The Universal Soldier (Eisenach 2)

Mauritius war, so erzählt die Legende, um das Jahr 300 n.Chr. Kommandeur einer aus Nordafrika stammenden römischen Legion. Die mehrheitlich christlichen Männer wurden nach Europa versetzt, um im Gebiet der Westalpen gegen die dortige christliche Bevölkerung eingesetzt zu werden; als sie sich weigerten, richtete man sie hin. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist heute nicht mehr nachprüfbar, doch bekam sie bald ein Eigenleben – Wunder geschahen, Kirchen wurden errichtet und irgendwann war der Heilige zum Schutzpatron von Kaiser und Heer geworden. Und schwarz. Man begann sich den aus Ägypten stammenden Offizier als einen Schwarzen Menschen vorzustellen, mit deutlich schwarzafrikanischen Gesichtszügen. In dieser Gestalt wurde er an vielen Orten verehrt, die erste Darstellung eines Schwarzen im Deutschland des Mittelalters findet sich im Magdeburger Dom.

Da der heilige Mauritius auch der Schutzheilige der Salzsieder ist, begegnet man ihm in Thüringen allerorten. So fand ich ihn in Eisenach in der ehemaligen Predigerkirche, in einer Ausstellung mittelalterlicher Schnitzplastik. Die meisten Exponate sind unrestauriert, in dem Zustand, in dem man sie aus renovierungsbedürftigen Dorfkirchen und modrigen Sakristeien geborgen hat.

Heiliger Mauritius, Hans Gottwald von Lohr, 1510

Ich sah die Skulptur im harten Licht eines Punktstrahlers, versehrt, ohne Hände und Füße, Gesicht und Rumpf von langen Rissen gespalten; ein passenderer Zustand wäre nicht denkbar gewesen für den Heiligen der Heere. Und ich erinnerte mich an das Lied aus den frühen 60ern, nur wenig jünger als ich.

He’s five-foot-two and he’s six-feet-four
He fights with missiles and with spears
He’s all of thirty-one and he’s only seventeen
He’s been a soldier for a thousand years …

Buffy Sainte-Marie

(Vor Ort machte ich im Stehen zwei kleine Skizzen, die mir später ungelungen schienen, so entstand dieses Zeichnung zu Hause.)


Zweimal Denkmal

Zum Tag des offenen Denkmals hatte ich in Schwerin die Auswahl zwischen dem Logenhaus der Schweriner Freimaurer – ich hatte es vor Jahren einmal von außen gezeichnet – und zwei von den drei Kirchen, die ich im Frühjahr erradelt hatte. Bei den Freimaurern würde es, so fürchtete ich, voll werden und ich vielleicht nicht zum Zeichnen kommen; ich entschied mich für die Kirchen.

Als ich an der Kirche von Kirch Stück ankam, sah ich es deutlich vor meinem inneren Auge, das Datum: 11.09.22. Es war allerdings erst der 4. Umkehren? Ich erinnerte mich, dass die zweite Kirche, nur wenige Kilometer entfernt, im März ganz ohne Denkmalanlass offen gewesen war; so auch an diesem Tag. Die Trebbower Kirche ist der gleiche Bautyp wie die im stillen, (gott)verlassenen Prestin – ein schlichter Hallenbau ohne Turm, mit Spitzdach, gerundetem Chorraum, einem kleinen Sakristeianbau an der Südwand und einem frei stehenden Glockenstuhl.

Still war es auch hier, eine belebte und bewohnte Stille. Am Friedhofstor schon begrüßte mich das „Offene-Kirche“-Schild, es passte zur einladenden und freundlichen Atmosphäre des Ortes.

Dorfkirche Groß Trebbow bei Schwerin, aquarelliert in meinem etwas „wilden“ Leporello.

Bevor ich hineinging, ließ ich mich im Moos unter alten Bäumen nieder und stellte dieses Bild fast fertig; zuhause vertiefte ich nur die Schatten ein wenig.

Im Innern erwartet die Besucherin freundlich-naives Barock an Kanzel und Altar; Voluten, Knorpelwerk und pausbäckige Engel. Als Kanzelträger, im dunklen Untergrund, erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar, fungiert eine düstere Maske mit gelben Augen.

Am folgenden Sonntag war dann wirklich der Tag des Offenen Denkmals und ich radelte noch einmal ins nahe gelegene Kirch Stück, um die vielfach im Vorbeifahren gesehene Kirche endlich einmal von innen kennenzulernen. Für eine Dorfkirche ist sie bereits im Mittelalter wertvoll ausgestattet worden, u.a. beherbergt sie eine der ältesten Glasmalereien Mecklenburgs.

Meine Blicke wurden sofort von dem grob in Granit gehauenen Taufstein angezogen. Man weiß nichts zuverlässiges über diese Steine; sie künden von Vorfahren, die außer ihnen nichts Steinernes und auch nichts Schriftliches hinterlassen haben und denen man später das Etikett „Heiden“ aufdrückte. Ich habe solche Taufsteine schon mehrfach gezeichnet, in Mecklenburg und sogar in Franken.

An der Stirnseite der Kirche steht ein fröhlich-bunter gotischer Altar mit der üblichen Aufreihung von Heiligen in den Seitenflügeln. Der Mittelteil ist von erzählenden Szenen rund um Jesu Hinrichtung ausgefüllt; dazu kommt der heilige Georg, dem die Kirche geweiht war. In schönster Märchenmanier erlegt er den Drachen, während die Prinzessin für den guten Ausgang der Geschichte betet.

St.Georg erlegt den Drachen – Mittelteil des Altaraufsatzes der Kirche in Kirch Stück bei Schwerin. Diese Seite des Leporellos hatte ich mich einem Papier grundiert, in dem Blattstücke verarbeitet sind.

Heiliger Antonius, bitte für mich

Ich liebe meinen Pilgerhut, und ich brauche ihn. Zu blöd, wenn ich ihn schon am Abend des erste Gehtages verliere! (Nicht zum ersten Mal, es war der dritte in sieben Jahren.) Heute morgen bastelte ich mir ein Provisorium aus einem Halstuch und lief in den sonnig strahlenden Tag hinein. Einen neuen oder wenigstens eine Mütze würde ich spätestens in zwei Tagen besorgen können, auf zwanzig Kilometer im Umkreis gibt es weder Bäcker noch Fleischer, geschweige denn einen Supermarkt.

Die erste Rast legte ich in Großschönach ein, in der dortigen Antoniuskirche. Ein gesichtsloser Bau aus den Fünfzigern des vorigen Jahrhunderts. Und weil es nichts zu zeichnen gibt, schaue ich mal nach, wofür der Heilige Antonius eigentlich so zuständig ist. Ich traue meinen Augen kaum: für verlorene Gegenstände! Da kann eine klitzekleine Bitte in seine Richtung bestimmt nicht schaden.

Und als ich die Kirche verlasse, steht doch vollen Ernstes fünfzig Meter weiter so ein Selbstbedienungsbüdchen, in denen es sonst Marmelade und Äpfel gibt – nur das es hier selbst gemachter Kitschkrimskrams ist, Traumfänger, Kirschkernkissen – und Mützen! Ganz unten im Regal liegen ein paar Schirmmützen mit neckischen Sprüchen drauf wie „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“. Die einzige ohne Spruch ist aus schwarzgrauem Military-Flecktarn, die nehme ich glücklich an mich.

So oder so ähnlich laufe ich zur Zeit durch den sonnigen Spätsommer.


Ein schöner Nachmittag

Erst ins Café, dann ins Museum – ein schöner Stadtnachmittag am letzten Samstag.

Zum Start ein Eiskaffee bei Miss Törtchen, meinem Schweriner Lieblingscafé.

Im Staatlichen Museum Schwerin war ich lange nicht, obwohl es schon seit Monaten wieder geöffnet ist. In der schönen Sonderausstellung dänischer Malerei aus der Sammlung Christoph Müller kann man sich in kontemplativen Landschaften und Interieurs verlieren. Ich versenkte mich, passend zur aktuellen Wetterlage, in eine Gewitterlandschaft. Vor Ort machte ich eine Tonwertstudie mit wasserlöslichen Markern, zu Hause habe ich – ebenfalls mit Markern – noch sparsam Farbe eingefügt. Nur das Blau kommt aus dem Aquarellkasten.

Carl Frederik Aagard „Aufziehendes Gewitter auf Saltholm“

Das Museum hat auch eine Barlach-Sammlung, die derzeit mit einigen mittelalterlichen Plastiken bereichert ist. Hier zeichnete ich einen wunderbar archaischen spätmittelalterlichen Heiligen Jakob.

St. Jakob, um 1500 von einem unbekannten Künstler aus Eichenholz geschnitzt.

Intermezzo: Basel

Nach der Harzreise ging es nach Süden, Richtung Schwäbische Alb und Bodensee, um an den Pilgerweg vom Frühjahr anzuknüpfen. Doch bevor ich dort ankam, gab es noch ein Intermezzo in Basel – Besuch bei Freunden. Gemeinsam gingen wir in die spektakuläre Ausstellung „Gold und Ruhm“, in der anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Basler Münsters Kunstschätze aus der Zeit des frühen und hohen Mittelalters gezeigt wurden.

Das Basler Kunstmuseum enthält eine schier unüberschaubare Zahl an wunderbaren Kunstwerken; Schweizer Geschäfts- und Bürgersinn hat hier schon lange gesammelt. Seit Mitte der 90er war ich schon einige wenige Male dort gewesen, daher wusste ich, wo ich nach den Goldschätzen noch hinwollte: zu den Alpen! In einem langen lichten Korridor, der im ersten Stock um den Innenhof führt, hängen Alpenpanoramen von der frühen Neuzeit bis zur Moderne.

Ich entschied mich für das Bild „Die Wilde Frau von der Bundalp aus“ von Auguste Baud-Bovy . Vor Ort erfasste ich nur die Grundstruktur – und da immer noch Inktober war, blieb ich dann später bei Füller und Tinte.

Am nächsten Tag startete ich Richtung Schwäbische Alb, vorher ging ich noch für eine Mittagsstunde ins Münster. Mein Zeichenmotiv fand ich davor: einen heiligen Georg, der an der Turmfassade mit eingelegter Lanze seine Attacke gegen einen, ja, irgendwie devot aussehenden Drachen reitet.

Auch hier, wie beim Goldschatz-Bild, stand der Inktober Pate – und bei beiden Bildern hatte ich die spätere Überarbeitung mit Farbe bei der Zeichnung bereits mitgedacht. Gezeichnet habe ich in ein Stillman&Birn-Heft im seltenen quadratischen Format, die intensiven schwarzen Flächen sind mit dem Pentel-Pinselstift entstanden.


Komische Heilige

Letzten Sonntag wollte ich zum Abschluss meines Belliner Wochenendes noch ein bisschen in der Kirche zeichnen. Ich hatte mir dieses Mal den Altaraufsatz vorgenommen, der klugerweise nicht auf dem Altar, sondern in einer etwas dunklen Ecke steht. Er ist aus zwei schon einzeln wenig gelungenen Teilen zusammengestückelt: einem barocken Altarbild samt Predella, auf der Jesus beim Abendmahl aussieht wie ein Kavalier auf der Grande Tour, und den Flügeln mit sechzehn Heiligenfiguren.

Diese Heiligen sind lupenreine spätgotische Massenware, auf den ersten Blick langweilige, auf den zweiten unfreiwillig komische in die Länge gezogene Gesellen. Den komischsten von ihnen habe ich mir zum Zeichnen vorgenommen, einen St.Veit, der mit verdrehten Augen und Kussmündchen in seinem Topf voll siedendem Öl steht. Nein, Mittelalter ist nicht immer romantisch!

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Heiliger Veit, spätgotische Altarfigur in der Kirche von Bellin/Mecklenburg.

Auf dem Heimweg bin ich noch bei Barlach vorbeigefahren, im Güstrower Atelierhaus am Heidberg, einer sehr schönen und erstaunlich wenig besuchten Anlage. Nach einigen Überlegen habe ich mich dann entschieden, die „Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“, der in einem Gipsentwurf dort hängt, zu zeichnen. Die Ikonographie des Frieses hat, wie vieles bei Barlach, Anklänge an mittelalterliche Sakralkunst. Die unfreiwillige Komik kam dann beim Zeichnen von selbst: indem ich anfangs den Hut der Dame etwas zu hoch zeichnete, sah die ganze Figur gleich aus wie mit einem jener 20er-Jahre-Topfhüte geschmückt – und ich bekam das Bild dann trotz Korrektur nicht mehr aus dem Kopf.

Beide Bilder habe ich mit einer Untermalung aus wasserfester Tusche versehen, bevor ich sie farbig übermalt habe.

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„Die Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“ von Barlach.

 

 


Dominikus

Am letzten Tag meines Madeira-Urlaubs habe ich eine ruhige Mittagsstunde im Museu de Arte Sacra, im Museum für sakrale Kunst, verbracht. Besonders sprach mich dort eine kleine Statue des heiligen Dominikus an, der mit seinem Buch unter dem Arm und dem Stern über dem Kopf freundlich, milde und klug vom seinem Sockel schaute – wenn ihn auch die schmalen Wangen als Asketen auswiesen.

Der heilige Dominikus war eine historische Gestalt, ein charismatischer Mann aus wohlhabender spanischer Familie, der als Priester wohl genau das verkörperte, was die Schnitzfigur trotz des Blattgolds ausstrahlt: Authentizität, Wissen und die Gabe, es zu vermitteln. Damit hob er sich wohltuend von vielen Priesterkollegen ab, deren Bibelkenntnis gering und deren Amtsverständnis – vorsichtig ausgedrückt – eher weltlich war.

Dominikus predigte zuerst in Südfrankreich, in Okzitanien, wo seinerzeit die christliche Glaubensbewegung der Katharer (aus dem Wort wurde später der deutsche Begriff „Ketzer“) einen großen Einfluss hatte. Mir Heutigen erscheint die Lehre der Katharer recht düster: die materielle Welt wäre nach ihr vom Teufel geschaffen und allein die Seele, die es aus dem Kerker des Körpers zu erlösen galt, göttlich. Doch hatten sie viel Rückhalt in der Bevölkerung und bei den örtlichen Fürsten, und ihre grausame Bekämpfung durch die Zentralgewalt hat sie immer wieder zu einer Projektionsfläche für ein besseres Christentum werden lassen.

Dominikus begründete den Dominikanerorden, der eigentlich Predigerorden heißt. Dominikaner sollten später als „domini canes“ (Hunde des Herrn) eine eher unrühmliche Rolle in der sogenannten heiligen Inquisition spielen; ihre große Bedeutung für die europäische Geistesgeschichte kann darüber leicht in Vergessenheit geraten. Der Aufschwung der Wissenschaften im Spätmittelalter ist ohne die Dominikaner nicht denkbar, und auch der große Meister Eckhardt, dessen „Predigerkiche“ ich auf einer meiner Pilgerwanderungen gezeichnet habe, mit seiner weit über jede klerikale Kleingeisterei hinausreichenden intellektuellen Mystik war ein Dominikaner.

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Statue des heiligen Domenikus im Museum für sakrale Kunst, Funchal/Madeira.