An der See, drinnen

Letzte Woche war ich für ein paar Tage an der Ostsee. Bei Regen und Sturm verstand es sich von selbst, dass auch das eine oder andere drinnen stattfand. Bevor ich noch in meinem Hotel ankam, besuchte ich die Ausstellung „Perspektivwechsel“ in der Rostocker Kunsthalle – gezeigt wurde deutsche Nachkriegskunst aus Rostocker und Lübecker Beständen.

Den tiefsten Eindruck hinterließ bei mir ein Bild, das nicht zu der Ausstellung gehörte: das Selbstporträt von Kate Diehn-Bitt von 1933. Die Malerin wird als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit gerade wiederentdeckt, und so wurde das Gemälde an prominenter Stelle gezeigt, bevor es als Leihgabe zu zwei großen internationalen Ausstellungen reist.

Die Malerin hat sich selbst als Halbfigur in klassischer Malerpose dargestellt; beim Abzeichnen habe ich mich auf den Kopf beschränkt und dabei ein bisschen Schraffurtechnik geübt. (Das machte sich gut am Abend im Hotel, während draußen der Sturm tobte und die Brandung rauschte.)

Das Hotel war – wie vieles im Osten – ein klassisches Produkt der späten 90er Jahre. Während in den Zimmern Messing und Marmor den Ton angaben, waren es in der Lobby Korbmöbel, Fliesen und grün gestrichene Metallstreben, eine postmoderne Remineszenz an Kaiserbahnhöfe oder dergleichen. Es war ein schöner Ort zum Zeichnen, licht und freundlich und nicht zu voll, und dabei mangels rechter Winkel ziemlich knifflig. So sind auch außer der Rezeptionistin ganz hinten keine Menschen auf dem Bild – die waren immer schon wieder weg, wenn ich mit ihnen anfangen wollte.

Beim Frühstück hatte ich mehr Glück: nicht nur, dass draußen blauer Himmel über blauem Meer auf mich wartete – die Leute hielten auch so lange still, bis ich sie halbwegs auf dem Bild hatte.

Den Abfahrtstag verbrachte ich noch ein paar Stunden in Bad Doberan. Durchgefroren vom Münsterbesuch fand ich in einem ziemlich vollen Café einen guten Platz mit Blick aus dem Fenster und auf zwei Damen im Gegenlicht. Die beiden waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mein intensives Zeichnen nicht bemerkten. Als ich fast fertig war, sprach mich die Kellnerin an: ob mich denn die Unruhe und die vielen Gespräche nicht in meiner Konzentration störten. Da merkte ich, dass ich eine glückliche Stunde lang ganz und gar in meinem Bild aufgegangen war …


Ein schöner Nachmittag

Erst ins Café, dann ins Museum – ein schöner Stadtnachmittag am letzten Samstag.

Zum Start ein Eiskaffee bei Miss Törtchen, meinem Schweriner Lieblingscafé.

Im Staatlichen Museum Schwerin war ich lange nicht, obwohl es schon seit Monaten wieder geöffnet ist. In der schönen Sonderausstellung dänischer Malerei aus der Sammlung Christoph Müller kann man sich in kontemplativen Landschaften und Interieurs verlieren. Ich versenkte mich, passend zur aktuellen Wetterlage, in eine Gewitterlandschaft. Vor Ort machte ich eine Tonwertstudie mit wasserlöslichen Markern, zu Hause habe ich – ebenfalls mit Markern – noch sparsam Farbe eingefügt. Nur das Blau kommt aus dem Aquarellkasten.

Carl Frederik Aagard „Aufziehendes Gewitter auf Saltholm“

Das Museum hat auch eine Barlach-Sammlung, die derzeit mit einigen mittelalterlichen Plastiken bereichert ist. Hier zeichnete ich einen wunderbar archaischen spätmittelalterlichen Heiligen Jakob.

St. Jakob, um 1500 von einem unbekannten Künstler aus Eichenholz geschnitzt.

Kleines Glück im Eis

Als ich am 11.Mai nach Wismar fuhr, hatten über Nacht die Eisheiligen begonnen. Ein eisiger Wind fegte den Himmel blau und bog die Bäume, an Zeichnen im Freien war kaum zu denken. Ich hatte mir dieses Mal St.Nikolai mit ihren zahlreichen Seitenkapellen, Altären und anderen Ausstattungsstücken vorgenommen. Am Ende entschied ich mich für ein Detail des riesigen Triumphkreuzes, das nach seiner Sicherung aus der einsturzgefährdeten Wismarer Georgenkirche hierher gekommen war.

Das Medaillon, etwa einen halben Meter hoch, bildet den unteren Abschluss des Kreuzes und symbolisiert den Evanglisten Matthäus. Beim Nachlesen habe ich erfahren, dass dies kein Engel, sondern ein „geflügelter Mensch“ ist – in Analogie zu den geflügelten Tieren der anderen drei Evangelisten (der bekannteste dürfte der geflügelte Markuslöwe sein, der später zum Wahrzeichen von Venedig wurde.)

Nachdem ich noch zwei Runden im Wind um die Kirche gedreht hatte, verabschiedete ich mich endgültig von der Idee, draußen zu zeichnen. Schon auf dem Hinweg hatte ich das „Café Glücklich“ ins Auge gefasst, und glücklich fand ich dort einen Platz am Fenster, einen heißen Kaffee und ein Stück luftig-leichter Torte.

Die erste Torte auswärts nach sechs Wochen Pause.

Der Blick aus dem Fenster fiel auf das „Schabbellhaus“, das Wismarer Stadtmuseum, und ich versuchte mein bestes, mich bei der üppigen Renaissance-Fassade nicht mit Details aufzuhalten.

Schabellhaus, Stadtmuseum Wismar, vom „Café Glücklich“ aus gesehen.

Am Abend war ich dann so gut „eingezeichnet“, dass ich am Rande einer Plauderei bei Freunden noch den Fleiderstrauß auf dem Tisch einfangen konnte.


Pfullendorf …

… ist, anders als der Name vermuten lässt, kein Dorf, sondern eine Kleinstadt in Bodenseenähe. Mein letzter Wandertag hatte von Wald noch einmal durch den Wald geführt, der hier schon hügeliger wurde und nicht mehr so sumpfig war wie am Vortag. Als er sich sich nach einigen Kilometern unvermittelt öffnete, hatte es auch die Sonne durch den Nebel geschafft und die Stadt lag mit schöner Silhouette am gegenüberliegenden Hang.

Wie immer, wenn ich schon denke, ich sei angekommen, zog sich der Weg – erst durch Gewerbegebiete, dann durch eine endlos scheinendende Neubausiedlung zur Wallfahtskirche „Maria Schray“ am oberen Stadtrand.

Als ich nach einer Rast aus der Kirche trat, hatte es sich bereits wieder zugezogen; am „Oberen Tor“ begann es zu tröpfeln, so dass ich sie nur in ihren Umrissen erfassen konnte. Das bunt bemalte Relief in seiner für das späte Mittelalter so typischen Mischung aus Volksfrömmigkeit und Bürgerstolz habe ich zu Hause nach Foto ergänzt.

Hinter derm Oberen Tor folgte ich der steil zum Markt abfallenden Hauptstraße. Prachtvolle Fachwerkhäuser prägen das Bild der Stadt – und sind doch hier, wie an vielen ähnlichen Orten, oft nur noch Fassade. Gewohnt wird im Eigenheim am Hang; der Trend zurück in die Innenstadt ist an den Kleinstädten bisher vorüber gegangen. Auch die Gaststätten haben sich dem angepasst – hinter „Adler“ und „Lamm“ findet man allzuoft nur noch einen Döner, während die moderne Erlebnisgastronomie an der Ausfallstraße stattfindet.

Und dann entdeckte ich das „Café Moccafloor“. Der große Raum, dessen hässliche Deckenverkleidung an ein vormaliges Schuhgeschäft erinnerte, quoll über von einem Sammelsurium an Sperrmüllmöbeln, Pflanzen, Kronleuchtern, Kuchenvitrinen, einem Klavier … umrahmt von türkis gestrichenen Wänden voller Spiegel und Bilderrahmen. Ein Ort, der geradewegs aus der gentrifizierten Mitte einer Großstadt hier her versetzt zu sein schien, mit dem Unterschied, dass an den Tischen nicht die üblichen Verdächtigen beim Matcha-Latte saßen, sondern Familien neben Frauen mit Markttaschen und einem Trachtenhut beim Bier.

Auch ich reihte mich dort ein mit Kaffee und Torte, blieb, bis das Bild fertig war, die Dämmerung einfiel und die Jakobus-Kirche geschlossen wurde, ich freute mich an diesem Nippes gewordenen Gegenentwurf zu AOK und Sparkasse hinter Fachwerkmauern, an dieser lebensfrohen Zuflucht für graue Kleinstadtnachmittage.