Von Schwerin nach Gadebusch …

… ist es nicht weit, mit dem Rad eine Nachmittagstour, gerade gut für den ersten Tag meiner diesjährigen Radreise. An der eigenen Haustür loszufahren und dabei Zeit zu haben ist ein erholungsfördernder Luxus.
Gegen Mittag fuhr ich los, nach Westen aus der Stadt hinaus auf vertrauten Wegen, erinnerte mich bei den ersten Dörfern an eine Radtour vor zwei Jahren, während der ich einige Dorfkirchen „eingesammelt“ hatte und erschöpft von Sonne, Wind und den langgestreckten Hügeln wieder zu Hause angekommen war.

Dieses Mal waren die Hügel – man kennt das – kürzer und niedriger (auch blies der Wind wieder aus Osten, was nun hinter mir lag) und schneller als erwartet kam ich in Vietlübbe an.

Die einzigartige Dorfkirche mit dem gleichschenklig kreuzförmigen Baukörper hatte ich schon 1980 einmal besucht; zum Zeichnen war ich, mittlerweile Schwerinerin, 2016 hingefahren. Dieses Mal nahm ich mir die spitzgieblige und so ganz und gar unromanische Außenansicht mit ihrem hohen Dachreiter vor.

Bis zu meinem Tagesziel Gadebusch war es nur noch ein Katzensprung; auch dort steht eine noch teilweise romanische Backsteinkirche. Ich fand sie, zu meiner Freude, geöffnet. Sie ist im Innern freundlich und licht. Schnell fand ich ein Zeichenobjekt, eine frisch aussehende und untypisch rot gewandete Madonna, die als Flachrelief einmal die Seitenwange eines Chorgestühls geziert hatte.

Das Motiv war schneller gefunden als gezeichnet, die aufsichtsführende Dame lud mich ein, am nächsten Vormittag zur Andacht wiederzukommen.

Ich nahm die Einladung gern an und saß am nächsten Vormittag zwischen fünf Damen, deren Altersdurchschnitt ich mit meinen 64 Jahren deutlich senkte. Danach stellte ich die Zeichnung weitgehend fertig, bevor ich mich auf den Weg nach Ratzeburg machte.


Begijnhof

Im Herzen des Amsterdamer Touristenrummels, zwischen Büchermarkt und Stadtmuseum, gibt es einen Ort der der Stille. Oder sagen wir mal: es gibt ihn vermutlich zwischen 17:00 und 09:00, wenn die Tore für Touristen verschlossen sind und der Platz denen gehört, die darin wohnen. Am Tage strömen die Menschen, zu denen auch ich zähle – immer sind wir selbst ein Teil des Problems – durch den für die Öffentlichkeit freigegebenen Teil und erdrücken durch ihre schiere Menge das, wonach sie suchen.

Ich nahm drei Anläufe, im Begijnhof zu zeichnen. Beim den ersten beiden wurde die Zeit knapp, weil anderes anlag oder die Tore schlossen; erst beim dritten, am Sonntagmorgen vor der Abfahrt, fand ich Zeit und Ruhe, etwas vom Zauber des Ortes einzufangen, in dem seit hunderten von Jahren fromme Frauen – Beginen – gelebt und gearbeitet hatten.

Das Bild ist nach Anregungen der britischen Künstlerin Pat Southern-Pearce, deren Workshop ich in Amsterdam besucht hatte, entstanden. Es ist das letzte Bild aus einer Serie, doch da ich auf der Heimfahrt im Zug daran arbeiten konnte, kam es – im Gegensatz zu den anderen – schon fast fertig in Schwerin an. Nur die Schrift und die Detailzeichnung der Madonna habe ich noch ergänzt. Dieses Madonna am Giebel sagt uns, dass wir uns am Ort eines lange Zeit sehr diskret, weil in eigentlich strikt calvinistischem Umfeld, praktizierten Katholizismus befinden.


Nachtrag mit drei Tinten

Natürlich habe ich aus Eutin auch Halbfertiges mitgebracht. (Dass es überhaupt halbfertige Skizzen geben kann … ) Da ich vor der Abreise endlich meine Füller wieder auf Vordermann gebracht hatte und es dann am Freitag Abend auch noch eine Bescherung gab, war die Auswahl groß. Interessanter Weise ergab es sich, dass alle drei „Nachgeborenen“ mit unterschiedlichen Tinten gezeichnet sind.

Die samstägliche Mittagspause verbrachte ich in der Michaeliskirche, wo mir der Madonnenleuchter mit seiner ungewöhnlichen Ikonographie auffiel: eine hochmittelalterliche Madonna in einen Leuchter gefasst, an dessen Unterseite sich (hier im Schatten) eine Lutherrose befindet – als hätte jemand die Madonna neutralisieren wollen. Und wirklich: die Leuchterfassung wurde erst im 18.Jahrhundert angefertigt. Konfessionelle Toleranz zeigt sie für mich dennoch, genauso wie Kunstverstand: Galt doch die Madonnenverehrung in der evangelischen Kirche vielfach als eine Art Götzendienst und mittelalterliches in der Zeit der Aufklärung als verstaubter Plunder. (Das Mittelalterrevival kam ein paar zehn Jahre später mit den Romantikern.)

IMG_0162

Madonnenleuchter in der Eutiner Kirche, gezeichnet mit meinem neuen Super5-Füller und der zugehörigen Tinte „Australia“

Als ich am Samstagabend ziemlich müde vom Park in die Stadt ging und mich zum Schloss umwendete, konnte ich nicht anders, als doch noch eine schnelle Skizze von den im Abendlicht glühenden Mauern zu machen. Ich setzte nur schnell etwas Farbe aufs Blatt, und genau so zügig habe ich die dann zu Hause mit ein paar Tintenstrichen und einer zweiten Lasur ergänzt. Die braune Tinte steckt in einem Füller mit mittlerer Federbreite, was mir wichtig war, um nicht ins Kleinliche abzurutschen.

IMG_0163

Das Eutiner Schloss glüht im Abendlicht. Die Linien habe ich später hinzugefügt – mit brauner Dokumententinte von deAtramentis in einem Lamy Safari M.

Das dritte Bild habe ich am Sonntag Nachmittag angefangen. Nach den schwebend-flüchtigen Barockskizzen und den vielen Gesprächen im Schlosshof hatte ich Lust auf ein bisschen schweigende Architektur. An eben der Stelle, an der am Vortag der Workshop mit Nicola gewesen war, zog mich eine schöne klassizistische Fassade mit Streiflicht in ihren Bann. Schön ordentlich, wie ich es bei Nicola gelernt hatte, machte ich erst ein paar Kompositionsskizzen, dank derer ich mich entschloss, dem Haus bei aller Strenge ein paar Schrägen und ein ordentliches Stück Himmel zu gönnen. Die Farbe kam dann zu Hause.

IMG_0164

Lübecker Straße 5. Vor Ort gezeichnet mit Lexington Grey Ink in einem Pilot Prera aus Japan – mein Lieblingskombination für Feines und Genaues.


Bei der Mutter der Insel

Hoch oben über der Stadt Funchal steht im Vorort Monte eine Wallfahrtskirche. Hier ist es deutlich kühler als unten und feucht vom Nebel. „Die Kälte, die Feuchtigkeit, die Nebel schaffen ein durch und durch von Pflanzen beherrschtes Reich, in dem die Menschen fast fürchten, auf ihren Händen könnten Flechten wachsen und auf ihrem Haar Moos“ schreibt Helena Marques in ihrem Madeira-Roman „Raquels Töchter“. (Das Buch ist eine aus anrührenden kleinen Geschichten zusammen gesetzte Familiensaga aus der Welt des gehobenen Funchaler Bürgertums um 1900; manchmal dicht am Kitsch, gibt es doch viele interessante Hintergrundinformationen zu dem, was man heute in Funchal sieht.)

Um die Kirche herum ist Trubel, hier kommen die Touristen von der Seilbahn und drängen sich die Korbschlittenfahrer um Kundschaft. Gut hundert Meter weiter gibt es einen kleinen Platz mit Anklängen an früheren Kurbetrieb, Bänken, Platanen, ein, zwei Cafés. Aus einer Felswand, gefasst in ein hübsches Brunnenhäuschen und überhangen von riesigen Farnwedeln, sprudelt eine Quelle. Hier ist der eigentliche Ort der „Nossa Senhora de Monte“.

Es war an dem Nachmittag, an dem ich dort saß – die Sonne war aus dem Nebel hervorgekommen, stand aber schon schräg – ein ungemein friedlicher, stiller Ort. Einzelne Menschen betraten das blumengeschmückte Brunnenhäuschen mit dem Madonnenbild, tranken einen Schluck, einige füllten wohl auch mitgebrachte Flaschen und zündeten eine Kerze an. Der Kellner des Cafés, ein alter Herr, kam ab und zu und richtete die umgefallenen Kerzen wieder auf …

fullsizeoutput_4a1

Das Brunnenhäuschen der heiligen Quelle in Monte/Madeira.


Goldengel und graue Schlange

Königsfeld auf dem Fränkischen Jura hat nicht nur ein Gasthaus mit Stammtisch zu bieten, es hat auch Geschichte. Der Name Königsfeld erinnert an eine karolingische Pfalz, die Kirche ist noch heute mit Mauern und Toren als Wehrkirche befestigt, und alles atmet den Geist eines sehr alten Siedlungsplatzes.

Im Innern geht es hübsch barock zu, besonders die Kanzelengel hatten es mir angetan. Leider habe ich den pfiffig-verschmitzten Ausdruck nur bedingt einfangen können.

img_1006

Barocker Engel an der Kanzel der Königsfelder Kirche.

In einer Nebenkapelle stieß ich dann auf ein Glasfenster mit einer Mondsichelmadonna, der Machart nach vermutlich um 1900 entstanden. Ich stand auf Augenhöhe mit dem zarten Madonnenfuß, der die Schlange der Sünde zertritt, und war sowohl von der feinen Grisaille-Arbeit als auch von der naturalistischen Darstellung des Schlangenkopfes beeindruckt.

img_0995

Detail einer Glasmalerei in der Marienkapelle in Königsfeld. Besonders hat mir die an eine Schwarzweißfotografie erinnernde Darstellung von Schlange und Apfel gefallen. PITT-Pens und etwas Wasserfarbe in S&B Zeta.

Merken