Verden an der Aller

Bald nachdem ich angefangen hatte meine Tour zu planen, wusste ich, dass sie in Verden enden sollte. Mit etwas Nachdruck hätte ich es bis Bremen schaffen können, doch wer will nach drei Wochen unter freiem Himmel schon in eine Großstadt?

Nähert man sich der Stadt von der Flussseite, hat man den Eindruck, ins frühe 19.Jahrhundert zu reisen: keine Vorstadt verstellt den Blick auf die alte Stadtsilhouette mit ihren Türmen und Kirchen, aus denen wuchtig und mächtig der Dom hervorragt.

Ich hatte mir noch einen Abschiedstag in Verden gegönnt, so konnte ich es langsam angehen lassen. Es war kalt und windig geworden, zwischendurch regnete es immer mal kräftig, so dass ich mich lange im Dom aufhielt. Der Verdener Dom, der von außen massig aussieht, ist innen hell und licht und weit. Im 19.Jahrhundert wurde er neugotisch umgestaltet; in den 1960er Jahren kam bei der letzten Renovierung eine ungewöhnliche Farbfassung dazu – cremefarbene Wände und eine dunkelrote Decke. Moderne Glasfenster in warmen Farben sorgen für eine heitere, erhebende Lichtstimmung.

Doch was zeichnet man an einem solchen Ort? Ein gotischer Raumeindruck überfordert schnell die Möglichkeiten eines kleinen Skizzenbuches, im Kreuzgang war es kalt und windig … und der Chorraum mit Taufstein und Altar von einer Kordel abgesperrt. Am Ende hoffte ich auf den Zeichnerbonus und umging die Absperrung (nicht ohne mich an einer Dame zu stören, die es mir bald darauf gleichtat und allem heiligen Gerät mit ihrem Handy zu Leibe rückte.)

Dann aber wurde es still und ich konnte in aller Ruhe den schön verzierten alten Stein zeichnen.

Am Abend – noch immer segelten hochgetürmte Wolken über den Himmel – radelte ich noch einmal vor die Stadt, um die wunderbar altmodische Stadtansicht in der Abendsonne zu zeichnen. Am nächsten Tag würde ich mich durch das Vorfeiertagsgedränge in Richtung Schwerin aufmachen:

Man sah es den Wegen im Abendlicht an, dass es Heimwege waren.

Robert Walser

Zweimal Denkmal

Zum Tag des offenen Denkmals hatte ich in Schwerin die Auswahl zwischen dem Logenhaus der Schweriner Freimaurer – ich hatte es vor Jahren einmal von außen gezeichnet – und zwei von den drei Kirchen, die ich im Frühjahr erradelt hatte. Bei den Freimaurern würde es, so fürchtete ich, voll werden und ich vielleicht nicht zum Zeichnen kommen; ich entschied mich für die Kirchen.

Als ich an der Kirche von Kirch Stück ankam, sah ich es deutlich vor meinem inneren Auge, das Datum: 11.09.22. Es war allerdings erst der 4. Umkehren? Ich erinnerte mich, dass die zweite Kirche, nur wenige Kilometer entfernt, im März ganz ohne Denkmalanlass offen gewesen war; so auch an diesem Tag. Die Trebbower Kirche ist der gleiche Bautyp wie die im stillen, (gott)verlassenen Prestin – ein schlichter Hallenbau ohne Turm, mit Spitzdach, gerundetem Chorraum, einem kleinen Sakristeianbau an der Südwand und einem frei stehenden Glockenstuhl.

Still war es auch hier, eine belebte und bewohnte Stille. Am Friedhofstor schon begrüßte mich das „Offene-Kirche“-Schild, es passte zur einladenden und freundlichen Atmosphäre des Ortes.

Dorfkirche Groß Trebbow bei Schwerin, aquarelliert in meinem etwas „wilden“ Leporello.

Bevor ich hineinging, ließ ich mich im Moos unter alten Bäumen nieder und stellte dieses Bild fast fertig; zuhause vertiefte ich nur die Schatten ein wenig.

Im Innern erwartet die Besucherin freundlich-naives Barock an Kanzel und Altar; Voluten, Knorpelwerk und pausbäckige Engel. Als Kanzelträger, im dunklen Untergrund, erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar, fungiert eine düstere Maske mit gelben Augen.

Am folgenden Sonntag war dann wirklich der Tag des Offenen Denkmals und ich radelte noch einmal ins nahe gelegene Kirch Stück, um die vielfach im Vorbeifahren gesehene Kirche endlich einmal von innen kennenzulernen. Für eine Dorfkirche ist sie bereits im Mittelalter wertvoll ausgestattet worden, u.a. beherbergt sie eine der ältesten Glasmalereien Mecklenburgs.

Meine Blicke wurden sofort von dem grob in Granit gehauenen Taufstein angezogen. Man weiß nichts zuverlässiges über diese Steine; sie künden von Vorfahren, die außer ihnen nichts Steinernes und auch nichts Schriftliches hinterlassen haben und denen man später das Etikett „Heiden“ aufdrückte. Ich habe solche Taufsteine schon mehrfach gezeichnet, in Mecklenburg und sogar in Franken.

An der Stirnseite der Kirche steht ein fröhlich-bunter gotischer Altar mit der üblichen Aufreihung von Heiligen in den Seitenflügeln. Der Mittelteil ist von erzählenden Szenen rund um Jesu Hinrichtung ausgefüllt; dazu kommt der heilige Georg, dem die Kirche geweiht war. In schönster Märchenmanier erlegt er den Drachen, während die Prinzessin für den guten Ausgang der Geschichte betet.

St.Georg erlegt den Drachen – Mittelteil des Altaraufsatzes der Kirche in Kirch Stück bei Schwerin. Diese Seite des Leporellos hatte ich mich einem Papier grundiert, in dem Blattstücke verarbeitet sind.

Landpartie

Letztes Wochenende, bei diesem unglaublichen Wetter, waren wir auf Landpartie. Zwischen grünen Wiesen und unter tiefblauem Himmel, noch ohne Lerchen, so saßen wir: meine kleinen Großnichten selig auf einem Pferderücken und ich – nicht minder selig – mit Stift und Block in der Landschaft.

Birnbaum in Alt Jassewitz. Kugelschreiber und Aquarell.

Am Nachmittag trennten sich die Wege, und ich fuhr ein paar Kilometer weiter nach Hohenkirchen, das seinen Namen zu Recht trägt. Als eine weithin sichtbare Landmarke steht die wuchtige gotische Kirche etwas oberhalb des Dorfes auf einem Hügel; zeitlos, wie es scheinen will, als wäre sie schon immer da gewesen.

Die Dorfkirche von Hohenkirchen bei Wismar

Zu meiner Freude war die Kirche geöffnet. Drinnen erwartete mich eine Überraschung: ein frühmittelaterlicher Taufstein, sichtlich älter als die gotische Kirche. Vieles spricht dafür, dass diese Art von Taufsteinen sogar älter ist als das offizielle Datum der Chrisianisierung Mecklenburgs. Sie legen Zeugnis ab von Glauben und Ritus bäuerlicher Volksgruppen, über die wir nur wenig Gesichertes wissen.

Der frühmittelalterliche Taufstein in Hohenkirchen. Das rechts unten als „Zopf und Schleife“ bezeichnete Motiv könnte einen Lebensbaum symbolisieren.

Ring ums Herz

Das Märchen vom Froschkönig ist eines der bekanntesten der Brüder Grimm. Doch wer erinnert sich an den Schluss? Der (im Übrigen durch Wandwurf und nicht durch Kuss) erlöste Prinz fährt mit seiner Prinzessin in der Kutsche heim, als es hinter ihnen kracht:

 „Heinrich, der Wagen bricht!“/ „Nein, Herr, der Wagen nicht,/ es ist ein Band von meinem Herzen,/ das da lag in großen Schmerzen,/ als Ihr in dem Brunnen saßt,/ als Ihr noch ein Fretsche wast.(Frosch wart)“

An diesen eisernen Reif ums Herz dachte ich, als ich den alten Taufstein in Großhaslach mit seinem Stahlring sah. Die Großhaslacher Kirche ist pilgerfreundlich hergerichtet mit einem Rastplatz, ein angenehmer Ort auf einem Hügel, luftig und freundlich, und neben der Kirche in der Bruchsteinkapelle steht der Taufstein. Wie alt er wirklich ist, weiß niemand – schon die Angaben in den ausliegenden Broschüren schwanken zwischen 800 und 1000 Jahren.

 Der Stein war auf dem Pfarrgrundstück vergraben und wurde, wiedergefunden, erst einmal viele Jahre als Blumenkübel „genutzt“, bis er in der Kapelle einen würdigen Platz fand. Die Granitschale hat einen Riss und ein Stück ist herausgebrochen. Vor einiger Zeit las ich ein Buch über alte Granittaufen in Mecklenburg, und der Autor kam zu dem erstaunlichen (und gut begründeten) Ergebnis, das diese Steine wohl schon lange vor der offiziellen „Christianisierung“ des Landes von christlichen germanischen Völkern mit von Rom unabhängigen sogenannten „Eigenkirchen“ geschaffen wurden. Mit der Unterwerfung durch Heinrich den Löwen wurden sie zu „Heiden“ erklärt und ihre Taufsteine zerstört, zumindest unbrauchbar gemacht.

Vielleicht hat der Großhaslacher Taufstein ein ähnliches Schicksal erlitten. Jetzt dient er wieder seinem ursprünglichen Zweck, in den Granit ist eine Messingschale für das Taufwasser eingelassen.

Ich habe in der angenehm kühlen Kapelle eine schöne, ruhige Stunde zugebracht, bevor es wieder in die fast absurde Hitze hinausging. Mutig habe ich auf stützende Tintenstriche verzichtet und den Stein nur mit Aquarellfarben abgebildet, die ich zu Hause noch ein wenig vertieft habe.

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Taufstein in der Großhaslacher Taufkapelle, Aquarell in S&B Beta