The Universal Soldier (Eisenach 2)

Mauritius war, so erzählt die Legende, um das Jahr 300 n.Chr. Kommandeur einer aus Nordafrika stammenden römischen Legion. Die mehrheitlich christlichen Männer wurden nach Europa versetzt, um im Gebiet der Westalpen gegen die dortige christliche Bevölkerung eingesetzt zu werden; als sie sich weigerten, richtete man sie hin. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist heute nicht mehr nachprüfbar, doch bekam sie bald ein Eigenleben – Wunder geschahen, Kirchen wurden errichtet und irgendwann war der Heilige zum Schutzpatron von Kaiser und Heer geworden. Und schwarz. Man begann sich den aus Ägypten stammenden Offizier als einen Schwarzen Menschen vorzustellen, mit deutlich schwarzafrikanischen Gesichtszügen. In dieser Gestalt wurde er an vielen Orten verehrt, die erste Darstellung eines Schwarzen im Deutschland des Mittelalters findet sich im Magdeburger Dom.

Da der heilige Mauritius auch der Schutzheilige der Salzsieder ist, begegnet man ihm in Thüringen allerorten. So fand ich ihn in Eisenach in der ehemaligen Predigerkirche, in einer Ausstellung mittelalterlicher Schnitzplastik. Die meisten Exponate sind unrestauriert, in dem Zustand, in dem man sie aus renovierungsbedürftigen Dorfkirchen und modrigen Sakristeien geborgen hat.

Heiliger Mauritius, Hans Gottwald von Lohr, 1510

Ich sah die Skulptur im harten Licht eines Punktstrahlers, versehrt, ohne Hände und Füße, Gesicht und Rumpf von langen Rissen gespalten; ein passenderer Zustand wäre nicht denkbar gewesen für den Heiligen der Heere. Und ich erinnerte mich an das Lied aus den frühen 60ern, nur wenig jünger als ich.

He’s five-foot-two and he’s six-feet-four
He fights with missiles and with spears
He’s all of thirty-one and he’s only seventeen
He’s been a soldier for a thousand years …

Buffy Sainte-Marie

(Vor Ort machte ich im Stehen zwei kleine Skizzen, die mir später ungelungen schienen, so entstand dieses Zeichnung zu Hause.)


Rückblick: Eisenach

Seltsamerweise war ich 2023 drei Mal in Eisenach. Zuerst, Ende April, ein Abstecher von der Werra-Tour, als Nachlese dazu ein paar Stunden im September und zum guten Schluss einige Seminartage (samt angehängtem Wochenende) im November. Gezeigt habe ich davon bisher nur ein Frühlingsbild.

Im September saß ich bei strahlendem Sonnenwetter zwischen vielen Menschen auf dem Marktplatz und zeichnete, was ich in dieser Woche überall zeichnete: Fachwerk. Zu mehr kam ich an diesem Tag nicht.

Im November war mehr Zeit. Zuerst für den Blick aus meiner Hotellobby:

Ich hatte in diesen Tagen auch Muße für einiges, was die Stadt an Museen zu bieten hat. Mein Favorit war das Bachhaus, in dem ich mehrere Stunden zubrachte. Ein klug präsentierter Wissensschatz, untermalt von Bachscher Musik an zahlreichen Hörstationen, und als Höhepunkt eine kleine Präsentation von Originalinstrumenten.

Dieses kleine Aquarell entstand auf der Grundlage einer flüchtigen Bleistiftskizze und eines Fotos.


Treffurt II

Vor knapp zwei Wochen bin ich aus Treffurt Richtung Hannoversch Münden gefahren, nach Norden, Richtung Heimweg. (Zwei Tage lagen noch vor mir.) Es war der dritte Oktober, Feiertag, der Ort noch stiller als am Vortag (wenn das möglich ist) und in einer seltsamen Wetterlage mit warmem Südweststurm und aufziehendem Regen gefangen. Ich war zur Kirche hochgefahren, ich umkreiste sie wie am Vortag auf der Suche nach einem Zeichenblick, den ich, bei extremer Hanglage und verwinkelter Bebauung, nicht fand, ebensowenig wie eine geöffnete Kirchentür.

So wurde es wieder einmal Fachwerk, gebeugt und geneigt, bescheidener als die großen Bürgerhäuser um den Marktplatz herum.

In dem seltsamen Wetter verzogen sich noch einmal die Wolken, mit eins saß ich in der stechenden Sonne und machte mich schnell davon, den Hügel hinunter, mit einem halbfertigen Bild; heute habe ich die Farbe ergänzt. (Und das schöne Breitformat dazu genutzt, endlich mal einen neuen Seitentitel einzuziehen, so dass es nun gleich zweimal da ist.)

Kurz oberhalb des Marktplatzes, in der einzigen Straße, die ich noch nicht abgelaufen war, fand ich den Kirchenblick. Das Türmchen, das hinter dem Kirchenschiff hervorlugt, gehört zur Burg Normannstein, die etwas höher am Hang steht und früher über die drei Furten des Ortes Treffurt (Drei-Furt) gewacht hatte.


Kirchenburg

Als wir im Frühjahr von Meiningen aus zur Werra-Radtour aufbrachen, kamen wir zuerst durch Walldorf. Ich war überrascht – den Begriff „Kirchenburg“ hatte ich immer mit Siebenbürgen assoziiert, doch eigentlich war es nur der Bezeichnung, die mich verwunderte: In allen Zeiten und an vielen Orten boten Kirchen mit ihren dicken Mauern und hohen Türmen den Menschen Zuflucht vor Krieg und Raub. Manchmal war auch erst die Burg da und dann kam die Kirche; so war es in Walldorf gewesen. Aus einem strategisch wichtigen Flussübergang an der Nordgrenze des Frankenreiches entwickelte sich ein Königshof, der später zu einer bischöflichen Festung ausgebaut wurde.

Man errichtete eine erste Kapelle, der später eine Kirche folgte. Zur eigentlichen Kirche wurde die Anlage erst im Spätmittelalter. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie geplündert und brannte das erste Mal ab, wurde wieder aufgebaut, um 2012, vor kurzem erst und mitten im Frieden, noch einmal abzubrennen.

Inzwischen ist sie wieder aufgebaut.

Es war ein schöner blauer Tag, herrliches Zeichenwetter, als ich vor zwei Wochen noch einmal mit Zeichenzeit nach Walldorf kam. Ich fing zwei Skizzen an, in unterschiedlichen Büchern – nur eine, diese, führte ich fort; die Farbe kam, wie so oft, zu Hause.


Treffurt

Als ich im Frühjahr diesen Jahres mit dem Rad die Werra entlang nach Westen und Norden fuhr, war ich nicht auf die Dichte an schönen Orten gefasst gewesen, wunderbare alte Ortskerne musste ich ungezeichnet, ja fast ungewürdigt an mir vorüberziehen lassen.

Treffurt mit seinem perfekt erhaltenen Ortsbild ist einer von diesen Plätzen, vielleicht der schönste. Das Städtchen zieht sich malerisch einen steilen Hang hinauf, der von einer mittelalterlichen Burg gekrönt wird. Es gab keine Kriegsschäden. Später lag der Ort im Grenzgebiet der DDR zu Westdeutschland und war damit weitgehend von der Welt abgeschnitten. Nach der Wende begann die Deindustrialisierung der ohnehin strukturschwachen Region; junge Menschen im erwerbsfähigen Alter wanderten ab.

Heute, an einem Montag und Brückentag, hätte die Stadt auch von einer Dornröschenhecke umgeben sein können, so still war sie.

Zeichenmotive gab es die Hülle und die Fülle, die Wahl war, wie so oft, vom Lichteinfall bestimmt. So kam ich zum „Pfuhlshof“, der schön im Streiflicht lag; gegenüber ein schattiger Hauseingang.

Was ich nicht erwartet hatte: eine zeichnende Person war hier ein Ereignis! Ich glaube, ich bin noch nie so oft angesprochen worden. Die Bewohnerin des Hauses, auf dessen Stufen ich saß, brachte mir einen Kaffee (es entwickelte sich daraus ein sehr schönes Gespräch), die Dame von gegenüber kam, ein älterer Herr, der den Laden der Fotografin hinter mir leider so verschlossen fand wie fast alles in Treffurt, ein Radfahrer und noch einer …

Für den Nachmittag hatte ich mir das Rathaus vorgenommen. Es wird von einem mehrgeschossigen, in Fachwerk ausgeführten Turm dominiert, der eher groß ist als schön.

Während ich visierte und maß und strichelte (ich brauchte zwei Anläufe), hatte ich immer mal einen Blick für die Szenerie übrig, die — unterhalb des Turms und den dort aufgestellten großen Sonnenschirmen— seltsam genug war: Das Eiscafé zu den Schirmen ist montags die einzige Einkehrmöglichkeit vor Ort, es war warm, fast heiß und ein Brückentag an einen beliebten Fernradweg. Das Eiscafé wird mangels Personal vom Inhaber allein betrieben, man holte sich Kaffee und Eisbecher mit Tablett von der Theke ab — was in einem Ein-Mann-Betrieb entsprechend dauerte.

Die Leere und Stille des Ortes ergaben zusammen mit der Herbsthitze, den schlangestehenden Touristen und dem seltsamen Turmgebäude ein verfremdetes Gefühl, etwas zwischen Coronasommer und surrealistischem Film …


Zwischenspiel: Maßwerk statt Fachwerk

Die Schmalkaldener Stadtkirche, ein spätgotischer Bau, ist genau so blitzblank geputzt und renoviert wie die übrige Innenstadt, keine Spur mehr von Staub und Ruß der letzten fünfhundert Jahre. Keine Spur auch mehr vom „Schmalkaldener Bildersturm“, bei dem die Kirche 1608, immerhin neunzig Jahre nach Luthers Thesenanschlag, auch außen schwer beschädigt worden sei.

Zu der sehr späten Spätgotik des Baus passen die komplizierten Netzgewölbe im Innern und die virtuos variierten Maßwerkformen der Fenster. Keines gleicht dem anderen.

Schon fast auf dem Heimweg legte ich auf dem Marktplatz von Schmalkalden noch eine kleine Pause ein, um wenigstens drei dieser Fenster zu skizzieren.


Im Fachwerkparadies

Es gibt viele Fachwerkparadiese in Deutschland; das fränkisch geprägte Südthüringen ist eines von ihnen. Als ich im Frühling mit Rad entlang der Werra unterwegs war, flogen die Orte viel zu schnell an mir vorbei; bald entstand die Idee, im Herbst für eine Woche wiederzukommen. (Dieses Mal mit dem Auto.)

Das „Büchnersche Haus“ in Meiningen wäre ein Geheimtipp, wiese nicht ein Hinweisschild von der Fußgängerzone in einen unauffälligen Hausdurchgang. Dieser öffnet sich in einen verzauberten Hof mit Bank, plätscherndem Brunnen und üppig bemaltem Fachwerk. Meiningen war Ende des 19.Jahrhunderts von einem Stadtbrand betroffen gewesen; die Flammen hatten hier das Vorderhaus gefressen, das Hinterhaus jedoch verschont.

Schmalkalden hingegen quillt von Fachwerk über. Einiges wurde bei Bombenangriffen im 2.Weltkrieg zerstört; man sieht es auf den zweiten Blick. Auf den ersten ist man überwältigt von der schieren Menge an gut erhaltenen und schön restaurierten Fachwerkhäusern. (Auf den den dritten fällt die Menschenleere der Innenstadt auf, eine andere Geschichte, die nicht nur Schmalkalden betrifft.)

Ich hatte mir einen ganzen Tag für die schöne Stadt genommen, schlenderte lange umher, wie immer, wenn die Auswahl schwerfällt, um dann länger, als man es ihm ansieht, mit diesem Bild und dem Knoten im Hirn, den mir die komplexe Struktur bescherte, zuzubringen.


Im Frühling

Den Sonntag des langen Wochenendes vor dem 1. Mai verbringe ich in Eisenach. Ich treffe mich mit einer ortskundigen Freundin, die, um dem Gedränge in der Innenstadt oder auf der Wartburg zu entgehen, einen Spaziergang durch die Drachenschlucht vorschlägt. Nun ja: ich habe einmal gelesen, dass man in Japan in langer, nicht enden wollender Reihe den Fujiyama besteigt. Uns ergeht es ähnlich, wir quetschen uns mit hunderten anderen durch die bemooste Enge.

An eine Zeichnung ist nicht zu denken. Später am Tag haben wir mehr Glück: im weitläufigen Gelände von Schloß und Park Wilhelmsthal ist Platz für alle Spaziergänger (Spazierenden?), und auch die Zeichnerin kommt zu ihrem Recht.

Marstall und Kavaliershäuser von Schloss Wilhelmsthal

Am nächsten Tag fahre ich von Erfurt wieder auf den Werratal-Radweg zurück. Es trübt sich etwas ein, ein sanfter milder 1.Mai, in den hübschen Dörfern gibt es Bratwurst und Hoffeste; überall sind Familien unterwegs.

Im „Café Gisela“ (seit über dreißig Jahren eine Institution) gibt es zu Kaffee und dicken Tortenstücken einen riesigen Kirschbaum in schönster Blüte. Ich verzichte heldenhaft auf die Torte und nähre mich mit einer Zeichnung, bevor ich zu meinem Etappenziel Treffurt weiterfahre.


An der Grenze

Dass die Werra bis 1990 Grenzfluss war, hatte ich bei der Planung in Erinnerung gehabt, ohne darüber je näheres gewusst zu haben. Erst vor Ort wurde die Dimension dieses Umstandes fühlbar, ebenso die Folgen der Nachwende-Deindustrialisierung des Ostens.

In Vacha (gesprochen mit hartem „f“ wie „Fach“) ist beides mit Händen zu greifen. Während am rechten Werra-Ufer Hessen beginnt, führt der Weg über die Brücke in den thüringischen Ort. Anders als in den hübsch sanierten Dörfern und Städtchen, durch die wir bisher gekommen waren, regieren hier Verfall und Leerstand, der Lehm fällt aus den Gefachen der einst hübschen Häuser am Markt, Schaufenster sind mit Folie verklebt.

An der klassizistischen Stadtkirche finde ich überrascht dieses romanische Portal aus Bundsandstein aus der Gründungszeit des Ortes (der schon immer an Gebietsgrenzen lag.)

Am nächsten Tag fahre ich – von nun an allein unterwegs – nach Hessen hinein. Ich raste mit Blick auf das Kaliwerk Hattorf und habe beim Zeichnen genug Zeit, mich an die Nachwendejahre und den Abbau der ostdeutschen Industriestandorte zu erinnern.

Der Radweg mäandert mehrfach zwischen (ehemals) Ost und West und folgt damit den Grenzveräufen aus der Zeit der deutschen Kleinstaaterei. Die deutsche Teilung war das in dieser dicht besiedelten und vernetzten Region besonders schmerzhaft zu spüren gewesen.


Wieder unterwegs

Ich bin wieder unterwegs. Mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad, wie im vergangenen Jahr. Dieses Mal war ich mutig und hatte eine Anreise von Schwerin nach Thüringen eingeplant. Das Rad samt Taschen ist schwer und unhandlich, die Wahl fiel auf den Regionalverkehr seinen Fahrradabteilen und tiefen Einstiegen …

Bis ich in Erfurt, beim dritten Umstieg, fassungslos vor vier steilen Stufen stand. Zu meiner Freude waren zwei freundliche schwäbische Herren zur Stelle, die das Rad mit vereinten Kräften in den Zug und wieder hinaus wuchteten. Vielen Dank!

Nach einer Nacht in Meiningen ging es auf den Werraradweg. Es war frisch und klar, und bis auf ein paar Umwege (ich sage nur: Abkürzung!) kamen meine Freundin und ich gut voran. Der Zeichnerin gingen die Augen über von Fachwerk und Kirchenburgen … Bei einer Rast in Schwallungen entstand dieses Bild.