Im Frühling
Veröffentlicht: 4. Mai 2023 Abgelegt unter: Allgemein, Reiseskizzen, Werra-Weser 2023 | Tags: Thüringen, Werra Hinterlasse einen KommentarDen Sonntag des langen Wochenendes vor dem 1. Mai verbringe ich in Eisenach. Ich treffe mich mit einer ortskundigen Freundin, die, um dem Gedränge in der Innenstadt oder auf der Wartburg zu entgehen, einen Spaziergang durch die Drachenschlucht vorschlägt. Nun ja: ich habe einmal gelesen, dass man in Japan in langer, nicht enden wollender Reihe den Fujiyama besteigt. Uns ergeht es ähnlich, wir quetschen uns mit hunderten anderen durch die bemooste Enge.
An eine Zeichnung ist nicht zu denken. Später am Tag haben wir mehr Glück: im weitläufigen Gelände von Schloß und Park Wilhelmsthal ist Platz für alle Spaziergänger (Spazierenden?), und auch die Zeichnerin kommt zu ihrem Recht.

Am nächsten Tag fahre ich von Erfurt wieder auf den Werratal-Radweg zurück. Es trübt sich etwas ein, ein sanfter milder 1.Mai, in den hübschen Dörfern gibt es Bratwurst und Hoffeste; überall sind Familien unterwegs.

Im „Café Gisela“ (seit über dreißig Jahren eine Institution) gibt es zu Kaffee und dicken Tortenstücken einen riesigen Kirschbaum in schönster Blüte. Ich verzichte heldenhaft auf die Torte und nähre mich mit einer Zeichnung, bevor ich zu meinem Etappenziel Treffurt weiterfahre.
An der Grenze
Veröffentlicht: 30. April 2023 Abgelegt unter: Allgemein, Reiseskizzen, Werra-Weser 2023 | Tags: Hessen, Industrie, Romanik, Thüringen, Werraradweg 4 KommentareDass die Werra bis 1990 Grenzfluss war, hatte ich bei der Planung in Erinnerung gehabt, ohne darüber je näheres gewusst zu haben. Erst vor Ort wurde die Dimension dieses Umstandes fühlbar, ebenso die Folgen der Nachwende-Deindustrialisierung des Ostens.
In Vacha (gesprochen mit hartem „f“ wie „Fach“) ist beides mit Händen zu greifen. Während am rechten Werra-Ufer Hessen beginnt, führt der Weg über die Brücke in den thüringischen Ort. Anders als in den hübsch sanierten Dörfern und Städtchen, durch die wir bisher gekommen waren, regieren hier Verfall und Leerstand, der Lehm fällt aus den Gefachen der einst hübschen Häuser am Markt, Schaufenster sind mit Folie verklebt.

An der klassizistischen Stadtkirche finde ich überrascht dieses romanische Portal aus Bundsandstein aus der Gründungszeit des Ortes (der schon immer an Gebietsgrenzen lag.)
Am nächsten Tag fahre ich – von nun an allein unterwegs – nach Hessen hinein. Ich raste mit Blick auf das Kaliwerk Hattorf und habe beim Zeichnen genug Zeit, mich an die Nachwendejahre und den Abbau der ostdeutschen Industriestandorte zu erinnern.

Der Radweg mäandert mehrfach zwischen (ehemals) Ost und West und folgt damit den Grenzveräufen aus der Zeit der deutschen Kleinstaaterei. Die deutsche Teilung war das in dieser dicht besiedelten und vernetzten Region besonders schmerzhaft zu spüren gewesen.
Wieder unterwegs
Veröffentlicht: 27. April 2023 Abgelegt unter: Allgemein, Reiseskizzen, Werra-Weser 2023 | Tags: Thüringen, Werra 2 KommentareIch bin wieder unterwegs. Mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad, wie im vergangenen Jahr. Dieses Mal war ich mutig und hatte eine Anreise von Schwerin nach Thüringen eingeplant. Das Rad samt Taschen ist schwer und unhandlich, die Wahl fiel auf den Regionalverkehr seinen Fahrradabteilen und tiefen Einstiegen …

Bis ich in Erfurt, beim dritten Umstieg, fassungslos vor vier steilen Stufen stand. Zu meiner Freude waren zwei freundliche schwäbische Herren zur Stelle, die das Rad mit vereinten Kräften in den Zug und wieder hinaus wuchteten. Vielen Dank!

Nach einer Nacht in Meiningen ging es auf den Werraradweg. Es war frisch und klar, und bis auf ein paar Umwege (ich sage nur: Abkürzung!) kamen meine Freundin und ich gut voran. Der Zeichnerin gingen die Augen über von Fachwerk und Kirchenburgen … Bei einer Rast in Schwallungen entstand dieses Bild.
Der Herr der Sechsecke
Veröffentlicht: 10. April 2023 Abgelegt unter: visuelles Tagebuch | Tags: Spiel Hinterlasse einen KommentarDie Hälfte aller Deutschen haben den Begriff „Catan“ schon einmal gehört, ergab bereits 2006 eine Umfrage. Da war das Spiel zehn Jahre lang auf dem Markt und sein Erfolg ungebrochen. Als Klaus Teuber das Spiel 1995 nicht ohne Mühe bei einem Verlag untergebracht hatte, war er in der Branche kein Unbekannter: bereits drei „Spiele des Jahres“ hatte er seiner Kellerwerkstatt entwickelt und am Küchentisch mit der Familie probegespielt. Doch erst mit den „Siedlern“ kam der Durchbruch, auch der wirtschaftliche Erfolg. Das Spiel ist weltweit in über 40 Sprachen zu beziehen.
In unseren Haushalt war es um 1997 herum gekommen, erst das Brettspiel und wenig später das Kartenspiel mit seinem hübschen märchenhaften Illustrationen, seinen Rittern mit den lustigen Namen, den Handelsflotten, Klöstern und dem bösen Feuerteufel. Jahr für Jahr wuchs der Bestand an Varianten und Versionen, an neuen Kleinteilen und Plättchen, die nach jedem Spiel akribisch in eine Schraubenbox einsortiert wurden.
Wir spielten in der Familie, mit den meisten Gästen und in einem Sonntagsritual mit den Nachbarn; natürlich war das Spiel samt Schraubenbox in jedem Familienurlaub dabei. Heute, über 25 Jahre nach der Erstauflage, lebe ich allein, das große Spiel mit den vielen Erweiterungen habe ich zurückgelassen, doch finden sich in meinem Spieleschrank zahlreiche, z.T. seltene Versionen des Kartenspiels, die zuverlässig herausgeholt werden, wenn meine erwachsenen Kinder mich besuchen. Fast immer gewinnen sie, manchmal bin ich schusselig („Mutti, du musst dein Holz noch hochdrehen!“) und natürlich haben sie das bessere Gedächtnis.

Klaus Teuber ist am 01.April 2023 im Alter von 70 Jahren gestorben. Das von ihm geschaffene Spiel hat Millionen Menschen Freude bereitet und die Welt ein kleines bisschen besser gemacht.
Im Zauberberg
Veröffentlicht: 10. April 2023 Abgelegt unter: Architektur, Pen&Ink, Reiseskizzen, Urban Sketching | Tags: Berlin, Historismus, Krankenhaus 2 KommentareIn „ausdehnungsloser Gegenwart“ findet Hans Castorp sich wieder, der Protagonist von Thomas Manns „Zauberberg“: Für drei Wochen wollte er ein Sanatorium in den Bergen besuchen, am Ende werden sieben Jahre daraus.
Ich konnte ahnen, wie es Hans Castrop ergangen war: schon nach drei Tagen begann die Zeit zu verschwimmen im immer gleichen Ablauf der Anstalt. Die Zeit, die draußen immer knapp zu sein scheint, ist mit eins reichlich vorhanden; rückblickend scheint sie wie nicht gewesen. Doch konnte ich sie auch nutzen für die eine oder andere Zeichnung, aufwendiger ausgearbeitet als sonst.
Besonders angetan hatten es mir die ehemaligen Wirtschaftsgebäude der Anlage, schön gestaltet in einem dänischen oder niederländischen Stil wie alles hier.

Das im Hintergrund sichtbare Gebäude war das Badehaus. Der Gebäudekomplex – zumindest äußerlich hervorragend erhalten – wird von einem großen Bildungsträger im Gesundheitswesen genutzt und derzeit saniert.

Vor einigen Tagen schon hatte ich eine der Giebelfronten dieses Badehauses im 12×12 cm kleinen Skizzenbuch gezeichnet.
Berlin Buch
Veröffentlicht: 1. April 2023 Abgelegt unter: Allgemein | Tags: Berlin, Historismus, Krankenhaus, Obst Hinterlasse einen KommentarDie Klinikanlagen in Berlin Buch breiten sich über ein riesiges Gelände aus; erbaut wurden sie zwischen 1900 und 1930 vorwiegend als Tuberkulose-Heilstätte und Psychiatrische Klinik. Der älteste Teil der Anlage ist in einem Backstein-Stil erbaut, der an dänische Renaissance-Schlösser erinnern soll. Der Bau verlief auch damals nicht ohne Kostendiskussion, im Protokoll der Berliner Stadtverordnetenversammlung von 1902 ist folgendes zu lesen:
„Die Irrenärzte legen den größten Wert darauf, daß bei diesen Riesenbauten die Fassaden etwas gegliedert und belebt werden. Das ist hier in der allerbescheidensten Weise getan und zwar soweit, als es von den Irrenärzten gewünscht wird.“

Bescheiden ist auch der Ausschnitt, den ich gewählt habe, der Querflügel von Haus 203.
Und was tut man in einer Klinik, wenn man sich nicht krank fühlt und es draußen regnet? Man zeichnet das reichlich vorhandene Frühstücksobst. Dabei kann man sich ganz nebenbei am Vergleich von Äpfeln und Birnen üben.

Rot, gelb, blau
Veröffentlicht: 25. Februar 2023 Abgelegt unter: #uskschwerin, Urban Sketching | Tags: 90er Jahre, Backstein, Schwerin Hinterlasse einen KommentarDie „Schweriner Höfe“ sind das kleinste und ganz gewiss das schönste Schweriner Einkaufszentrum, eine originell gestaltete Anlage, die es nicht leicht hat gegen die Giganten. Hier trafen sich heute fünf Zeichnerinnen im windgeschützten und überdachten, aber ungeheizten Brunnenhof. Es gibt ein Sushi-Restaurant, in dem ich schon mehrmals gezeichnet habe (und das leider erst heute Abend öffnen würde), aber den Ort selbst hatte ich noch nie zum Zentrum meiner Aufmerksamkeit gemacht.
Zuerst kamen die Mitzeichnerinnen an die Reihe; und wie aufgereiht saßen sie dort, in rot, gelb und blau.

Dann reihte ich mich – in einer leuchtend grünen Jacke – neben Blau ein und widmete mich dem namensgebenden Brunnen. Leider habe ich nicht herausbekommen, wer ihn geschaffen hat, auf der Website der Höfe ist nur von „einer Künstlerin“ die Rede. Der Brunnen, aus farbig glasierten Ziegeln gebaut, ist eine Hommage ebenso an Hundertwasser wie an die zahlreichen mit glasiertem Zierat geschmückten Backsteingebäude Schwerins; mit seinen geschwungenen postmodernen Formen ist er direkt den 90er Jahren entwachsen.

Winterpilze
Veröffentlicht: 6. Januar 2023 Abgelegt unter: Botanische Malerei | Tags: Pilze Ein KommentarDen Jahreswechsel und ein paar Tage drumherum verbrachte ich in einem stillen Mecklenburger Dorf. Ich hatte Lust auf Naturstudien, auch reichlich Zeichenmaterial dabei. Gleich beim ersten Waldspaziergang leuchteten mir ein paar glänzende orangeocker Pilze entgegen: ich hatte mein Thema gefunden. Drei Tage lang sammelte ich die raren Exemplare ein, die der winterliche Wald bot, breitete sie auf dem Tisch aus, fotografierte und skizzierte sie. Meine Pilzbücher lagen zu Hause und meine Unterkunft im Funkloch; so konnte ich erst einmal nur den Bestand aufnehmen.
Zu Hause blätterte und wühlte ich und musste doch feststellen, dass ich nicht genau genug gewesen war – von vier Baumpilzen bleiben zwei unbestimmt. (Am liebsten hätte ich mich ins Auto gesetzt und wäre noch mal hingefahren.)

Die „Geweihförmige Holzkeule“, ein zähes, seltsames Gebilde, hatte ich schon früher einmal gesehen, sie wuchs gleich neben dem Samtfußrübling. Den kannte ich noch nicht, obwohl er ein begehrter Speisepilz ist, der sogar gezüchtet wird. Dann heißt er „Enoki“ und ist meist winzig und weiß. (Ich hatte ihn in dieser Form auch schon im asiatischen Essen.)

Ja, bei den Baumpilzen verließen sie mich … Ich bekam zwar nicht raus, wie die beiden oberen Gesellen heißen, erfuhr aber bei meinen Studien, dass es Pilzforensiker gibt: das sind Leute, die beispielsweise klären, ob ein Baum, der auf Fahrzeug oder Mensch fiel, schon länger mit Pilzen befallen war und ergo schon hätte gefällt worden sein müssen …

Am dritten Tag kamen noch einmal neue Fundstücke dazu. Der „Eichenwirrling“ ließ sich zu Hause anhand seines Porenmusters, das an ein Labyrinth erinnert (daher der Name!) bestimmen. Die „Schmetterlingstramete“ kannte ich bereits; man sieht manchmal ganze Baumstümpfe von den schichtweise angeordneten, wie Schmetterlingsflügel gemusterten Pilzkörpern überwuchert. Sie sind unterschiedlich in der Färbung, diese hier waren mit ihren Blauanteilen besonders apart. Früher hat man sie zu Dekorationszwecken, zum Beispiel an Hüten, genutzt, und heute ist das getrocknete Pulver unter dem Namen Coriolus als Heilpilz im Handel.
Der „Goldgelbe Zitterling“ macht seinem Namen alle Ehre, er fühlt sich an wie ein Stück verknäulter Wackelpudding. Man sieht ihn nur bei feuchtem Wetter; wird es trocken, bleibt nur eine unscheinbare Hülle zurück. Wer unbedingt will, kann ihn essen – er schmeckt nach nichts und tut niemandem etwas Böses.

Dieser Pilz hing als etwa handgroßer „Lappen“ aus einem Totholzstamm, begleitet von einigen kleineren, leicht violett getönten Exemplaren. Ich zerbrach mir den Kopf und nichts schien zu passen, bis ich ihn Kleingedruckten eines Beitrags las, dass der Austernseitling, ein begehrter Speise- und Zuchtpilz, nach dem Frost weiter wächst, aber dann eben so ausgefranst aussieht … Alle meine Bücher und Bestimmungsseiten waren jedoch voller frischer, knackiger und ungefrosteter Exemplare gewesen. Aber – ich hatte das Rätsel gelöst und bin nun am Überlegen, ob ich nicht aus eine Pilzkultur auf dem Balkon haben will …
Danke für die Wolken
Veröffentlicht: 29. Dezember 2022 Abgelegt unter: Allgemein, visuelles Tagebuch | Tags: Gedicht 4 KommentareMeinen ersten Band Enzensberger habe ich nicht als solchen erkannt. Es war die (selbstverständlich rare und nur über gute Kontakte zu erlangende) DDR-Ausgabe des „Wasserzeichen der Poesie“, Band 9 der legendären „Anderen Bibliothek“. Ich liebte das Buch mit seinem schönen Prägeeinband, dem gelblichen, sorgfältig bedruckten Papier und dem Spiel, das darin in Scherz und Ernst mit Gedichten getrieben wurde. Nur dass der als Herausgeber firmierende Andreas Thalmayr kein anderer als Hans Magnus Enzensberger war, erfuhr ich erst viel später.

Da war die DDR schon untergegangen mit ihrer Bücherknappheit und manchem anderen, doch blieb ich ein paar Jahre lang außerstande, mehr als die Zeitung zu lesen. Als ich wieder anfing, waren Enzensbergers kluge Essays mit das erste, das ich in die Hand nahm. Bei allem Zorn, bei aller Schärfe blitzte immer wieder eine tröstliche Leichtigkeit in ihnen auf. Manche Sätze blieben mir fürs Leben, wie der von der mächtigen Kraft, der Erosion, die allen Überwachungsdystopien ein Ende bereitet mit „ihren vier langsamen unwiderstehlichen Reitern, die da heißen Gelächter, Schlamperei, Zufall und Entropie.“
Wenig später entdeckte ich die Gedichte, und als ich die schönen Suhrkamp-Originalausgaben in den letzten Wochen wieder zur Hand nahm, erfreute ich mich an ihrer Zartheit, an ihrer Zeitlosigkeit auch, mit der sie nicht aus der Mode gekommen sind, weil sie sich nie einer unterworfen hatten.
Dieses ist vielleicht das schönste:
Empfänger unbekannt – Retour à l’expediteur
Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, daß mir das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.