Nachtrag mit Postkarten

Dieses Jahr hatte ich wieder einige Aquarellpostkarten im Reisegepäck, daher folgt nach dem Verdener Abschluss noch einen Nachtrag. Auf Postkarten zu zeichnen lockert die Hand, das kleine Format verhilft zur Großzügigkeit. Besonders Rasten laden dazu ein, zufällige Orte am Weg. Koloriert werden sie meist nicht gleich und noch später – oder nie – abgeschickt.

Burg Polle an der Oberweser war ein solcher Ort. Eine Bank an einer Fähre, ein heiterer Sonntag voller Ausflügler … Kaum kann man sich vorstellen, dass die Burg, Ruine seit dem Dreißigjährigen Krieg, in der sogenannten Eversteiner Fehde von 13.000 Mann belagert worden war.

Der nächste Tag war trüb und kühl und zudem ein Montag, an dem alles geschlossen hatte. So konnte ich mir die Klosterkirche in Kemnade bei Bodenwerder nur von außen ansehen. Die Region ist überzogen mit einem Netz von Klöstern und Stiftskirchen romanischen Ursprungs in sehr unterschiedlichen Erhaltungsgraden.

Stift Fischbeck ist hervorragend erhalten und immer noch von (evangelischen) Stiftsdamen bewohnt. Daher ist nur die Kirche öffentlich zugänglich. Handwerker hatten eine Gartenpforte offen gelassen, so dass ich wenigstens einen Blick in die schönen Gärten unter alten Bäumen werfen konnte, doch zum Zeichnen mochte ich mich nicht niederlassen. Das Kircheninnere ist neoromanisch ausgemalt und wirkte auf mich unruhig und düster, auch ein riesiger Reichsadler samt Hohenzollernwappen an der Decke lud mich nicht zum Bleiben ein. So versuchte ich mich an einer Außenansicht der Apsis, die gerade restauriert wird. Erst beim Zeichnen merkte ich, dass bei einer der Umbauten ein barockes Fenster hineingebrochen worden war.

An diesem Tag war die Strecke teilweise wenig attraktiv gewesen, Kiestagebaue schoben sich zwischen Fluß und Weg. Um so schöner war es, im Estorfer „Scheunenwald“ zu rasten. Der Bau der Scheunen im Wald diente dem Brandschutz; man findet solche Anlagen in der Region noch an einigen Orten. In Estorf kümmert sich ein Verein um die erhaltenen Gebäude.

Am letzten Radtag, kurz vor Verden, hielt ich eine lange Rast auf einem Friedhof. Es war ein freundlicher Ort, der mauerlos in Wald und Wiese überging, unter einer alten Linde stand eine Bank; der Blick ging durch die allgegenwärtigen Weißdornhecken hindurch ins Freie.

Dieser Blick – ins Freie, ins offene Land – er ist wieder da, wenn ich diese Bilder noch einmal ansehe, ich höre noch einmal den Klang der Stille in den alten Dörfern, das Herz wird mir weit und die Zeichenhand freut sich auf die nächsten Bilder …


Verden an der Aller

Bald nachdem ich angefangen hatte meine Tour zu planen, wusste ich, dass sie in Verden enden sollte. Mit etwas Nachdruck hätte ich es bis Bremen schaffen können, doch wer will nach drei Wochen unter freiem Himmel schon in eine Großstadt?

Nähert man sich der Stadt von der Flussseite, hat man den Eindruck, ins frühe 19.Jahrhundert zu reisen: keine Vorstadt verstellt den Blick auf die alte Stadtsilhouette mit ihren Türmen und Kirchen, aus denen wuchtig und mächtig der Dom hervorragt.

Ich hatte mir noch einen Abschiedstag in Verden gegönnt, so konnte ich es langsam angehen lassen. Es war kalt und windig geworden, zwischendurch regnete es immer mal kräftig, so dass ich mich lange im Dom aufhielt. Der Verdener Dom, der von außen massig aussieht, ist innen hell und licht und weit. Im 19.Jahrhundert wurde er neugotisch umgestaltet; in den 1960er Jahren kam bei der letzten Renovierung eine ungewöhnliche Farbfassung dazu – cremefarbene Wände und eine dunkelrote Decke. Moderne Glasfenster in warmen Farben sorgen für eine heitere, erhebende Lichtstimmung.

Doch was zeichnet man an einem solchen Ort? Ein gotischer Raumeindruck überfordert schnell die Möglichkeiten eines kleinen Skizzenbuches, im Kreuzgang war es kalt und windig … und der Chorraum mit Taufstein und Altar von einer Kordel abgesperrt. Am Ende hoffte ich auf den Zeichnerbonus und umging die Absperrung (nicht ohne mich an einer Dame zu stören, die es mir bald darauf gleichtat und allem heiligen Gerät mit ihrem Handy zu Leibe rückte.)

Dann aber wurde es still und ich konnte in aller Ruhe den schön verzierten alten Stein zeichnen.

Am Abend – noch immer segelten hochgetürmte Wolken über den Himmel – radelte ich noch einmal vor die Stadt, um die wunderbar altmodische Stadtansicht in der Abendsonne zu zeichnen. Am nächsten Tag würde ich mich durch das Vorfeiertagsgedränge in Richtung Schwerin aufmachen:

Man sah es den Wegen im Abendlicht an, dass es Heimwege waren.

Robert Walser

Fachwerk mit Vogelschiss

Seit fast zwei Wochen bin ich wieder zu Hause, und während Wohnung und Wäsche sich wieder in die alte Ordnung gefunden haben, verlieren die Orte entlang des Flusses die ihre schon wieder – jedenfalls in meinem Kopf.

Nienburg, so erinnere ich mich, war die drittletzte Station. Aus meinem Hotel hatte ich einen malerischen Flussblick, unter dem Fenster rauschte ein alter Mühlbach; ich hätte dort sitzen bleiben mögen … Natürlich tat ich das nicht, sondern lief ein bisschen umher auf der Suche nach einem schönen Zeichenblick. Passende Bänke waren nicht zu haben, eine Bordsteinkante unter den Linden auf dem Kirchplatz bot sich als Kompromiss an: Das schiefe und sich gegenseitig stützende Fachwerk lockte.

Es war ein schönes Motiv, der Füller glitt wie von allein über das Papier, als – klatsch! – ein Vogelschiss am Rand meines Blattes landete. Verwerfen? Viel zu schade! Ich wischte das grünliche Malheur weg; der Rest verfärbte sich rasch in ein unauffälliges Braun und ich zeichnete fröhlich weiter. Von der Vogelkolorierung abgesehen, blieb das Bild an dem Abend schwarzweiß – bis zur Farbe mochte ich nicht auf der harten Bordsteinkante sitzen.

Heute war es soweit, dass ich das Zeichenbuch wieder zur Hand nahm, hin und her wendete und – same procedure as every year – überlegte, in welcher Weise ich es abschließen könnte. Manche Bilder bleiben „unfertige“ Erinnerungen nur für mich, andere werden – Vogelschiss hin oder her – noch ein bisschen hübsch gemacht, bevor sie gezeigt werden können.


Die anthroposophische Windmühle

Inzwischen sind einige Tage vergangen, davon zwei Regentage, die das Draußen-Zeichnen eingeschränkt und mich ins Thermalbad gelockt haben – ohne Skizzenbuch. Ich bin, den Schleifen der Weser folgend, durch die Porta Westfalica gefahren, habe einen Abstecher nach Bückeburg gemacht und fahre nun durch die norddeutschen Tiefebene.

Passend zum hier fast immer wehenden Wind reiht sich Mühle an Mühle, es gibt eine „Deutsche Mühlenstraße“ und auch ich bin in einem Landgasthof an einer Mühle abgestiegen. Gestern Abend lag sie im schönsten Abendlicht. Als ich anfangen wollte, sie zu zeichnen, stellte ich fest, was für eine ungemein knifflige Perspektive so eine Mühle hat: es gibt, bis auf die Fensterrahmen, keine rechten Winkel! Um die komplexe Form zu erfassen, entschloss ich mich, wenn das Licht auch noch so lockte, zu einer Bleistiftzeichnung.

Anthroposophische Baumeister bevorzugen organische Formen, der rechte Winkel ist bei ihnen verpönt – diese Mühle hätte ihnen sicher sehr gefallen.