Kloster Möllenbeck

Im landwirtschaftlich geprägten, dünn besiedelten Niedersachsen des frühen Mittelalters waren die Klöster lange vor den Städten da. Gestiftet wurden sie vom lokalen Adel, der sich gute Bedingungen im Jenseits und handfeste Einflussnahme im Diesseits erhoffte.

Diese Einflussnahme war – uns heutige wundert es – war häufig eine weibliche Angelegenheit. Während die Männer anderweitig und meist kriegerisch beschäftigt waren, gründeten die Frauen Klöster, aus deren Rückhalt sie die Interessen der Familie wahrnahmen.

So ist für das Jahr 896 die Gründung des Kloster Möllenbeck durch eine Edelfrau namens Hildburg beurkundet. Auf dem Bild sind Fragmenten einer sehr viel später entstanden Grabplatte mit dem Bild der Hildburg zu sehen.

Die heute sichtbare Anlage ist Ergebnis der bekannten Abfolge von Zerstörung und Wiederherstellung, von Umwidmung, Abriss und Neuaufbau. Das Kernkloster mit Wohngebäuden, Kreuzgang und Kirche ist seit der Frühen Neuzeit weitgehend unverändert geblieben. Die Gebäude beherbergen ein Jugendfreizeitheim, nur die Kirche ist öffentlich zugänglich. Beim Eintreten ist die Besucherin überrascht: es handelt sich um eine evangelisch-reformierte Kirche, bilderlos und sehr schlicht eingerichtet.

In einer Scheune des ehemaligen Wirtschaftshofes gibt es heute ein kleines, sehr schönes und anheimelndes Hotel mit einem Gartenrestaurant. Ich kam an einem Tag, an dem das Restaurant geschlossen hatte, ich setzte mich in der stillen und friedlichen Stimmung unter die alten Eschen und begann zu zeichnen.

Als ich die Farbe weitgehend auf dem Blatt hatte, hörte ich auf. Seitdem habe ich in der letzten Woche immer mal ein paar Striche daran gezeichnet; heute ist es nun fertig geworden.


Fachwerk satt

Hameln ist als „Rattenfängerstadt“ in die deutsche Geschichte eingegangen. Die Sage vom flötenspielenden buntgekleideten Fremden, der mit seiner Flöte erst die Ratten aus der Stadt lockte und später, um den vereinbarten Lohn geprellt, auf eben diese Weise alle Kinder entführte, wurde vielfach nach- und umerzählt. Im heutigen Hameln begegnet man dem Flötisten und den Ratten überall, auf Stadtplänen und Wirtshausschildern, sogar auf dem Bogen einer Fußgängerbrücke sitzt eine dicke Ratte.

In der Zeit, als die Sage zuerst aufgeschrieben wurde, im ausgehenden Mittelalter, war Hameln eine reiche Stadt; die am Handel entlang der Weser gut verdiente. (Wie mag der Fluss ausgesehen haben in einer Zeit, in der nicht nur ein paar Freizeitkanus darauf fuhren?)

Die reichen Kaufleute bauten sich große und prächtige Häuser aus reich verziertem Fachwerk oder gleich ganz aus Stein, der Ausdruck „steinreich“ kommt daher. Das Ergebnis ist als „Weserrenaissance“ in die Geschichte eingegangen.

Am Ankunftsabend wage ich mich zum Warmwerden erst einmal an eine lineare Skizze.

Diese beiden prächtigen Häuser beherbergen heute das Hamelner Stadtmuseum. Das „Stiftsherrenhaus“ ist aus Fachwerk voller überbordender Schnitzereien; die Balkenköpfe sind mit Masken und figürlichen Reliefs bis hin zu ganzen Szenen verziert. Das „Leisthaus“ daneben, ein Steinhaus, treibt den Figurenschmuck noch ein bisschen weiter.

Am Abend setze ich mich auf den Pferdemarkt und zeichne noch ein Haus, das namenlose und leerstehende „Haus Pferdemarkt 10“ (dessen Leerstand u.a. an den aus der Zeit gefallenen Dachantennen erkennbar ist.)


Die anthroposophische Windmühle

Inzwischen sind einige Tage vergangen, davon zwei Regentage, die das Draußen-Zeichnen eingeschränkt und mich ins Thermalbad gelockt haben – ohne Skizzenbuch. Ich bin, den Schleifen der Weser folgend, durch die Porta Westfalica gefahren, habe einen Abstecher nach Bückeburg gemacht und fahre nun durch die norddeutschen Tiefebene.

Passend zum hier fast immer wehenden Wind reiht sich Mühle an Mühle, es gibt eine „Deutsche Mühlenstraße“ und auch ich bin in einem Landgasthof an einer Mühle abgestiegen. Gestern Abend lag sie im schönsten Abendlicht. Als ich anfangen wollte, sie zu zeichnen, stellte ich fest, was für eine ungemein knifflige Perspektive so eine Mühle hat: es gibt, bis auf die Fensterrahmen, keine rechten Winkel! Um die komplexe Form zu erfassen, entschloss ich mich, wenn das Licht auch noch so lockte, zu einer Bleistiftzeichnung.

Anthroposophische Baumeister bevorzugen organische Formen, der rechte Winkel ist bei ihnen verpönt – diese Mühle hätte ihnen sicher sehr gefallen.


Mut zur Lücke

Was ist Urban Sketching? Die Begründer dieser Kunstform waren allesamt Profis, kamen von Illustration und Pressezeichnung her und hatten daher kein Problem mit der Abbildung komplexer Szenerien. Laien, auch etwas ambitionierteren wie mir, fällt das nicht immer leicht – man beschränkt sich auf Gebäude, lässt gern auch „Störendes“ wie Autos und Verkehrsschilder weg. Das ist einerseits schade – macht es die Szenerien doch oft leblos – , andererseits verständlich, denn ein Bild mit ungelungenen Menschen kann schnell wie eine Kinderzeichnung aussehen.

In Holzminden, bei der Mittagsrast im „Café Lücke“, wage ich mich seit langem wieder einmal an eine komplette Szene. Fachwerk (ohne geht nicht) , Blumentöpfe, Laternen, Schaufenster und vor allem die beiden ins Gespräch vertieften Herren – der eine sieht aus wie ein Silver-Ager-Model mit schicker schlohweißer Tolle und gestutztem Bart. Zum Glück bin ich so schlau, mit den beiden zu beginnen, denn obwohl sie eine ganze Weile bleiben: irgendwann stehen sie doch auf.

Da bin ich schon weitgehend fertig, ergänze noch ein paar Details, bevor ich wieder aufs Rad steige. Am Abend entschließe ich mich, der linearen Zeichnung etwas Farbe zu geben – doch nicht zu viel und nicht überall: Mut zur Lücke.


Romanik im Regen

Die nächste Etappe führt nach Höxter. Und sie führt vor allem zur ehemaligen Klosteranlage in Corvey, die einen Welterbestatus zu bieten hat. Das in karolingischer Zeit gegründete Kloster war im Frühmittelalter ein Machtzentrum in sächsischem Gebiet gewesen, es beherbergte eine berühmte Bibliothek; im Laufe der Jahrhunderte verlor und gewann es mehrfach an Einfluss, bis es, bereits säkularisiert, im 19.Jahrhundert eine fürstliche Residenz wurde.

Als ich ankomme, kann sich das Wetter nicht zwischen Regen und Schwüle entscheiden und bietet abwechselnd beides. Was anziehen und wohin mit den Radtaschen? Ein Versuch, die Anlage mitsamt Fahrrad zu betreten, wird vom Torwächter freundlich, aber bestimmt mit den Worten „Durchlaucht duldet keine Fahrräder auf dem Gelände.“ abgewiesen. Der Mann verzieht dabei keine Miene und mir bleibt einen Moment der Mund offen stehen.

Wir kommen später in ein freundliches Gespräch, es findet sich eine Fahrradbox und der Regen macht Pause, dennoch werde ich trotz der Sättigung mit Geschichte mit dem Ort nicht warm. Ich besichtige das karolingische Westwerk, dessen Kaisersaal seltsamer Weise mit Szenen aus der Odyssee ausgemalt war, werfe einen kurzen Blick in die schrecklich barocke Kirche und auf das Grab des Hoffmann von Fallersleben und suche mir einen Platz zum Zeichnen.

(Wer war Hoffmann von Fallersleben? Ich muss nachlesen: Dichter der deutschen Nationalhymne und einiger der bekanntesten Kinderlieder, eine zeittypische Biografie der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts zwischen Liberalismus und Nationalismus.)


Neuland mit Romanik

In Hann.Münden (noch eine Fachwerkstadt, vorgemerkt für einen weiteren Besuch) beginnt der zweite Teil der Tour: Werra und Fulda haben beide ihre Namen abgelegt und reisen unter einem neuen Richtung Nordsee: mein Weg folgt von nun an der Weser.

Was jetzt kommt, ist Neuland. Der Nordwesten Deutschlands war bis 1989 unerreichbar und danach, anders als viele Regionen Süddeutschlands, auf meiner inneren Landkarte kaum vorhanden. Auch um das zu ändern, habe ich diese Reise geplant.

Das erste, was mir begegnet, sind einige geöffnete Dorfkirchen voller zauberhaft naivem Bauernbarock. Die Überraschung kommt gegen Mittag: Kloster Bursfelde ist eine benediktinische Gründung aus dem 11.Jahrhundert. Ein hochromanischer Bruchsteinbau mit zwei Türmen, einem kleinen Westwerk und einem sehr langen Kirchenschiff. Das Schiff wurde nach der Säkularisation im 17.Jahrhundert geteilt, der Westteil diente als Stall und der Ostteil als Gemeindekirche. Im 19.Jahrhundert kam, wie an vielen Orten, das Umdenken; die romanische Gestalt wurde, soweit möglich, wiederhergestellt.

Der abgelegene Ort war im 15.Jahrhundert Zentrum einer geistigen Erneuerungsbewegung innerhalb des Benediktinischen Ordens – der „Bursfelder Kongregation“ gehörten zeitweilig über hundert Klöster an. Was wäre wohl geschehen, wenn Luther Benediktiner und nicht Augustiner geworden wäre?

Gezeichnet habe ich im Inneren, den Blick durch ein gotisches Innenfenster auf eine romanische Säule.

Ein paar Orte weiter liegt die Klosterkirche Lippoldsberg auf einem Hügel. Auch hier gibt es eine wechselvolle Geschichte, die mit einem Benediktinerinnenkloster begann; sie umschließt Reformation, Kriege, Brände und Wiederaufbau. Im Eingangsbereich, an der „Klosterpforte“, fand ich ein Schild, auf dem zu lesen war:

Information

Museum

Klosterladen

Kirchenbeitritt

Kirchenbeitritt! Ob schon jemand zur Pförtnerin statt „Ich hätte gern eine Apfelschorle“ „Ich würde gern der Kirche beitreten“ gesagt hat? Gibt es einen Notfallplan für diesen Moment?

Eines jedenfalls ist schon da: ein stilechter Türklopfer. Denn an eine Klosterpforte muss man natürlich anklopfen. Ein wunderschön geschmiedeter Löwen-Katzen-Menschenkopf, vermutlich eine moderne Arbeit.


Endlich Fachwerk

Ich liebe Fachwerk, und ich kann nicht müde werden, es zu zeichnen. Fachwerk ist die Form, die der Funktion auch dort folgt, wo Dekor hinzukommt, Fachwerk ist gebautes Mandala.

Um so unverständlicher, dass ich in der ersten Reisewoche kein einziges zu Papier gebracht habe, obwohl die Orte davon überquollen. Mal schien die Sonne aus der falschen Richtung, mal lockte ein Stück Romanik oder ich war schlichtweg zu müde.

Vorgestern, in Witzenhausen, stimmt endlich alles. Dabei hat der Tag mit einem Schreck und einer Verspätung begonnen: der Fahrradakku war am Morgen noch genau so leer gewesen wie am Abend nach einer langen Tour gegen den Wind. Also hieß es, mich in Geduld zu fassen, den wunderhübschen kleinen Kurbezirk von Bad Sooden zu genießen (die Zeichnung wird dennoch nicht fertig) und gegen zwölf endlich abzufahren.

Gegenüber einem besonders attraktiven Fachwerkhaus findet sich ein Sitzplatz im Café „Runde Ecke“. Im Gegensatz zu meinem Zeichenobjekt ist das Café unperfekt und unsaniert, ein alternativer Laden, der aussieht, als wäre er geradewegs aus den 90ern und einer Großstadt hierher versetzt worden. Hier bringe ich zwei glückliche Stunden zu, trinke Streuobstwiesenapfelschorle und Kaffee mit Hafermilch, während das „Sommermannsche Haus“ auf dem Papier allmählich Gestalt annimmt.


Im Frühling

Den Sonntag des langen Wochenendes vor dem 1. Mai verbringe ich in Eisenach. Ich treffe mich mit einer ortskundigen Freundin, die, um dem Gedränge in der Innenstadt oder auf der Wartburg zu entgehen, einen Spaziergang durch die Drachenschlucht vorschlägt. Nun ja: ich habe einmal gelesen, dass man in Japan in langer, nicht enden wollender Reihe den Fujiyama besteigt. Uns ergeht es ähnlich, wir quetschen uns mit hunderten anderen durch die bemooste Enge.

An eine Zeichnung ist nicht zu denken. Später am Tag haben wir mehr Glück: im weitläufigen Gelände von Schloß und Park Wilhelmsthal ist Platz für alle Spaziergänger (Spazierenden?), und auch die Zeichnerin kommt zu ihrem Recht.

Marstall und Kavaliershäuser von Schloss Wilhelmsthal

Am nächsten Tag fahre ich von Erfurt wieder auf den Werratal-Radweg zurück. Es trübt sich etwas ein, ein sanfter milder 1.Mai, in den hübschen Dörfern gibt es Bratwurst und Hoffeste; überall sind Familien unterwegs.

Im „Café Gisela“ (seit über dreißig Jahren eine Institution) gibt es zu Kaffee und dicken Tortenstücken einen riesigen Kirschbaum in schönster Blüte. Ich verzichte heldenhaft auf die Torte und nähre mich mit einer Zeichnung, bevor ich zu meinem Etappenziel Treffurt weiterfahre.


An der Grenze

Dass die Werra bis 1990 Grenzfluss war, hatte ich bei der Planung in Erinnerung gehabt, ohne darüber je näheres gewusst zu haben. Erst vor Ort wurde die Dimension dieses Umstandes fühlbar, ebenso die Folgen der Nachwende-Deindustrialisierung des Ostens.

In Vacha (gesprochen mit hartem „f“ wie „Fach“) ist beides mit Händen zu greifen. Während am rechten Werra-Ufer Hessen beginnt, führt der Weg über die Brücke in den thüringischen Ort. Anders als in den hübsch sanierten Dörfern und Städtchen, durch die wir bisher gekommen waren, regieren hier Verfall und Leerstand, der Lehm fällt aus den Gefachen der einst hübschen Häuser am Markt, Schaufenster sind mit Folie verklebt.

An der klassizistischen Stadtkirche finde ich überrascht dieses romanische Portal aus Bundsandstein aus der Gründungszeit des Ortes (der schon immer an Gebietsgrenzen lag.)

Am nächsten Tag fahre ich – von nun an allein unterwegs – nach Hessen hinein. Ich raste mit Blick auf das Kaliwerk Hattorf und habe beim Zeichnen genug Zeit, mich an die Nachwendejahre und den Abbau der ostdeutschen Industriestandorte zu erinnern.

Der Radweg mäandert mehrfach zwischen (ehemals) Ost und West und folgt damit den Grenzveräufen aus der Zeit der deutschen Kleinstaaterei. Die deutsche Teilung war das in dieser dicht besiedelten und vernetzten Region besonders schmerzhaft zu spüren gewesen.


Wieder unterwegs

Ich bin wieder unterwegs. Mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad, wie im vergangenen Jahr. Dieses Mal war ich mutig und hatte eine Anreise von Schwerin nach Thüringen eingeplant. Das Rad samt Taschen ist schwer und unhandlich, die Wahl fiel auf den Regionalverkehr seinen Fahrradabteilen und tiefen Einstiegen …

Bis ich in Erfurt, beim dritten Umstieg, fassungslos vor vier steilen Stufen stand. Zu meiner Freude waren zwei freundliche schwäbische Herren zur Stelle, die das Rad mit vereinten Kräften in den Zug und wieder hinaus wuchteten. Vielen Dank!

Nach einer Nacht in Meiningen ging es auf den Werraradweg. Es war frisch und klar, und bis auf ein paar Umwege (ich sage nur: Abkürzung!) kamen meine Freundin und ich gut voran. Der Zeichnerin gingen die Augen über von Fachwerk und Kirchenburgen … Bei einer Rast in Schwallungen entstand dieses Bild.