Leporello, mal wieder
Veröffentlicht: 18. September 2022 Abgelegt unter: Alltag, Artist Journal, Dinge, Mixed Media, visuelles Tagebuch | Tags: Alltag, Dinge, Leporello, mixed media, Obst, visuelles Tagebuch 4 KommentareVor einigen Wochen sah ich mal wieder einen der hinreißenden Leporellos der Landschaftsarchitektin Martina Offenberg. Sie ist eine großartige Zeichnerin, die ihre Urban Sketches gern auf selbst gestaltete Leporellos zeichnet. Sie bereitet diese Papierstreifen als Collage aus unterschiedlichen Papieren und Stempeln vor, die unterwegs noch weiter ergänzt wird.
So etwas wollte ich auch machen! In vier Wochen habe ich Urlaub, und da wäre es schön, einen selbst gestalteten Leporello as Reisetagebuch mitzunehmen. (An fertig konfektionierten hatte ich schon zwei mal meine Freude gehabt – hier und hier) Ich beschloss einen Probelauf und sichtete meine sich als reichlich erweisenden Papiervorräte. Ich liebe die Resultate solcher Aktionen – wenn andere Leute sie angefertigt haben. Selbst bin ich darin ungeschickt; ich habe Freude an der Haptik der verschiedenen Aquarell- und Bastelpapiere, doch beim Schneiden und Kleben gab es erst einmal eine Menge Ausschuss.
Irgendwann war das Produkt fertig, zusammengeklappt hat es A6-Format. Ich hatte wild darauf los geschnippelt und geklebt, unterschiedlich Papiersorten gemischt, mit Aquarellgrundierung versehen und zusätzlich noch diverse Collage-Elemente vorbereitet.
Als erstes schnitt ich eine kleine Skizze vom Mittagessen bei „Nordsee“ aus einem anderen Skizzenbuch aus und klebte sie ein – sie ist hier nicht zu sehen, nur der Leuchtturm kündet auf dieser Seite davon. Zu sehen sind drei besondere Löffel – am liebsten hätte ich „Eine kleine Geschichte von mir in sieben Löffeln“ erzählt und mich unendlich in den Assoziationen verloren, die die Dinge an unserer Seite auftun. Aber ich beschränkte mich erst einmal auf drei – mit Fortsetzungsoption.

Den „Göffel“ hat eine Freundin liegengelassen. Es ist ein superleichtes superhartes Objekt aus Titan, die Minimalistinnen-Variante des Besteckkastens für den Rucksack. Seltsamer Weise trägt er die Inschrift „Light my Fire“.
Der Suppenlöffel mit dem „Konsum“-Signet entstammt den unendlichen Tiefen der Besteckkiste auf meiner Arbeitsstelle (und ist inzwischen dorthin zurückgekehrt). Ein rauchender Schornstein und eine Sichel ergeben in typisch ostmoderner Ästhetik zusammen ein „K“ wie „Konsum“ (gesprochen Kónsumm) – dem Inbegriff des Lebensmittelgeschäfts in der DDR. (Das interessante Wurzeln in Lebensreform und Sozialdemokratie hat und in einem gemeinwohlorientierten Land wie der Schweiz z.B. als „volg“ überleben konnte.)
Der geschnitzte „Folklore“-Löffel kam durch einen der zahlreichen Osteuropa-Kontakte meiner Mutter in unseren Haushalt und hing viele Jahre als Dekoration in der Küche – mit einer dazu passenden Gabel als Salatbesteck. Ich hätte es gern benutzt, doch es ist klein und unhandlich, so wanderte es in eine Schublade, die „Mein Museum“ heißt und voll ist mit kleinen Dingen, über die ich – irgendwann einmal – schreiben möchte.

Am nächsten Tag saß ich am Schweriner Marienplatz und versuchte mich – gleich mit Füller – an einer kleinen Stadtansicht. Über die Dachsilhouette und ein paar Oberleitungen der Straßenbahn kam ich nicht hinweg, so dass ich das Ganze abends mit drei Äpfeln übermalte.
Das hätte ich vermutlich in einem konventionellen Skizzenbuch nicht getan, doch die Anmutung von Collage, die dem ganzen Projekt eigen ist, machte es möglich. Wie immer nimmt die locker aufgebrachte Grundierung die Angst vor dem leeren Blatt, macht munter und mutig. Es liegt darin auch die Gefahr, Lockerheit mit Schlampigkeit zu verwechseln und die Struktur zu verlieren. So hat mich dieses Probe-Projekt bis heute schon gelehrt, es nicht zu übertreiben mit „Mixed media“, nicht zu viele unterschiedliche Papiersorten und Collageelemente zu verwenden – zumal die einem auf Reisen sowieso in reicher Zahl in Form von Eintrittskarten, Prospekten, Zuckertüten & Co. zufallen.
Am Tag nach den Äpfeln bin ich zu mal wieder zu einer Dorfkirche über Land gefahren: Fortsetzung folgt.
Ich weiß, dass ich schmecke, sagte der Fisch
Veröffentlicht: 24. Juli 2022 Abgelegt unter: Alltag, Mixed Media, visuelles Tagebuch | Tags: Fisch, Maräne, Schwerin Hinterlasse einen KommentarMaränen habe ich schon ab und zu gezeichnet. Es sind heringsgroße Fische, die tiefe, kalte und saubere Süßwasserseen brauchen, besonders für das Wachstum der Jungfische. Ausgewachsene Exemplare sind nicht so empfindlich und schwärmen schon mal in die Ostsee aus. Fangsaison ist im Sommer, wenn es nicht zu warm wird. Und da die Feuerzungen der Große Hitze bisher nur kurz herübergelodert haben, gibt es noch welche. Sie sind sozusagen der Inbegriff von Regionalität. (Und sie scheinen sehr variable Gene zu haben, denn jeder große See, der auf sich hält, hat seine eigene Art. Anderswo heißen sie Felchen oder Renken, wobei der lokale Name nur locker mit dem wissenschaftlichen verknüpft ist. Diese hier haben „Coregonus albula“ in der Geburtsurkunde stehen.)
Am Verkaufswagen der Schweriner Seenfischerei konnte ich letzte Woche drei geräucherte Exemplare erwerben, und Freitag Abend machte ich mich daran, sie zu malen. Ich nahm das schöne dunkelgraue Papier von PaintOn, Tinte, Aquarellfarbe (nein, es ist keine Gouache), die farbkräftigen Inktense-Stifte von Derwent, die ich mir Ende Januar in Karlsruhe gekauft hatte und zum Schluss noch einen weißen Gelmarker. Immer schön Schicht auf Schicht.

Dann kamen sie wieder in den Kühlschrank und ich hatte anderweitig zu tun und zu speisen. Heute gaben sie ein gutes Sonntagsfrühstück. Sie lassen sich gut essen, denn sie haben festes, saftiges Fleisch, das an Forellen erinnert, und kaum fiese Gräten.
Es war Sonntag, ich hatte Zeit, sie mir in Ruhe schmecken zu lassen und gleich noch einmal die Stifte herauszuholen. Dieses Mal zeichnete ich in das kleine quadratische Büchlein von Royal Talens, das ich ebenfalls bei Gerstäcker Karlsruhe erworben habe und sehr liebe. Es hat griffiges, etwas gelbliches Papier, das fast kein Wasser verträgt. Ich zeichnete mit Kugelschreiber und etwas Buntstift, den ich nur mit ein paar Tropfen Wasser anlöste.

Die Gedanken schweiften derweil zur Lektüre der letzten Tage (ja, auch das Lesen hat kam dem Zeichnen etwas in die Quere): „Der Butt“ von Günter Grass, zu dem ich über diverse Assoziationsketten kam. In diesem Buch sagt der namensgebende sprechende Plattfisch bei der ersten Begegnung zum Ich-Erzähler „Mir ist bekannt, dass ich schmecke.“ (Er bleibt, wie man aus dem Märchen weiß, am Leben.) Ich stellte mir die drei Maränen vor, wie es dem Fischer mit ihnen – noch quicklebendig – ergangen wäre, was sie mit feinen Stimmchen versprochen hätten, um ungeräuchert wieder ins Wasser zu dürfen – um am Ende auf die Frage zu kommen, das allein das „die“ vor der Maräne einen prinzessinnenhaften Gegenentwurf zum männlich-väterlichen Butt evozierte – ein kleiner Beitrag zum unerschöpflichen Thema Genus und Sexus …
Freu dich Fritzchen …
Veröffentlicht: 23. Juli 2022 Abgelegt unter: Alltag, Botanische Malerei, visuelles Tagebuch | Tags: Gemüse, Kochen, Pflanzen Hinterlasse einen Kommentar… morgen jiebt et Selleriesalat. Vermutlich habe ich den Spruch schon in meiner an Sprüchen aller Art reichen Randberliner Kindheit kennengelernt – ohne dass mir jemand erklärt hätte, was es damit auf sich hat. Erst später erfuhr ich, dass der Sellerie wegen seiner aphrodisierenden Wirkung auch Geilwurz oder Hemdenspreizer genannt wird … Allerdings sollte die Pflanze roh verzehrt werden, so dass Fritzchens Berliner Selleriesalat aus gekochtem Knollensellerie vermutlich eher eine suggestive als eine pharmakologische Wirkung entfaltet.
Letzte Woche hatte ich mir vorgenommen, Caponata zuzubereiten. Caponata ist ein dem Ratatouille ähnliches Gemüseragout sizilianischer Herkunft, das süßsauer gewürzt lauwarm oder kalt gegessen wird. Neben Auberginen – der Hauptzutat – kommt auch Staudensellerie dazu, allerdings (leider, Fritzchen) wird auch der zumindest kurz mitgekocht.
Ich liebe Auberginen und mache hier eine Ausnahme vom regionalen Prinzip, aber zu meiner Freude gab es regional angebauten Staudensellerie auf dem Markt. Das Grün war noch dran – alles zusammen zu zeichnen, wurde eine ordentliche Friemelei.

Die Caponata wurde eine köstliche Angelegenheit, und da sie gehaltvoller ist als ähnliche mediterrane Gemüserezepte, eignet sie sich auch als leichtes sommerliches Hauptgericht. Das Netz quillt über von Rezepten, keines ist wie das andere; ich füge denen meines dazu. (Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem.) Also:
3 Auberginen in eher kleine Würfel schneiden, salzen und beschwert abtropfen lassen.
2 etwa faustgroße Zwiebeln schneiden und in in einer Schmorpfanne mit etwas Öl langsam und bei niedriger Temperatur (!) eher schmoren als braten, ggfs. etwas Wasser dazu geben oder den Deckel auf die Pfanne setzen.
Einige Knoblauchzehen, 1 – 2 Paprikaschoten und einige eingeweckte Tomaten zu den Zwiebeln geben (die sollten bereits weich geschmort sein und süßlich schmecken) dazugeben und das Ganze sanft weiter köcheln lassen.
Jetzt die abgetropften Auberginenwürfel in einer zweiten Pfanne kräftig anbraten (Wer hat, nimmt Erdnussöl.) und wenn sie gar sind, zu dem übrigen Gemüse geben.
Ein Bund Staudensellerie (da ist er ja!) schneiden und mit in die Pfanne geben.
Jetzt brauchen wir nur noch die „Extras“ dazugeben und das Ganze abschmecken. Ich habe nicht gegeizt: Jeweils eine Handvoll Oliven, Zedernüsse (die ersetzen bei mir die Pinienkerne; Mandeln gehen auch) und Rosinen sowie ein reichlicher Esslöffel Kapern. Alles zusammen ein letztes Mal aufkochen lassen und den Herd abstellen. Mit Essig, Zucker und Salz abschmecken (da hat jeder sein eigenes Maß) und mindestens über Nacht, besser einen ganzen Tag durchziehen lassen.
Das Ergebnis ist eine komplexe Mischung von Aromen und Texturen, die sich teilweise überlagern und vermischen und doch noch einzeln zu erkennen sind: der immer noch knackige Sellerie (Fritzchen freut sich), die Nüsse, die über Nacht wieder zu saftigen Beeren gewordenen Rosinen mit ihrer Süße, daneben die salzigen Kapern und Oliven …
Am Ende hatte ich mich mit meiner großen Pfanne etwas übernommen und beschlossen, eine Woche Caponata-Pause einzulegen – den Freund, der den Rest in einem Glas mitnahm, hat es gefreut.
Fisch mit Nacken
Veröffentlicht: 15. April 2022 Abgelegt unter: Alltag | Tags: Fisch, Kochen Ein KommentarKommissar Maigret ermittelt: Hörbuch für Hörbuch lasse ich mich auf der warmen Stimme des Sprechers in ein eskapistisches Paris tragen, das es so nie gab. Eine Wahrsagerin wurde ermordet, ein Messerstich traf sie in den Rücken und nun liegt sie vorüber geneigt auf dem hübschen blankpolierten Tisch in ihrem Wohnzimmer. „Da Isidore so schöne Schleie gefangen hatte und ich sowieso nach Paris musste, dachte ich …“ sagt die Inhaberin einer Anglerpension, die die Frau gefunden hat. Die Pension wird in der Geschichte noch eine Rolle spielen, die Schleie hingegen? „… befanden sich in einem Korb, in Kräuter gewickelt, die ihre Frische noch nicht verloren hatten.“ Danach ist von den Fischen nicht mehr die Rede, und wir wollen hoffen, dass sich eine Hausfrau ihrer annahm. (Männer können bei Simenon nicht kochen.)
Schleie. Ich hatte den Namen schon mal gehört, mehr aber nicht. Weder in meiner Oranienburger Kindheit noch in den keineswegs fischarmen Schweriner Jahren waren sie mir bisher begegnet – bis ich an meinem neuen Arbeitsweg auf den Verkaufswagen der „Schweriner Seenfischerei“ stieß.
Überraschend genau beschreibt Maria Schellhammer in ihrem 1690 erstmal erschienenen „Brandenburgischen Kochbuch“ den Fisch aus der Sicht einer gebildeten Köchin:
Die Schleyen sind an vielen Orten Teutschlands gantz unbekannt, an etlichen bekannt, aber wenig geachtet, so daß, weil sie wegen ihrer Ringschätzigkeit für den gemeinen Mann kommen, sie den Namen der Schuster-Karpen davon erhalten. Und ist zwar nicht zu leugnen, dass ein zeher, harter und schleimichter Fisch ist: nicht desto weniger ist es ein wohlschmeckender Fisch, wenn er wohl zugerichtet, und ist man in Paris einer von der unsrigen ganz unterschiedlichen Meynung, daher er daselbst auch nicht der wohlfeilsten.
Das hatte ich noch nicht gelesen, als ich den ersten Schlei (oder die erste Schleie, beides ist richtig) auf meinem Küchentisch liegen hatte. Ich guckte in ein altes Fischkochbuch, dort stand etwas sybillinisch:
Die Nackenstücke werden sauer gekocht, der Rest gebraten.
Helga Rudolph, Schüsselhecht und nackter Barsch
Soviel Aufwand für einen Fisch? Und wo hat der eigentlich seinen Nacken? Es war spät geworden, ich machte es mir einfach, es gab „Schleie Müllerin“, in Mehl gewälzt und im ganzen gebraten. Das Ergebnis hätte ich bei Frau Schellhammer nachlesen können: ein zeher, harter und schleimichter Fisch. Mit Unmengen von fiesen kleinen Ypsilon-Gräten unterhalb der Rückenflosse. Das also war mit „Nacken“ gemeint gewesen.

Für die zweite Schleie (sie sind nicht jede Woche zu bekommen) befragte ich noch einmal meine Kochbücher und entschied mich für „Schleie in Dillsauce“. Ich kochte den grob zerteilten Fisch in Wurzelsud und aß ihn mit einer schönen süßsäuerlichen Dillsauce; keine Spur mehr von „Zehigkeit“ und Härte. Mit den Gräten, damit war zu rechnen gewesen, hatte ich noch zu kämpfen, aber immerhin war ich vorgewarnt. Bein nächsten Mal, so lautet der Vorsatz, werde ich zwei Fische kaufen und aus dem „Nacken“ eine schöne Sülze kochen. Den übrigen Teil werde ich à la Lorraine zubereiten, wie es Madame Maigret vielleicht gemacht hätte: in Weißwein dünsten und mit einer Sahnesauce gratinieren, auf französische Art „wohl zugerichtet“ …
Altmark
Veröffentlicht: 14. Februar 2022 Abgelegt unter: Alltag, Reiseskizzen, Urban Sketching, visuelles Tagebuch | Tags: Altmark, Gotik, Handarbeit, Renaissance, Urban Sketching, visuelles Tagebuch Hinterlasse einen Kommentar„In the middle of nüscht“ sagen die Altmärker zärtlich, wenn sie gefragt werden, wo sie leben. Hand aufs Herz: von Stendal haben wir vielleicht mal gehört, wenn von umgeleiteten Zügen die Rede war, aber von den Hansestädten Salzwedel, Tangermünde, Osterburg, Werben … ? Von einer schier unglaublichen Dichte an romanischen Dorfkirchen, von hoch über der Elbe aufragenden Backsteinmauern, die besterhaltene mittelalterliche Stadtkerne einschließen?
Am letzten Wochenende habe ich eine Freundin besucht, die genau dort lebt. Wir haben in der ersten Vorfrühlingssonne zeichnend draußen gesessen, uns danach im Café aufgewärmt und natürlich ausgiebig geplaudert. (Hat hier einer „geschnattert“ gesagt?)


Das Bild vom Ratskeller wollte ich zuerst verwerfen, weil ich vor lauter Gespräch die Gewölberippen verwechselt hatte. Dann aber entschloss ich mich zu einer Reparatur, habe aber dann doch nicht alles perfekt fertig gestrichelt.

Fläschchen
Veröffentlicht: 12. Februar 2022 Abgelegt unter: Alltag, Mixed Media, visuelles Tagebuch | Tags: Alltag, Medizin, visuelles Tagebuch Hinterlasse einen KommentarNeben der handfesten Hausarztmedizin habe ich viele Jahre die Pflanzen- und Naturheilkunde als fachliches Hobby gepflegt. Mit der Übergabe meiner Praxis in jüngere Hände war, neben vielem anderen, auch ein großer Vorrat an pflanzlichen und homöopathischen Mitteln zu sortieren. Ein Teil blieb am alten Ort, wo ich noch in kleinem Umfang damit weiterarbeite. Vieles habe ich mit nach Hause genommen, gesichtet und neu geordnet.
Dabei kam mir die Idee zu diesem Bild. Es zeigt einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle, die mich über viele Jahre erfreut hat. Die Auswahl habe ich vorwiegend unter ästhetischen Gesichtspunkten getroffen. Ein bisschen „Trauerarbeit“ ist natürlich auch dabei, Erinnerungen daran, wie ich mir diese Kenntnisse vor nunmehr zwanzig Jahren erarbeitet habe, Nachdenken darüber, wie sich die geistige Landschaft in dieser Zeit verändert hat.* (Was sich u.a. darin spiegelt, dass die Firma „Staufen“, von der auf meinem Bild gleich zwei Fläschchen auftauchen, eines Tages sang- und klanglos mitsamt ihrem Schatz an Substanzen und Erfahrungswissen von der Bildfläche verschwunden war.)

* Um dieser Veränderung Rechnung zu tragen, hier eine Schlussbemerkung, sozusagen ein Disclaimer: Ich bin – selbstverständlich, würde ich gern sagen – gegen das Coronavirus geimpft und habe diese Impfung natürlich auch in meiner Praxis angeboten.
Berlin
Veröffentlicht: 7. Februar 2022 Abgelegt unter: Alltag, Reiseskizzen, Urban Sketching, visuelles Tagebuch | Tags: Berlin, Porträt, Urban Sketching, visuelles Tagebuch 2 KommentareAuf Karlsruhe folgte Berlin. Ich traf Freunde (einige Urban Sketcher darunter) und Verwandte; zwischendurch blieb noch Zeit, in meinem minimalistischen Hotel am Ostbahnhof den Leporello weiter zu füllen.

Am Nachmittag war ich mit zwei Urban Sketchern aus Berlin in der Markthalle Neun zum Zeichnen verabredet.

Markthallenzeichnen ist etwas, worum ich die Berliner jeden Winter beneide, es war allerdings relativ kühl, so dass wir im strömenden Regen noch weiter zum Oranienplatz in ein Café zogen. Hier entstand eine schnelle Skizze mit Blick in die Blaue Stunde.


Am nächsten Tag war ich noch mal mit zwei Zeichnern verabredet, dieses Mal im Technik-Museum. Das Hauptbild – den Dampfschlepper „Kurt-Heinz“ – habe ich schon gezeigt; beim Kaffee im ferienhalber leider recht vollen Imbiss blieb dann noch Zeit für ein kleines Porträt eines Mitzeichners. (Vor einigen Jahren hatte ich ihn schon mal gezeichnet.)

Das Leuchten der Dinge
Veröffentlicht: 17. Januar 2022 Abgelegt unter: Alltag, Dinge, Herkunft, visuelles Tagebuch | Tags: 60er Jahre Ein Kommentar… dass alle uns umgebenden Dinge narrativ aufgeladen waren: ihre Geschichte seit ihrem Eintritt in unsere Familie war bekannt, gehörte zu ihnen und wurde immer wieder erzählt. Das erschwerte es, sich von ihnen zu trennen und unterschied uns noch mehr von den Trägern der Wegwerfgesellschaft, denen vor allem eines fehlte: die Fähigkeit zum ‚Lesen‘ der Bedeutung der Dinge in ihrem Leben.
Rolf-Ulrich Kunze „Das halbe Jahrhundert meiner Eltern“
Seit einigen Jahren steht der alte Schreibtisch meiner Mutter in meinem Arbeitszimmer. Kein wuchtiges Herrenzimmer-Trumm, nein, ein zierliches Möbel im jetzt wieder so modernen Stil der Mitte des 20. Jahrhunderts. Er ist mit einem honigfarbenen Holz furniert und hat unpraktische, spitz zulaufende, schwarz lackierte Metallfüße. Im Universum meiner Wohnung nahm er einen eher ungeliebten Platz ein: hierhin setzte ich mich für Buchhaltungsangelegenheiten, Amtskorrespondenz und all jenen anderen halbprivaten Schreib- und Zettelkram, den man so gern vor sich herschiebt.
In der letzten Woche habe ich begonnen, das Arbeitszimmer aufzuräumen und mich dabei zuerst dem Raum rund um den Schreibtisch zugewandt. Ich habe das Büroklammergerümpel und die gelben Zettelchen in eine Schublade verbannt und den alten Brieföffner meiner Mutter (warmtoniges Holz in einer leichten, feinpolierten Holzschale) aus einer entlegenen Kiste geholt.

Die fünf bis sieben nichtschreibenden Kugelschreiber kamen in den Müll, wurden durch zwei funktionierende Verwandte ersetzt, um in einer Birkenholzschachtel (von schöner Honigfarbe, was sonst) anstelle des alten Senfglases ihr neues Zuhause zu finden. Bleiben durften der geschliffene graue Ammonit (dessen Bedeutung zu erläutern hier nicht der Ort ist) und die Schutzmantelmadonna, die mir einst ein leider vor vielen Jahren verlorener Freund geschnitzt hatte und die ich vor langer langer Zeit mir selbst zur Ermutigung bemalte. (Wusste ich damals noch nicht, dass Madonnen blaue Mäntel tragen?)
Und dann sind da natürlich noch die Computermaus, handschmeichelnd und nützlich, wenn auch leider nicht von der Haltbarkeit ihrer Nachbarn, und das warme Licht, das keineswegs von einer Kerze kommt, sondern aus modernen LEDs, deren Lichtfarbe und Helligkeit sich meinen Bedürfnissen anpassen lassen. In diesem Fall dem der Erinnerung: Willkommen in der Gegenwart.