschiedenen Tagen gezeichnet – am Markttagen und am Sonntag, an dem dieses Bild entstand, deshalb ist auch nicht viel los. Ich konnte mich nicht entschließen, ob mit oder ohne Auto, am Ende ist es ein Kompromiss geworden. Dieses Bild war schon auf Madeira fertig und kommt erst hier zum Vorschein, weil ich immer noch gedacht hatte, ich vervollständige die andere Version. Doch die bleibt wie sie ist zwischen ihren Buchdeckeln. („Die drei Gleichen“ habe ich sie getauft, weil sie Rhythmus mit Interpunktion sind: jede anders im gleichen Raster.)

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Einer der charakteristischen Kachelkirchtürme.

In Ribeira Brava hatte ich Zeit, bis mein Bus in die Berge fuhr, und habe lange am Bild einer Palme auf der Promenade gefriemelt. Besser gefällt mir am Ende der Kirchturm, der heute noch etwas Farbe abbekommen hat.

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Leuchterengel in der Sakramentskapelle der Kathedrale von Funchal

Diesen wunderbaren, vielleicht einen Meter großen Engel hatte ich gleich am ersten Tag in Funchal entdeckt, doch dann sollte es bis zum letzten dauern, bis ich ihn zeichnen konnte. Zum einen ist die Kathedrale nicht immer geöffnet, zum anderen ist so eine Sakramentskapelle ein wirklicher Andachtsort, in dem eigentlich immer Menschen sehr versunken vor dem Allerheiligsten beten. Mein Zeichnen, mag es für mich auch noch so meditativ sein, mag manchen stören. So blieb die Farbe im Kasten und kam auch erst heute aufs Bild.


Zweimal Markt

„Markt auf Madeira“ ist ein touristischer Topos, an dem niemand vorbeikommt, der sich hier aufhält, gehört doch das Angebot an exotischen Früchten zu dem sehenswertesten, das die Insel zu bieten hat. (Ich schreibe mit Absicht „Früchte“, denn beim Gemüse ist die Auswahl zwar groß, bewegt sich aber in deutlich vertrauteren Bahnen.)

Richtig lohnt sich der Besuch der zentralen Markthalle von Funchal eigentlich nur am Freitag und Samstag, wenn in dem architektonisch schönen Gebäude ein echter Bauernmarkt stattfindet – ansonsten bekommt man das Obst deutlich günstiger und mit mindestens ebenso großer Auswahl in den „Frutaria“ genannten Geschäften – eins ist gleich gegenüber.

So bin ich letzten Samstag, als ich aus den Bergen zurück war, auch gleich früh zum Markt gegangen – und habe mich, im schönsten Getümmel, ins Café VOR die Halle gesetzt, um endlich den Morgensonnenbblick auf die alte Zuckerfabrik einzufangen. (Das ist sozusagen der Blick auf die Stelle, von der aus ich an einem der ersten Tage die Markthalle gezeichnet hatte.) Nachher war ich dann noch kurz in der Fischhalle.

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Blick auf die alte Zuckerfabrik in Funchal am Morgen – und angedeutet ein paar Fische in der Markthalle.

Dann war es schon fast Mittag. Zu meiner großen Freude saß heute auch wieder eine Schau-Stickerin vor einer der Stickereimanufakturen, so dass ich mich trotz Autos und Abgasen daran machte, sie zu zeichnen – Caféhausstühle zum Hinsetzen gibt es dort zum Glück genug. Die echte Madeira-Stickerei fasziniert mich immer wieder; sie ist keine Volkskunst, sondern ein Kunsthandwerk, das im 19.Jahrhundert als effektive Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eingeführt wurde.

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Schau-Stickerin vor einer Stickereimanufaktur. (Gestickt wird normalerweise natürlich zu Hause, in der Manufaktur werden die Stücke vor- und nachbereitet.)

Der nächste Tag – gestern, mein vorletzter Tag auf Madeira – war ein Sonntag, und sonntags gibt es einige große Märkte in Kleinstädten; Märkte, die weitgehend von Einheimischen besucht werden. Entsprechend unromantisch geht es dort zu, eine nüchterne Halle, keine vordergründige Exotik. Da es draußen in Strömen groß und der Ort – Estreito de Câmara de Lobos – auf 500m Höhe liegt, war die Atmosphäre eher matschig-grau, alle Männer, die sonst mit ihrem Kaffee und ihrem Schnaps draußen gestanden hätten, drängten sich drin am Geländer.

Zurück in Funchal war es Mittag, und ich bin ins Selbstbedienungsrestaurant bei Pingo doce, einem großen Supermarkt, eingekehrt. Ich mag diesen Ort, erstens bekommt man dort preiswert beste portugiesische Hausmannskost zu essen, und zweitens kann man relativ ungestört Menschen aller Bevölkerungsgruppen zeichnen.

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Männern an Geländern – in einem bergigen Land ein vertrauter Anblick. Auf der rechten Seite zwei Porträts aus dem Selbstbedienungsrestaurant in Funchal. 


Reportage

In der letzten Zeit habe ich mich ein bisschen intensiver damit beschäftigt, wie es mit dem derzeitig ziemlich populären „urban sketching“ eigentlich angefangen hat. Visueller Journalismus durch Zeichnen, das war das Motto der ersten Gruppe um den spanisch-amerikanischen Zeichner Gabriel Campanario.

So eine gezeichnete Reportage ist nicht einfach: Menschen bewegen sich, die Szene wechselt, das Wetter auch, ein Logenplatz zum Sitzen ist eher die Ausnahme und nachträgliches Überarbeiten ist nicht jedermanns Sache. Heute habe ich es mal mit einem Ereignis versucht, das in in gewisser Weise ebenso spontan, authentisch und unperfekt war – und ebenso meint unter einer englischen Überschrift daherkommen zu müssen: der Symphonic Mob auf dem Schweriner Marktplatz, einem Mitmach- und Mitsingkonzert.

Ich habe das Bild komplett vor Ort gezeichnet, einschließlich Farbe, Schrift und ungeplantem lila Farbklecks. Überragt werden die Musiker von Peter Lenks garstig-schönem Löwendenkmal. 

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Beim Symphonic Mob auf dem Schweriner Markt; Graphit und Wasserfarbe in einem Hahnemühle Aquarellbuch.


Madeira im Februar – Teil 1

Nun bin ich schon wieder eine Woche zu Hause. Höchste Zeit, das Reisetagebuch zu scannen und mich dem deutschen (Vor)Frühling zuzuwenden. Hier ist nun Teil 1 der Nachlese.