Zweimal Denkmal

Zum Tag des offenen Denkmals hatte ich in Schwerin die Auswahl zwischen dem Logenhaus der Schweriner Freimaurer – ich hatte es vor Jahren einmal von außen gezeichnet – und zwei von den drei Kirchen, die ich im Frühjahr erradelt hatte. Bei den Freimaurern würde es, so fürchtete ich, voll werden und ich vielleicht nicht zum Zeichnen kommen; ich entschied mich für die Kirchen.

Als ich an der Kirche von Kirch Stück ankam, sah ich es deutlich vor meinem inneren Auge, das Datum: 11.09.22. Es war allerdings erst der 4. Umkehren? Ich erinnerte mich, dass die zweite Kirche, nur wenige Kilometer entfernt, im März ganz ohne Denkmalanlass offen gewesen war; so auch an diesem Tag. Die Trebbower Kirche ist der gleiche Bautyp wie die im stillen, (gott)verlassenen Prestin – ein schlichter Hallenbau ohne Turm, mit Spitzdach, gerundetem Chorraum, einem kleinen Sakristeianbau an der Südwand und einem frei stehenden Glockenstuhl.

Still war es auch hier, eine belebte und bewohnte Stille. Am Friedhofstor schon begrüßte mich das „Offene-Kirche“-Schild, es passte zur einladenden und freundlichen Atmosphäre des Ortes.

Dorfkirche Groß Trebbow bei Schwerin, aquarelliert in meinem etwas „wilden“ Leporello.

Bevor ich hineinging, ließ ich mich im Moos unter alten Bäumen nieder und stellte dieses Bild fast fertig; zuhause vertiefte ich nur die Schatten ein wenig.

Im Innern erwartet die Besucherin freundlich-naives Barock an Kanzel und Altar; Voluten, Knorpelwerk und pausbäckige Engel. Als Kanzelträger, im dunklen Untergrund, erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar, fungiert eine düstere Maske mit gelben Augen.

Am folgenden Sonntag war dann wirklich der Tag des Offenen Denkmals und ich radelte noch einmal ins nahe gelegene Kirch Stück, um die vielfach im Vorbeifahren gesehene Kirche endlich einmal von innen kennenzulernen. Für eine Dorfkirche ist sie bereits im Mittelalter wertvoll ausgestattet worden, u.a. beherbergt sie eine der ältesten Glasmalereien Mecklenburgs.

Meine Blicke wurden sofort von dem grob in Granit gehauenen Taufstein angezogen. Man weiß nichts zuverlässiges über diese Steine; sie künden von Vorfahren, die außer ihnen nichts Steinernes und auch nichts Schriftliches hinterlassen haben und denen man später das Etikett „Heiden“ aufdrückte. Ich habe solche Taufsteine schon mehrfach gezeichnet, in Mecklenburg und sogar in Franken.

An der Stirnseite der Kirche steht ein fröhlich-bunter gotischer Altar mit der üblichen Aufreihung von Heiligen in den Seitenflügeln. Der Mittelteil ist von erzählenden Szenen rund um Jesu Hinrichtung ausgefüllt; dazu kommt der heilige Georg, dem die Kirche geweiht war. In schönster Märchenmanier erlegt er den Drachen, während die Prinzessin für den guten Ausgang der Geschichte betet.

St.Georg erlegt den Drachen – Mittelteil des Altaraufsatzes der Kirche in Kirch Stück bei Schwerin. Diese Seite des Leporellos hatte ich mich einem Papier grundiert, in dem Blattstücke verarbeitet sind.

Von Gärten und Menschen

Am Gründonnerstag hatte ich den Fisch erst aquarelliert und dann gegessen, um am Karfreitag hier darüber nachzudenken, wie Madame Maigret ihn wohl zubereitet hätte. Dann stockten Stift und Tastatur. Um nun, sechs Wochen später, allmählich, wieder in Gang zu kommen.

Wie immer galt es, sich von der Vorstellung zu trennen, Bilder fertig zu stellen, die nicht mehr waren als ein paar Striche auf dem Papier, es galt, tagelang offen gelegen habende Bücher zuzuklappen und sich an die Marker zu halten, denn die Füller sind in solchen Zeiten meist eingetrocknet.

Heute trafen sich die Schweriner Urban Sketchers im ehemaligen Herzoglichen Küchengarten, von dem eine Mauer wie zu Friedrich Franz‘ Zeiten den Westwind fern hält – ein guter Platz für diesen stürmischen Tag. Rosen, so dachte ich mir, wachsen auch in meinem eigenen Garten (wer sie daran hindert, wird gleich noch zur Sprache kommen), also hielt ich mich an die Bartiris.

Noodler’s Bulletproof Lexington Grey war zum Glück noch nicht eingetrocknet – so dass ich sogar mit Füller zeichnen konnte.

Die Rosen in meinem Terrassengarten blühen seit gut einer Woche. Doch kaum waren die ersten Blüten erschienen, sah ich auf den ersten Blättern tief unten im Strauch den Feind: Diplocarpon rosae, den Sternrußtau, einen Pilz, der auf meiner den halben Tag beschatteten Terrasse leichtes Spiel hat. Kaum gelingt es den Sporen, sich an einem Blatt festzuklammern und dort ein paar feuchte Stunden zu verweilen, entstehen hässliche schwarze Flecken, die sich mit schwarzen Pilztentakeln ausbreiten und dem Blatt in Windeseile alles grüne Leben aussaugen – es stirbt ab, fällt zu Boden und mit ihm Hunderte von Sporenpäckchen, auf ihre Zeit warten.

Ein Rosenblatt mit Sternrußtau – bei allem Ärger ein interessantes Zeichenobjekt.

Vergangene Woche brachte ich einen ganzen Tag zeichnend im Park Sanssouci zu – ein reines, lange nicht gefühltes Glück und eine gute Gelegenheit, die Hand-Auge-Koordination wieder in Gang zu bringen. Am frühen Abend saß ich in einem der Rondelle, zu denen die Hauptallee sich weitet, und zeichnete „Paris entführt Helena“ im „Entführungsrondell“ – eine sich windende und zappelnde Marmorschönheit neben der anderen …

Und wo bleiben die Menschen? Die, die nicht aus Marmor sind? Natürlich sind sie da, ohne sie wäre der Garten kein Garten und der Sternrußtau einfach nur ein Stück Natur, von Statuen mit zweifelhafter und ganz und gar unzeitgemäßer Botschaft ganz zu schweigen. Mit dem Zeichnen von Menschen allerdings ist da so eine Sache – das will erst wieder geübt werden. Daher zum Schluss noch eine Caféhauszeichnung von Anfang April, als die Schweriner Sketchers sich das vorige Mal trafen – weiser Wettervoraussicht drinnen zum Frühstück …


Rembrandt

Von Karlsruhe aus waren wir nach Frankfurt gefahren, um uns im Städel-Museum die große und am vorletzten Tag trotz Zeitfenster-Ticket rappelvolle Rembrandt-Ausstellung anzusehen. Abgesehen davon war sie in jeder Hinsicht ein Genuss, klug kuratiert, die Bilder hervorragend gehängt und ausgeleuchtet, von gerade der richtigen Menge an Informationen begleitet.

Nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte, konzentrierte ich mich auf zwei Bilder. Ich zeichnete sie vor Ort mit Bleistift und später, im Hotel, im Zug und auch noch zu Hause mit verschiedenen Medien.

Das erste war „Ganymed in den Fängen des Adlers“, eine Leihgabe aus der Dresdner Gemäldegalerie, und eben dort hatte ich es schon als Kind kennengelernt. Meine Mutter hatte vergeblich versucht, mir die Komik des Dargestellten begreiflich zu machen – ich kannte zwar schon die Grundzüge der griechischen Mythologie, doch für diese Art von Ironie war ich noch zu jung.

Der Mythos von Ganymed berichtet davon, wie Zeus, der Göttervater, sich in den schönen Jüngling Ganymed verliebt, ihn in Gestalt eines Adlers in die Höhe hebt und in den Olymp trägt, wo er fürderhin den Göttern als Mundschenk zu dienen hat. Nun, bei Rembrandt ist kein schöner Jüngling zu sehen, sondern ein plärrendes, zappelndes, pinkelndes Kleinkind – was soll das?

Eine Übung in Kreuzschraffur an einem Ausschnitt aus Rembrandts „Ganymed“

Beim Nachlesen stellte ich überrascht fest, dass der Mythos im christlichen Kontext der frühen Neuzeit eine Wandlung erfahren hatte: Aus der homoerotisch aufgeladenen Geschichte wurde eine Allegorie auf die Himmelfahrt einer reinen Seele – gern auch angewandt auf früh verstorbene Kinder. Ganymed als Kind darzustellen war also zu Rembrandts Zeit nichts Ungewöhnliches, wohl aber als solches Kind. Beim Abzeichnen fiel mir bereits einiges auf, was ich bisher übersehen hatte: die Kirschen in der linken Hand (bei mir passten sie nichts aufs Bild), die Goldstickerei am Gewand und vor allem die prominent dargestellte rotgoldene Quaste.

Auch wenn die genauen Umstände nicht rekonstruierbar sind – so weiß man nichts über den oder die Auftraggeber des großen und repräsentativen Gemäldes – bietet sich die Lesart an, dass es sich um eine Allegorie von der Art einer Vanitas- oder Narrenschiff-Darstellung handelt, ein Memento Mori. Die Quaste jedenfalls ist ein im Gegensatz zu Schellenkappe in Vergessenheit geratenes Beiwerk eines Narren.

Das zweite Bild, dass es mir angetan hatte, ist unter dem Titel „Junge Frau im Bett“ bekannt. Auch hier kennt man die Einzelheiten der Entstehung nicht; Form und Machart des Bildes sprechen dafür, dass es einmal die Tür eines Alkovens, einer Schlafkammer, schmückte.

Das Bild war schön gehängt und man konnte es sich genau ansehen. Diese Dame schaut vermutlich nach der Signatur.

Hier war mir der Hintergrund der Geschichte nicht wichtig, mich faszinierte die geradlinige und natürliche Erotik der Darstellung. Eine – vielleicht gar nicht mehr so – junge Frau erwartet ihren Mann im Bett. Sie hat ein hübsches, etwas großflächiges Gesicht mit kräftiger Nase, große Hände und weiche, weiße Haut, passend zum rötlichen Haar. Ich konnte mich nicht satt sehen an diesem Bild und zeichnete es mehrmals vor Ort und später vom Foto.

Meine letzte Abzeichnung, 14×14 cm im Toned Watercolour Book von Hahnemühle mit sehr feinem Marker und Wasserfarbe.

Tagebuch

Hinter mir liegt ein interessantes Jahr und vor mir acht Wochen Sabbatzeit. Bloß nicht zu viel vornehmen! Und interessant, ja, interessant brauche ich es im Moment eigentlich auch nicht, eher im Gegenteil. Zum Zeichnen bleibt stets genug Stoff, ich muss nur beginnen.

Immerhin, drei Tage lang hat es schon funktioniert.

Das erste Bild ist ein Klassiker, abends um neun tief in der Wohlfühlzone gemalt: eine Blume vom Fensterbrett.

Danach kam Silvester. Alle Gäste waren abgefahren, Zeit für das, was man gegen alle Erfahrung gern mal dem Weihnachtsfest zuschreibt: Besinnlichkeit. Nachdem ich die offenen Rechnungen beim Büro für gute Vorsätze beglichen hatte – ich sage nur: Auto waschen! – ging ich nach langer Zeit endlich wieder einmal zum Gottesdienst. In der schönen gesammelten Stimmung klangen die Lieder von Paul Gerhardt über eine Brücke von fast vierhundert Jahren zu mir herüber: „Gib mir und allen denen/ die sich von Herzen sehnen/ nach dir und deiner Hulde/ ein Herz, das sich gedulde.“

Zu Hause suchte ich erst nach dem Lied – es gibt auch eine Mitsingversion – und las dann über dessen Dichter, über eine Existenz zwischen den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges, der Pest und dem ganz gewöhnlichen Unglück in einer Zeit, in der Kinder und deren Mütter oft genug vor den Vätern starben. Anders als viele seiner Epoche beschwor er in seinen Texten einen gütigen, segnenden Gott – und war gleichzeitig ein intoleranter Streiter für das, was er für den rechten Glauben hielt.

Auch wenn ich in diesem Jahr keine Fischsoljanka zu kochen hatte – nur echt mit Süßwasserfisch! – war ich beim Fischhändler meines Vertrauens gewesen. Geräucherter regionaler Karpfen war leider ausverkauft. So hatte ich mich mit einer Makrele begnügt und mich daran erinnert, wie groß in meiner Kindheit die Freude über solch einen Beutezug gewesen war – im Gegensatz zum grätenreichen Bückling, den gab es alle Tage.

Alle drei Bilder habe ich in dem kleinen quadratischen „Toned Watercolour Book“ von Hahnemühle gemalt, mit Aquarellfarben, Füller, Markern und Buntstiften.


Im Appenzellerland

Käse, klar, Käse. Und vielleicht noch die Sache mit dem Frauenwahlrecht, mehr wäre mir nicht eingefallen zum Appenzellerland, bevor ich es zwei Tage lang durchwandert hatte. Um ehrlich zu sein – ich wusste nicht einmal, dass mein Weg dort hindurchführen würde. Das merkte ich erst in einem kleinen Gasthaus mit dem Namen „Kantonsgrenze“. Dort zeichnete ich, was ich vor Augen hatte – einen Traktor -, wobei ich neugierig vom Haushund beäugt wurde.

Der Weg führte mich durch Orte, deren Charakter ich nur schwer ausmachen konnte. Es gibt kein Haupttal, sondern mehrere parallele Höhenzüge, die sich in annähernd west-östlicher Richtung in ca. 800 bis 1000 Metern Höhe ausbreiten. Darauf, so sieht es die Besucherin, hat ein Riese seine Bauklötze ausgeschüttet – scheinbar wahl- und richtungslos stehen die Häuser, etwas konzentrierter um die Straßen herum, doch letztlich in der ganzen Landschaft verteilt. Dazwischen Wiesen mit, klar, Kühen, auch mal ein Mehrfamilienhaus oder ein öffentliches Gebäude, das an eine eher städtische Gegend denken lässt.

Und durch all das hindurch fährt eine Straßenbahn! Über Brücken, ziemlich enge Kurven und steile Gefälle fährt ein roter Straßenbahnzug. Und zwar, als Deutsche kann ich es kaum fassen, im 20-Minuten-Takt.

Und dann stand ich auf dem Dorfplatz von Trogen, der keiner ist und auch nicht so aussieht. Ein großer gepflasterter Platz, von ebenso unregelmäßigem Zuschnitt wie alles hier, ist umgeben von großen, vier- bis fünfgeschossigen Barockhäusern mit monotonen Fensterreihen in schmucklosen Fassaden.

Ich fühlte mich wie vor einem Bild von … vielleicht Escher. Jedes Einzelteil stimmt, und zusammen betrachtet, bereitet es einem leichten Schwindel. Der verschwand erst, als ich ein bisschen nachlas: Die großen Häuser sind die „Zellwegerschen Paläste“, Verwaltungs- und Wohngebäude der im 18.Jahrhundert reichen und mächtigen Handelsfamilie Zellweger. Und der Platz ist der „Landsgmeindeplatz“, der Ort, an dem sich bis 1995 zweijährlich die „Landsgmeinde“, eine Bürgerversammlung, man kann auch sagen, eine Art Thing, traf. In einigen Schweizer Kantonen, so fand ich heraus, gibt es solche Einrichtungen bis heute.

Am nächsten Wandertag gönnte ich mir wenigstens noch die Zeit für eine kleine Skizze dieses Ortes, von der ich hoffe, dass sie mein Erstaunen zumindest ein bisschen widerspiegelt. Als ich aufbrach, war es schon wieder so warm geworden, dass ich die Einladung eines schattigen Platzes an der „Großen Säge“ im Wald gern annahm, dort noch ein ein eher „normales“ Appenzellerhaus zu skizzieren. Danach stieg ich über den Ruppenpass, um mich im Kanton St.Gallen wiederzufinden – denn die „beiden Appenzell“ sind komplett von ihm umschlossen. Vielleicht hatte ich daher über sie bis jetzt so wenig erfahren?


Zwei alte Männer

Das Staatliche Museum Schwerin beherbergt einen großen Schatz an niederländischen Bildern des Goldenen Zeitalters; denen habe ich mich bei meinem letzten Besuch gewidmet.

Das „Bildnis eines alten Mannes“ kannte ich schon von einer früheren Sonderausstellung. Es ist lange für einen Rembrandt gehalten worden, was bei der beeindruckenden Präsenz des Dargestellten und der hohen malerischen Kunst nicht verwundert – erst 2008 hat man es eindeutig Rembrandts Atelierkollegen Jan Lievens zugeschrieben. Es handelt sich um eine sogenannte „Tronie“, eine Porträtstudie. Tronien hatten eine vergleichbare Entwicklung von der Vorstudie zum eigenständigen Kunstwerk genommen wie unsere heutigen „Skizzen“. (Die vermutlich bekannteste Tronie ist der „Mann mit dem Goldhelm“, der ja ebenfalls nicht, wie lange vermutet, von Rembrandt stammt.)

Ich hatte das Blatt (Stillman&Birn Zeta) mit etwas gelber und grüner Aquarellfarbe grundiert und vor Ort mit Kugelschreiber gezeichnet. Die Farbe (und noch mehr Kugelschreiberschatten) kamen dann zu Hause. Kugelschreiber habe ich lange ignoriert – er ist ein wunderbares und vermutlich unterschätztes Zeichengerät – ähnlich wie Bleistift schmiert er allerdings.

Von ganz anderer Art ist Nicolaes‘ Mooeyaerts „Älterer Mann mit Handschuhen“. (Letztere muss man auf dem stark nachgedunkelten Original eine Weile suchen.) Hier verdient sich niemand mit Modellsitzen ein paar Geldstücke, sondern ein reicher und mächtiger Mann schaut mit der selbstbewussten Jovialität seines Standes aus dem Bild. Das Schwarz seiner Kleidung ist von puritanischem Understatement – auf den zweiten Blick erkennt man Seide und Brokat.

Ich habe mich hier anfangs mit Tinte in verschiedenen Farben versucht; als mich aber der braune Füller im Stich ließ, kamen mir die lange vernachlässigten PITT-Pens zur Hilfe, für die das glatte feste Papier ideal ist. (Beide Bilder sind Beginn eines Versuchs, meinen Stil durch „neue“ Materialien etwas aufzulockern.)


Frauenkirche

Hier nun das dritte und letzte Bild meiner Dresden-Reise, entstanden samstagmorgens an der Elbe. Ich war früh auf, und bevor noch mein Frühstückscafé öffnete, setzte ich mich in einen kleinen, um diese Zeit natürlich verlassenen Biergarten am Elbufer. Vor mir lag das berühmte Panorama im Morgenlicht, anfangs noch sanft und verhangen, später in greller stechender Sonne.

Deren Licht einzufangen war nicht einfach und (für mich) letztlich nur um den Preis von viel Blau am Himmel und viel Grau in den Schatten zu haben. Auf stützende Tintenlinien zu verzichten fiel mir nicht leicht, immer wieder zuckte die Zeichenhand zum Füller; am Ende kam er dann mit einem kleinen Stück Schrift zum Einsatz.

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Die Dresdener Frauenkirche im Morgenlicht. Aquarell auf Stillman&Birn Beta.


Kehrwieder, o Sulamith

In meinem letzten Greifswalder Studienjahr, im Winter 1983/84, hörte ich von einem altertümlichen Spulentonband zum ersten Mal einen Sänger mit neuen, ungewohnten Liedern: distanziert, etwas altklug und treffsicher bis mitten ins Herz. Letztes Wochenende, 35 Jahre später, hatte ich das Glück, diesen Sänger, dessen Musik mich seitdem begleitet, live in Greifswald hören zu können: Heinz Rudolf Kunze im lange vorher ausverkauften Dom.

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Wäre ich ein Embryo dann wählte ich trotz allem jetzt und auch in Zukunft die Geburt. Heinz Rudolf Kunze im Greifswalder Dom.

Am nächsten Morgen bin ich dann noch einmal in den Dom gegangen. Es war morgenhell und trotz der werkelnden Bandcrew auf eine gewisse Weise still; ich schaute mir die noch weitgehend unrestaurierten barocken Kapellen im Chorumgang an. In einer lud eine schön verzierte Tür zum Zeichnen ein, und erst als ich schon damit angefangen hatte, las ich, was in verschnörkelter Fraktur darauf stand: Kehrwieder, o Sulamith.

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Detail einer barocken Kapellentür im Greifswalder Dom mit der Inschrift „Kehrwieder, o Sulamith“ (Eine altertümliche Übersetzung aus dem Hohen Lied, Kap. 7, 1.)


Hundertfaches Glück

Zeichnen macht glücklich, das weiß jeder, der es gelegentlich praktiziert. Wie glücklich es macht, mit hundert anderen gemeinsam zu zeichnen, durfte ich am letzten Wochenende beim Deutschlandtreffen der Urban Sketchers im holsteinischen Städtchen Eutin erfahren.

Was machen 100 Zeichnerinnen und Zeichner, die sich besser kennenlernen wollen? Natürlich, sie zeichnen sich erst einmal gegenseitig. Daher gab es am Freitagabend eine Porträtparty mit lustigen Mini-Skizzen auf Bierdeckeln. Ich habe die Idee später noch einmal aufgegriffen und als Lockerungsübung die Nieten aus der Tombola zu Hauptgewinnen verarbeitet.

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Die Nieten aus der Tombola (jeweils gut 4×4 cm groß) habe ich in mein Skizzenbuch geklebt und für eine kleine Lockerungsübung genutzt.

Die Workshops wurden ausgelost, und so fand ich mich Samstag Vormittag auf einem Parkplatz wieder – „Autos in der Stadtlandschaft“ war das Thema. Dave Robb, ein prominenter Motoraddesigner, lehrte uns vor allem eins: bei Form und Farbe genau hinzusehen und unsere Bilder im Kopf zugunsten der Wirklichkeit loszulassen. Zen oder die Kunst, ein Auto zu zeichnen.

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Ein blauer Mini hat viele Farben.

Sehr bereichernd auch der Nachmittagsworkshop mit Nicola Maier-Reimer, bei dem es darum ging, die Aussagekraft des eigenen Bildes durch geeignete Komposition zu unterstreichen, und, vorher noch, für mich selbst herauszufinden, „welche Geschichte mein Bild erzählen will“. Autos? Menschen? Historie? Was steht im Mittelpunkt? Für mich wurde es ein Konvolut von Schildern und Schatten.

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Schilderwald und Schattenwurf.

Sonntag dann offenes Zeichnen (mit vielen zusätzlichen Gästen; das Treffen der beiden ersten Tage war leider auf 100 Teilnehmer begrenzt) und nachmittags eine – wie das ganze Wochenende von Ehrenamtlichen hervorragend organisierte! – Ausstellung der Resultate. Am Vormittag flanierte die „Societé du Baroque“ durch das herrliche Spätsommerwetter in Schloss und Park.


Goldengel und graue Schlange

Königsfeld auf dem Fränkischen Jura hat nicht nur ein Gasthaus mit Stammtisch zu bieten, es hat auch Geschichte. Der Name Königsfeld erinnert an eine karolingische Pfalz, die Kirche ist noch heute mit Mauern und Toren als Wehrkirche befestigt, und alles atmet den Geist eines sehr alten Siedlungsplatzes.

Im Innern geht es hübsch barock zu, besonders die Kanzelengel hatten es mir angetan. Leider habe ich den pfiffig-verschmitzten Ausdruck nur bedingt einfangen können.

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Barocker Engel an der Kanzel der Königsfelder Kirche.

In einer Nebenkapelle stieß ich dann auf ein Glasfenster mit einer Mondsichelmadonna, der Machart nach vermutlich um 1900 entstanden. Ich stand auf Augenhöhe mit dem zarten Madonnenfuß, der die Schlange der Sünde zertritt, und war sowohl von der feinen Grisaille-Arbeit als auch von der naturalistischen Darstellung des Schlangenkopfes beeindruckt.

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Detail einer Glasmalerei in der Marienkapelle in Königsfeld. Besonders hat mir die an eine Schwarzweißfotografie erinnernde Darstellung von Schlange und Apfel gefallen. PITT-Pens und etwas Wasserfarbe in S&B Zeta.

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