Volkskunde

Die fünfte Etappe meiner Pilgerwanderung hat begonnen. Einmal längs und vielleicht auch ein bisschen schräg von Deutschlands Mitte bis zum Bodensee, so ist es geplant, angekommen bin ich mittlerweile in Oberfranken. Bamberg war der Schlusspunkt der vierten Etappe, Nürnberg das nächste Ziel. Dazwischen: Die Fränkische Schweiz, ein kleines bisschen östlich der als solche ausgeschriebenen Pilgerwege. Eine ländliche und, ja, ein bisschen abgelegene Gegend, das hatte ich schon bei den Vorbereitungen gemerkt.

Die erste Übernachtung im Kloster Kirchschletten, wo ich vergangenes Jahr aufgehört hatte, und dann weiter hügelauf hügelab Richtung Südosten, Unterkunft in Würgau in einem Brauereigasthof, wie es hier noch viele gibt, kleine Familienbetriebe, wo die Leute aus den umliegenden Dörfern ihr Bier kastenweise holen und auf eine Brotzeit oder einen Braten mit Klößen einkehren.

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Die „Brauerei Hartmann“ in Würgau. Der Gasthof ist fachwerkhübsch, doch die Braukessel tragen Wirtschaftswundermode – Kacheldekor und eloxierte Fensterrahmen.

Am nächsten Tag 150 Höhenmeter hoch auf den Fränkischen Jura, ein Karstplateau, das immer mal wieder von tiefen Schluchten durchzogen wird. Oben flaches Land, fast parkartig, Schlehen- und Weißdornhecke filtern den hier vermutlich immer wehenden Wind, Kreuze und Kapellen an jeder Wegkreuzung. Im Dorfgasthaus sitzt, als wäre er für die Zeichnerin bestellt, der Herr Pfarrer mit am Stammtisch.

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Stammtischpublikum in den „Drei Kronen“ in Königsfeld/Oberfranken.

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Tudorburg und Nierentisch

Nach der Entdeckung des Coburger Sonnenhauses war ich dort ein wenig auf der Suche nach Stilbrüchen. (Zu Hause erst fiel mir auf, dass ich die sehr attraktive Renaissance-Architektur mit ihren bunten Fassaden ganz und gar verschmäht hatte.) Fündig wurde ich am frisch renovierten Albertsplatz, an dem sich eine der einschlägigen Tudorburgen mit einem Ladengeschäft in lupenreiner Nachkriegs-Nierentischästhetik verbunden hat. Als ich mir später Archivbilder des Platzes ansah, stellte ich fest, dass bei der Neugestaltung jemand mit Gespür für Details am Werk gewesen sein musste: Der so passgenau scheinende Schriftzug ist neu und hat einen im 70er/80er-Stil ersetzt.

Albertsplatz, Coburg. PITT-Marker und Wasserfarbe in S&B Beta.

Albertsplatz, Coburg. PITT-Marker und Wasserfarbe in S&B Beta.


Zeitkapsel

Ich habe gerade vier Tage Fortbildung hinter mir, die in der Mensa der Bonner Uniklinik auf dem Venusberg stattfand. Dieses Gebäude ist eine Zeitkapsel, direkt aus den Wirtschaftswunderjahren der jungen Bundesrepublik in die Gegenwart gekommen. Es ist völlig unsaniert – einschließlich der Originalfenster mit Einfachverglasung, Schwingtüren mit Drahtglas und eloxierten Metallgriffen und einem Lastenfahrstuhl, der die Jahreszahl 1958 trägt.

In den beiden Speisesälen gibt es modernes Mobiliar, auch die Beleuchtung ist nicht mehr original, an einigen wenigen Stellen liegt hässlicher PVC-Bodenbelag, ansonsten dürfte architektonisch im wesentlichen alles auf dem Stand vom Ende der 50er Jahre sein.

Mensa auf dem Bonner Venusberg von der Hangseite.

Mensa auf dem Bonner Venusberg von der Hangseite.