Schwerin

Seit ich mit dem Rad zur Arbeit fahre, gehe ich weniger spazieren. Und sehe weniger von der Stadt. Da braucht es erst Besucher aus Berlin, Hamburg und München, um mir die Augen zu öffnen.

Letzten Mittwoch war das, ich hatte mir den Nachmittag frei genommen und saß mit den Gästen zuerst am Schelfmarkt. Unter den vielen möglichen Blicken wählte ich einen mit angenehmer Sitzgelegenheit im Schatten; das blaue Auto kam mir gerade recht.

Danach erst, als die Tagestouristen schon allmählich aufbrachen, ging es Richtung Schloss. Zielsicher steuerte ich die Westbastion an, die Bank im Mauerschatten mit Blick auf den Turm. Irgendwann muss ich hier schon einmal gezeichnet haben; die Suchfunktion lässt mich im Stich und straft die Legende Lügen, ich könnte mich an alles erinnern, das den Weg in meine Skizzenbücher gefunden hat.


Ein Traktor namens Belarus

Letztes Wochenende war ich mal wieder im mecklenburgischen Dörfchen Bellin. Pflanzenstudien standen auf dem Programm, eine dankbare Aufgabe zu Mittsommer. Wir waren zu dritt und erfreuten uns an Mohn und Johanniskraut, an Königskerze und Natternkopf. Doch mein Favorit war, ich gebe es zu, der Traktor am Wiesenrand. Noch bevor ich am Freitag Nachmittag das Haus betrat, nahm ich mir vor, ihn zu zeichnen.

Nachdem ich mich den ganzen Sonnabend über mit herzöffnender Akribie einer Königskerze gewidmet hatte, war am Sonntag der Traktor dran. Voller Rost und sichtlich in die Jahre gekommen stand er da, der angehängte Heuwender war deutlich jüngeren Datums. Die Schrift über dem Kühler war kaum mehr zu erkennen:

„Беларyсь“.

Ein Traktor sowjetischer Bauart, produziert von ca. 1965 bis 1985, ein Oldtimer mittlerweile, vielleicht nur wenig jünger als ich. Das Land, nach dem er benannt worden war, existierte zur Zeit seiner Produktion nur als Sowjetrepublik – auch das ist schon lange her.


Zwei mal zwei

In den letzten beiden Wochen hatte ich viel zu tun, zum Zeichnen kam ich immer nur sporadisch: zwischendurch im Einkaufszentrum ein paar Passanten (Üben! Üben!), die hier nicht gezeigt werden sollen. Das Objekt der Begierde vom letzten Wochenende konnte ich nur in Etappen fertigstellen, die letzte heute Abend am Zeichentisch. Dafür habe ich es gleich zweimal gezeichnet, einmal „normal“ – Linie zuerst – und einmal „color first“.

Ich hatte die alte Ludwigsluster Autowerkstatt schon lange ins Auge gefasst, immer fürchtend, jemand könnte sie abreißen oder auch nur zu Tode renovieren, bevor ich sie zeichne. Repariert wird da übrigens schon lange nichts mehr – sie dient als Carport.

Heute war Sonntag, in Schwerin gab es gleich zwei nette Märkte und ich hatte Zeichenzeit eingeplant. Die Marktbesucher (Üben! Üben!) gibt es hier nicht zu sehen, dafür gleich zwei Domblicke auf getöntem Papier. Für einen Vortrag will ich verschiedene Varianten von Negativräumen zeigen; dabei kam mir die Idee, dass auch der Himmel, zeichentechnisch gesehen, ein Negativraum ist, und was für einer! Variante zwei ist eine Übung in Gouache.


Autos in der Stadt

Mit den Autos ist das so eine Sache: Wie viele Errungenschaften des modernen Lebens werden sie lieber genutzt als gezeichnet. Ich nehme mich da selbst nicht aus, auch wenn ich sie seit seit dem hinreißenden Workshop von Dave Robb in Eutin mit anderen Augen sehe. Daves wichtigste Botschaft an diesem denkwürdigen Vormittag: Dieses blaue Auto ist nicht blau. (Sondern silbern, spiegelnd, leuchtend, grün, rot und und und …)

Als ich gestern Vormittag am Schweriner Schelfmarkt um die Ecke bog, um zum ersten Treffen der neuen Schweriner Urban-Sketcher-Gruppe (!) zu gehen, sprangen mir die im Schatten der Linden geparkten Autos ins Auge. Das wäre mein Motiv für nachher! Und, ja, es ist es dann auch geworden, auch wenn mir der dunkle Vordergrund vor dem hell orange leuchtenden Haus ordentlich was zu knabbern gab. Dafür hatte ich aber wirklich ein blaues Auto erwischt, noch dazu eins, an dem relativ viel Blau zu sehen war.

Für mein zweites Bild nahm ich mir eine Jugendstilfassade vor, die ich schon immer mal hatte zeichnen wollen. Obwohl ich beste Bedingungen vorfand dort im luftigen Schatten auf dem schönen alten Platz, biss ich mir an dem Motiv fast die Zähne aus – zu viel auf einmal, zu dünner Stift, zu glattes Papier … Und dann stand da auch noch dieses knallrote Auto … Sollte ich das überhaupt kolorieren? Ich sollte – und unversehens hatte ich mich mit dem Bild versöhnt. Auch wenn von der Jugendstilfassade nicht viel zu sehen ist.


Hundertfaches Glück

Zeichnen macht glücklich, das weiß jeder, der es gelegentlich praktiziert. Wie glücklich es macht, mit hundert anderen gemeinsam zu zeichnen, durfte ich am letzten Wochenende beim Deutschlandtreffen der Urban Sketchers im holsteinischen Städtchen Eutin erfahren.

Was machen 100 Zeichnerinnen und Zeichner, die sich besser kennenlernen wollen? Natürlich, sie zeichnen sich erst einmal gegenseitig. Daher gab es am Freitagabend eine Porträtparty mit lustigen Mini-Skizzen auf Bierdeckeln. Ich habe die Idee später noch einmal aufgegriffen und als Lockerungsübung die Nieten aus der Tombola zu Hauptgewinnen verarbeitet.

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Die Nieten aus der Tombola (jeweils gut 4×4 cm groß) habe ich in mein Skizzenbuch geklebt und für eine kleine Lockerungsübung genutzt.

Die Workshops wurden ausgelost, und so fand ich mich Samstag Vormittag auf einem Parkplatz wieder – „Autos in der Stadtlandschaft“ war das Thema. Dave Robb, ein prominenter Motoraddesigner, lehrte uns vor allem eins: bei Form und Farbe genau hinzusehen und unsere Bilder im Kopf zugunsten der Wirklichkeit loszulassen. Zen oder die Kunst, ein Auto zu zeichnen.

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Ein blauer Mini hat viele Farben.

Sehr bereichernd auch der Nachmittagsworkshop mit Nicola Maier-Reimer, bei dem es darum ging, die Aussagekraft des eigenen Bildes durch geeignete Komposition zu unterstreichen, und, vorher noch, für mich selbst herauszufinden, „welche Geschichte mein Bild erzählen will“. Autos? Menschen? Historie? Was steht im Mittelpunkt? Für mich wurde es ein Konvolut von Schildern und Schatten.

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Schilderwald und Schattenwurf.

Sonntag dann offenes Zeichnen (mit vielen zusätzlichen Gästen; das Treffen der beiden ersten Tage war leider auf 100 Teilnehmer begrenzt) und nachmittags eine – wie das ganze Wochenende von Ehrenamtlichen hervorragend organisierte! – Ausstellung der Resultate. Am Vormittag flanierte die „Societé du Baroque“ durch das herrliche Spätsommerwetter in Schloss und Park.