Das Kleid der Marschallin

Im Oktober sah ich am Schweriner Theater den „Rosenkavalier“. Ich kannte vorher weder Handlung noch Melodie und war angerührt von der heiter-melancholischen Geschichte zwischen Romanze und Klamauk, an deren Ende die Hauptperson, die Marschallin, eine „reife Frau“, ihren jungen Geliebten an eine andere verliert und dennoch alle Fäden in der Hand behält.

Ich hatte in der Vorstellung ein paar Striche aufs Papier gebracht und später nach Fotos zu einem Blatt ergänzt.

Gestern nun gab es für uns Schweriner Zeichnerinnen die Möglichkeit, in der Schneiderwerkstatt des Theaters zu zeichnen. Mit großer Freude sah ich dort das Kleid der Marschallin wieder und machte mich daran, es zu zeichnen.

Das Kleid gibt der Trägerin Schutz, betont Würde und gesellschaftliche Position, ohne ihre weibliche Reife auszusparen. Und es hat einen komplizierten Schnitt, der der Zeichnerin einiges abverlangt.


Januar

Mein schönes Dezemberbüchlein ist, ungedenk aller guten Vorsätze, doch nicht ganz voll geworden und hat noch für mehr als den halben Januar gereicht. Kaum hat sich der Vorsatz des Täglichzeichnens verdünnt, steigt auch der Aufwand für das einzelne Blatt: alle drei hier gezeigten sind zu Hause oder im Zug koloriert, wenn auch in sehr unterschiedlichem Umfang.

Zuerst ein Porträt eines Schweriner Pastors i.R., schnell mit brauner Feder gezeichnet bei einem anregenden Sonntagsnachmittagsgespräch und später nach Foto noch ausgiebig koloriert.

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Porträt P.V., Pfarrer im (Un)Ruhestand.

Im Theater zu zeichnen hat immer mehrere Tücken: meist ist es dunkel im Saal, und wenn man zu sehr raschelt und kratzt, fühlt sich die Nachbarschaft belästigt. Also auch hier nur ein paar Striche mit Bleistift, quasi Blindzeichnen. Umso schöner, wenn die Betrachtung bei Licht authentischer geworden ist als erwartet und die nachträglich aufgetragene Farbe die Stimmung bewahrt. Hier der aktuelle Schweriner Otello: Desdemona im magentafarbenen Kleid und Otello als überangepasster Mohr in deutscher Offiziersuniform.

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Verdis Oper Otello in der aktuellen Schweriner Aufführung.

 

Den unbestreitbaren Farbenhöhepunkt bildete die aktuelle Ausstellung des Schweriner Staatlichen Museums, das große Teile der Sammlung Frank Brabant zeigt, mit dem Schwerpunkt auf Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Nicht nur, dass die Bilder selbst z.T. sehr farbkräftig waren, man hat sie, angelehnt an die Hängung in der Brabantschen Wohnung, auch vor kräftig farbige Wände gehängt. Im Vergleich zu meiner sonstigen Neigung zu eher verhaltenen Tönen ist mein Skizzenblatt geradezu eine Primärfarbenorgie geworden.

Auf der linken Seite habe ich das Bild „Der Pope“ von Josef Scharl abgebildet, einem jener Künstler, deren künstlerische Laufbahn durch Krieg und Emigration gebrochen war. Das Bild hat mich durch die starke Präsenz des Abgebildeten tief beeindruckt. Wieder einmal habe ich festgestellt, wie sehr viel mehr ich mich einem Kunstwerk nähere, wenn ich es zeichne als wenn ich es nur betrachte. Rechts hinter den beiden Besucherinnen angedeutet ist ein in Rot, Orange und verschiedenen Blautönen geradezu explodierendes Porträt des Sammlers Brabant zu angedeutet.

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Eindrücke aus der Ausstellung der Sammlung Brabant in Schwerin. Mehr Gouache als Aquarell.