Die anthroposophische Windmühle

Inzwischen sind einige Tage vergangen, davon zwei Regentage, die das Draußen-Zeichnen eingeschränkt und mich ins Thermalbad gelockt haben – ohne Skizzenbuch. Ich bin, den Schleifen der Weser folgend, durch die Porta Westfalica gefahren, habe einen Abstecher nach Bückeburg gemacht und fahre nun durch die norddeutschen Tiefebene.

Passend zum hier fast immer wehenden Wind reiht sich Mühle an Mühle, es gibt eine „Deutsche Mühlenstraße“ und auch ich bin in einem Landgasthof an einer Mühle abgestiegen. Gestern Abend lag sie im schönsten Abendlicht. Als ich anfangen wollte, sie zu zeichnen, stellte ich fest, was für eine ungemein knifflige Perspektive so eine Mühle hat: es gibt, bis auf die Fensterrahmen, keine rechten Winkel! Um die komplexe Form zu erfassen, entschloss ich mich, wenn das Licht auch noch so lockte, zu einer Bleistiftzeichnung.

Anthroposophische Baumeister bevorzugen organische Formen, der rechte Winkel ist bei ihnen verpönt – diese Mühle hätte ihnen sicher sehr gefallen.


Einmal Mühlrad und zurück

Am Wochenende trafen sich die Schweriner Urban Sketchers wieder unter fast „normalen“ Bedingungen: ohne drei Schichten Kleidung oder Feuerschale und mit der Aussicht auf einen „Kaffee danach“ in netter Gesellschaft. Das Zielobjekt, die „Schleifmühle“, lag ganz in der Nähe des „Franzosenwegs“, auf dem ich vergangenes Wochenende nach Adebors Näs gewandert war, und so hatte ich schon einmal Ausschau gehalten: das Mühlrad sollte es sein. Eine bequeme Bank mit unverstelltem Blick erleichterte die Entscheidung.

Es wurde, erwartungsgemäß, eine längere Übung: vorsichtiges Antasten mit Bleistift, Hilfslinien, Perspektive … am Ende, nach zwei Stunden, hatte ich eine ganz passable lineare Zeichnung fertig. (Und ausreichend in der Sonne gebraten. So ist das mit dem schönen Wetter.)

Und nun – Kolorieren oder nicht? Linear sah das Ganze zwar wie eine schicke Konstruktionszeichnung aus, aber auch irgendwie körperlos. Wenigstens Schatten mussten her. Zum Schraffieren war ich zu faul und vor Aquarell war mir ob der vielen Feinheiten etwas bang – also griff ich zu den Markern von Faber Castell. Den ziegelroten Hintergrund habe ich nur angedeutet, um mich nicht in noch mehr Details zu verlieren. 

Am späteren Nachmittag saß ich – schließlich ist einiges nachzuholen – noch einmal im Café und wartete auf eine Freundin. Dabei hatte ich das Schloss vor Augen und blieb dieses Mal bei einer absichtlich reduzierten linearen Skizze.


Zwanzig Jahre später

Gestern hatte ich in Grabow bei Ludwigslust zu tun. Das Städtchen ist außerhalb seines näheren Umkreises kaum bekannt und wäre manchen Besuch wert, bietet es doch eine geschlossene barocke Fachwerkbebauung, viele historische Gewerbebauten dabei, und idyllische Flussuferblicke. Grabow war eine Handwerker- und Kaufmannsstadt von solidem Wohlstand (die Vorfahren der Schriftstellerfamilie Mann sind von hier aus nach Lübeck gegangen), die ihren speziellen Charakter noch bis in die DDR-Zeit hinein bewahren konnte.

1998 bin ich einige Male zum Zeichnen hingefahren, meine damals neugeborene Tochter im Kinderwagen dabei, einige kostbare Wochen Freiheit nutzend. Fasziniert stand ich vor einem ausgedehnten frühindustriellen Mühlenkomplex, der gerade dabei war, seinen Betrieb einzustellen; man konnte in den Höfen ungestört umhergehen.

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Die alte Mühle in Grabow, PITT-Pens und Farbstifte in einem 30×30 cm großen Skizzenbuch. 1998

Gestern bin ich ganz bewusst an die gleiche Stelle gegangen und fand sie äußerlich weitgehend unverändert vor, das Dach notgesichert und das Gebäude seit 20 Jahren von einem Investor träumend. Die mittägliche Stille war fast schon schmerzhaft, von den Ladengeschäften, die es vor 20 Jahren in der Nähe noch gegeben hatte, war kein einziges mehr vorhanden.

Ich aber und mein Blick hatten sich gewandelt: erstaunt konstatierte ich, dass ich das Anwesen ohne die Vorgeschichte meiner früheren Besuche vermutlich nicht gezeichnet hätte – die Fassade flach und ummoduliert im Mittagslicht, wenig Tiefe; und alles schon sehr museal und unbehaust. So machte ich nun das Beste daraus, versuchte mich ganz bewusst an einer zügigen und nicht zu sorgfältigen Zeichnung im kleinen A6-Buch.

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20 Jahre später, gezeichnet im Hahnemühle Watercolour-Buch A6.