Treffurt

Als ich im Frühjahr diesen Jahres mit dem Rad die Werra entlang nach Westen und Norden fuhr, war ich nicht auf die Dichte an schönen Orten gefasst gewesen, wunderbare alte Ortskerne musste ich ungezeichnet, ja fast ungewürdigt an mir vorüberziehen lassen.

Treffurt mit seinem perfekt erhaltenen Ortsbild ist einer von diesen Plätzen, vielleicht der schönste. Das Städtchen zieht sich malerisch einen steilen Hang hinauf, der von einer mittelalterlichen Burg gekrönt wird. Es gab keine Kriegsschäden. Später lag der Ort im Grenzgebiet der DDR zu Westdeutschland und war damit weitgehend von der Welt abgeschnitten. Nach der Wende begann die Deindustrialisierung der ohnehin strukturschwachen Region; junge Menschen im erwerbsfähigen Alter wanderten ab.

Heute, an einem Montag und Brückentag, hätte die Stadt auch von einer Dornröschenhecke umgeben sein können, so still war sie.

Zeichenmotive gab es die Hülle und die Fülle, die Wahl war, wie so oft, vom Lichteinfall bestimmt. So kam ich zum „Pfuhlshof“, der schön im Streiflicht lag; gegenüber ein schattiger Hauseingang.

Was ich nicht erwartet hatte: eine zeichnende Person war hier ein Ereignis! Ich glaube, ich bin noch nie so oft angesprochen worden. Die Bewohnerin des Hauses, auf dessen Stufen ich saß, brachte mir einen Kaffee (es entwickelte sich daraus ein sehr schönes Gespräch), die Dame von gegenüber kam, ein älterer Herr, der den Laden der Fotografin hinter mir leider so verschlossen fand wie fast alles in Treffurt, ein Radfahrer und noch einer …

Für den Nachmittag hatte ich mir das Rathaus vorgenommen. Es wird von einem mehrgeschossigen, in Fachwerk ausgeführten Turm dominiert, der eher groß ist als schön.

Während ich visierte und maß und strichelte (ich brauchte zwei Anläufe), hatte ich immer mal einen Blick für die Szenerie übrig, die — unterhalb des Turms und den dort aufgestellten großen Sonnenschirmen— seltsam genug war: Das Eiscafé zu den Schirmen ist montags die einzige Einkehrmöglichkeit vor Ort, es war warm, fast heiß und ein Brückentag an einen beliebten Fernradweg. Das Eiscafé wird mangels Personal vom Inhaber allein betrieben, man holte sich Kaffee und Eisbecher mit Tablett von der Theke ab — was in einem Ein-Mann-Betrieb entsprechend dauerte.

Die Leere und Stille des Ortes ergaben zusammen mit der Herbsthitze, den schlangestehenden Touristen und dem seltsamen Turmgebäude ein verfremdetes Gefühl, etwas zwischen Coronasommer und surrealistischem Film …


Endlich Fachwerk

Ich liebe Fachwerk, und ich kann nicht müde werden, es zu zeichnen. Fachwerk ist die Form, die der Funktion auch dort folgt, wo Dekor hinzukommt, Fachwerk ist gebautes Mandala.

Um so unverständlicher, dass ich in der ersten Reisewoche kein einziges zu Papier gebracht habe, obwohl die Orte davon überquollen. Mal schien die Sonne aus der falschen Richtung, mal lockte ein Stück Romanik oder ich war schlichtweg zu müde.

Vorgestern, in Witzenhausen, stimmt endlich alles. Dabei hat der Tag mit einem Schreck und einer Verspätung begonnen: der Fahrradakku war am Morgen noch genau so leer gewesen wie am Abend nach einer langen Tour gegen den Wind. Also hieß es, mich in Geduld zu fassen, den wunderhübschen kleinen Kurbezirk von Bad Sooden zu genießen (die Zeichnung wird dennoch nicht fertig) und gegen zwölf endlich abzufahren.

Gegenüber einem besonders attraktiven Fachwerkhaus findet sich ein Sitzplatz im Café „Runde Ecke“. Im Gegensatz zu meinem Zeichenobjekt ist das Café unperfekt und unsaniert, ein alternativer Laden, der aussieht, als wäre er geradewegs aus den 90ern und einer Großstadt hierher versetzt worden. Hier bringe ich zwei glückliche Stunden zu, trinke Streuobstwiesenapfelschorle und Kaffee mit Hafermilch, während das „Sommermannsche Haus“ auf dem Papier allmählich Gestalt annimmt.


Im Frühling

Den Sonntag des langen Wochenendes vor dem 1. Mai verbringe ich in Eisenach. Ich treffe mich mit einer ortskundigen Freundin, die, um dem Gedränge in der Innenstadt oder auf der Wartburg zu entgehen, einen Spaziergang durch die Drachenschlucht vorschlägt. Nun ja: ich habe einmal gelesen, dass man in Japan in langer, nicht enden wollender Reihe den Fujiyama besteigt. Uns ergeht es ähnlich, wir quetschen uns mit hunderten anderen durch die bemooste Enge.

An eine Zeichnung ist nicht zu denken. Später am Tag haben wir mehr Glück: im weitläufigen Gelände von Schloß und Park Wilhelmsthal ist Platz für alle Spaziergänger (Spazierenden?), und auch die Zeichnerin kommt zu ihrem Recht.

Marstall und Kavaliershäuser von Schloss Wilhelmsthal

Am nächsten Tag fahre ich von Erfurt wieder auf den Werratal-Radweg zurück. Es trübt sich etwas ein, ein sanfter milder 1.Mai, in den hübschen Dörfern gibt es Bratwurst und Hoffeste; überall sind Familien unterwegs.

Im „Café Gisela“ (seit über dreißig Jahren eine Institution) gibt es zu Kaffee und dicken Tortenstücken einen riesigen Kirschbaum in schönster Blüte. Ich verzichte heldenhaft auf die Torte und nähre mich mit einer Zeichnung, bevor ich zu meinem Etappenziel Treffurt weiterfahre.


Wieder unterwegs

Ich bin wieder unterwegs. Mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad, wie im vergangenen Jahr. Dieses Mal war ich mutig und hatte eine Anreise von Schwerin nach Thüringen eingeplant. Das Rad samt Taschen ist schwer und unhandlich, die Wahl fiel auf den Regionalverkehr seinen Fahrradabteilen und tiefen Einstiegen …

Bis ich in Erfurt, beim dritten Umstieg, fassungslos vor vier steilen Stufen stand. Zu meiner Freude waren zwei freundliche schwäbische Herren zur Stelle, die das Rad mit vereinten Kräften in den Zug und wieder hinaus wuchteten. Vielen Dank!

Nach einer Nacht in Meiningen ging es auf den Werraradweg. Es war frisch und klar, und bis auf ein paar Umwege (ich sage nur: Abkürzung!) kamen meine Freundin und ich gut voran. Der Zeichnerin gingen die Augen über von Fachwerk und Kirchenburgen … Bei einer Rast in Schwallungen entstand dieses Bild.