Landpartie

Letztes Wochenende, bei diesem unglaublichen Wetter, waren wir auf Landpartie. Zwischen grünen Wiesen und unter tiefblauem Himmel, noch ohne Lerchen, so saßen wir: meine kleinen Großnichten selig auf einem Pferderücken und ich – nicht minder selig – mit Stift und Block in der Landschaft.

Birnbaum in Alt Jassewitz. Kugelschreiber und Aquarell.

Am Nachmittag trennten sich die Wege, und ich fuhr ein paar Kilometer weiter nach Hohenkirchen, das seinen Namen zu Recht trägt. Als eine weithin sichtbare Landmarke steht die wuchtige gotische Kirche etwas oberhalb des Dorfes auf einem Hügel; zeitlos, wie es scheinen will, als wäre sie schon immer da gewesen.

Die Dorfkirche von Hohenkirchen bei Wismar

Zu meiner Freude war die Kirche geöffnet. Drinnen erwartete mich eine Überraschung: ein frühmittelaterlicher Taufstein, sichtlich älter als die gotische Kirche. Vieles spricht dafür, dass diese Art von Taufsteinen sogar älter ist als das offizielle Datum der Chrisianisierung Mecklenburgs. Sie legen Zeugnis ab von Glauben und Ritus bäuerlicher Volksgruppen, über die wir nur wenig Gesichertes wissen.

Der frühmittelalterliche Taufstein in Hohenkirchen. Das rechts unten als „Zopf und Schleife“ bezeichnete Motiv könnte einen Lebensbaum symbolisieren.

Der lang schon kränkliche Herr Hindelang

Ende März war ich auf einer Seminarreise im Allgäu. Wie immer zu solchen Anlässen, gibt es Zeichenmotive so viele, wie die Zeit knapp ist, sie umzusetzen; ich komme mit halbfertigen Skizzen nach Hause, deren Vollendung mit dem Aufarbeiten des ansonsten in Wohnung und Beruf liegen gebliebenen konkurriert.

Bei diesem Bild einer Grabplatte in der Annenkapelle von Oy kam noch hinzu, dass seine Ausführung mit Bleistift, Marker und Füller in unterschiedlichen Grautönen zwar technisch nicht anspruchsvoll war, ich aber einiges an Zeit damit zubrachte, die Inschrift und deren Bedeutung zu verstehen.

m Der Epitaph, eingelassen in die Wand des Kirchleins, vielleicht 70cm hoch, ist mit seinem Totenschädel für uns Heutige ein Hingucker. Das Symbol der Vergänglichkeit war damals auf Grabmälern weit verbreitet und hatte noch nichts von kindlichen Gruselspielen an sich. Dazu kommen in diesem Fall Kelch und Hostie als Hinweise auf den Beruf des Verstorbenen: er war Priester. Als „Beneficat“ war der lang schon kränkliche Herr Hindelang Dorfpfarrer und Inhaber einer Pfründe – eines mit dem Einkommen aus einem Stück Land verbundenen Amtes. Was heute für uns nach fett und faul klingt, reichte vermutlich seinerzeit in einem abgelegenen allgäuischen Dorf gerade zum Leben.

„Allhier gebohren“ wurde er 1763, vermutlich in kleinen Verhältnissen, und vielleicht war die Priesterweihe die einzige Möglichkeit, denen ein Stück weit zu entkommen? War er wirklich ein „Gutthäter“, oder gehörte das seinerzeit zum guten Ton auf dem letzten Stein? Wir werden es vermutlich nicht erfahren. Immerhin wissen wir, wann er – mit gerade einmal 39 Jahren – gestorben ist. Das verraten uns die rot hervorgehobenen Großbuchstaben im letzten, lateinischen Satz: als römische Zahlen ergeben sie in der Summe 1802 (in klassischer Reihenfolge geschrieben MDCCCII) – ein Chronogramm, wie auch der Totenschädel ein Stilmittel des eigentlich schon zu Ende gegangenen Barock.

 

fullsizeoutput_4e6

Grabplatte in der Annenkapelle in Oy/Allgäu.