Am Morgen eines heißen Tages

Nachdem ich in der Neustädter Havelbucht den Spuren meiner ersten Stadtzeichnung nachgegangen war, ging ich noch einmal in den Park Sanssouci. Das Thermometer war bereits auf über 30 Grad gestiegen; umso erfreuter war ich, an der großen Fontäne noch einen Platz auf einer schattigen Marmorbank gefunden zu haben.

Wie immer erweiterte das Zeichnen meinen Blick: aus zwei seit über fünfzig Jahren vertrauten, doch stets namenlos gebliebenen Marmorfiguren wurden Apollo und Diana. Auch dass sie einander sehnsuchtsvoll zugewandt sind, sah ich zum ersten Mal.

Apollo und Diana vor dem Schloss Sanssouci.

Völkerkunde oder: Chinoiserie 2.0

Eigentlich hatte ich die Rosen zeichnen wollen: hunderte alte Sorten kann man im Rosengarten am Schloss Charlottenhof im Park Sanssouci bewundern. Wenn man zur richtigen Zeit kommt. Ich aber war zwei, drei Wochen zu spät, die Hitze hatte das ihre dazu beigetragen, dass nur noch ein paar Nachzüglerinnen ihre letzten rosa Blütenköpfe zeigten. Außerdem wurde es dort rasch heiß.

So wanderte ich weiter zum Chinesischen Teehaus, einem Pavillon im „chinesischen“ Stil, dessen lebensgroße vergoldete Figuren unter „Palmen“-Säulen uns viel über das Weltbild des Rokokko und wenig über das China jener Zeit erzählen: eine Chinoiserie. Bewacht wurde das Gebäude von einem grimmig dreinschauenden Herrn meines Alters, der mich daran erinnerte, dass Potsdam einst eine Hochburg sehr staatsnaher DDR-Beamter gewesen war.

Kaum hatte ich es mir auf meiner schattigen Bank gemütlich gemacht, kamen drei echte Chinesinnen des Wegs und begannen vor der Figurengruppe für ein Foto zu posieren. Zwei von ihnen überstiegen eine niedrige Hecke am Wegrand und im selben Moment hörte man es von innen laut an die Scheibe wummern. Als die Damen nicht reagierten, kam der Wachmann in erstaunlichem Tempo um die Säulen herum gerannt und brüllte: „MACHT IHR DITT IN CHINA OOCH SO, ODA WATT?“

Vergoldete Figurengruppe am Chinesischen Teehaus im Park Sanssouci

Am früheren Beruf des Herrn hatte ich nun keinen Zweifel mehr. Die Chinesinnen aber schlenderten geruhsam weiter und ließen mich mit der Frage zurück, ob ihnen wohl eine App verraten hatte, was die goldenen Figuren darstellen sollten.


Rokokko, kopflos

Statue des heiligen Dionysius in der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen.

Statue des heiligen Dionysius in der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen.

Einige Kilometer von Lichtenfels entfernt befindet sich auf einem Hügel die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen. Als ich Ende Oktober zu Fuß dort ankam, hatte ich erst einmal einige Kilometer Autobahnzubringer zu erlaufen, bevor der Weg ins freie Land abbog – nicht ohne den Lärm aus dem Tal noch lange mitzunehmen. Die Kirche war weithin zu sehen, wenn auch ihre Türme eingerüstet waren und die Spitzen im Nebel verschwanden.

Im Zentrum der Kirche steht der Gnadenaltar – wirklich in der Mitte, ein freistehendes Gebilde aus Stuck und Gold, über und über ornamentiert und von vierzehn ebenfalls goldstuckigen, lebensgroßen Heiligenfiguren bevölkert. Gestern war ich noch im protestantisch-neogotischen Coburg gewesen, und nun dieses animistische Rokoko ….

Gezeichnet habe ich am Ende die Statue des heiligen Dionysius, des legendären ersten Bischofs von Paris. Er soll um 250 auf dem Montmartre, dem „Berg der Märtyrer“, geköpft worden sein und dann mit dem Kopf in der Hand noch ein Stück gelaufen sein.  Hier steht er im kostbaren Bischofsgewand und hält seinen abgeschlagenen Kopf in den Händen wie einen Prozessionsgegenstand – sozusagen ein edler Vorfahre des Claus Störtebeker. In Frankreich kennt man ihn unter dem Namen St.Denis, und in der ihm geweihten Kirche sind fast sämtliche französischen Könige begraben.


Johannes der Täufer am Radweg

Wer hätte gewusst, dass es Radwegkirchen gibt? Ich weiß es jedenfalls erst, seit ich im thüringischen Eberstedt in einer gerastet habe. Es war eine sehr angenehme Rast in einem hellen lichten Kirchenraum mit einer beeindruckenden Rokokko-Ausstattung und einer freundlichen und lebendigen Atmosphäre.

Die Stirnwand wird von einem großen Schnitzaltar eingenommen. Zum Zeichnen habe ich mir Johannes den Täufer gewählt. Er hält die Thora auf dem rechten Arm und weist damit gleichzeitig auf Jesus als den Kommenden, der das Gesetz transzendieren wird – ein ikonografisches Motiv, dem ich später in der Gegend in ganz ähnlicher Form noch einmal begegnete. Johannes trägt eine Art zotteligen Fellmantel, der ihn ein wenig in die Nähe eines „wilden Mannes“ rückt. Einen schönen Kontrast dazu bildet die Dekoration, die ich als Rosen, Ananas und Tabakblätter gedeutet habe.

IMG_20160619_0043