Radix

Letzte Woche habe ich den Garten von Freunden gehütet. Zwischen verholzten und z.T schon blühenden Radieschen fand ich eines, dem die Verkleinerungsform so gar nicht zu Gesicht stand; ich musste ordentlich daran ziehen wie einst die ganze Familie im Märchen, und was ich dann in der Hand hatte, konnte ich erst gar nicht benennen. Erst nachdem ich es gezeichnet hatte, schnitt ich es an – es war ein Rettich, der sich zwischen die Radieschen verirrt hatte wie das Schwanenküken zwischen die Enten, und zu meiner freudigen Überraschung konnte man ihn in Teilen sogar noch essen.

Da ich ungeübt im Schraffieren bin und meine Zeichenzeit begrenzt, legte ich die Schatten mit verdünnter schwarzer Tinte an, der gleichen wasserfesten von deAtramentis, mit der ich auch gezeichnet hatte. Darüber konnte ich dann großzügig mit Aquarellfarbe lasieren.

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Ein Rettich aus dem Garten meiner Freunde, gezeichnet mit wasserfester schwarzer Tinte und Aquarellfarben auf Stillman&Birn Zeta.


Schlossblicke

Als vor einigen Wochen Zeichner aus Berlin und dem Norden in Schwerin zu Gast waren, haben natürlich alle das Schloss gezeichnet. Alle außer mir. Für derart komplexe Ansichten, wie sie das Schweriner Schloss bietet, hatte ich an dem Tag nicht die Geduld, ich habe mich an überschaubare Motive gehalten. Und den Vorsatz gefasst, dieses Jahr endlich mal ein paar gezeichnete Schlossblicke zu wagen.

Am 1.Mai bin ich dann auch vorsatzgemäß früh losgezogen, um ungestört im Burggarten zeichnen zu können – und war nach einer Stunde so durchgefroren, dass ich den ganzen Tag brauchte, um aufzutauen. So habe ich das Bild vor Ort auch nur teilweise koloriert, der goldene Schein auf Kuppel und Turmspitzen fehlte noch, ebenso wie das Neapelgelb der Mauern. Ich habe darauf verzichtet, sie zu ergänzen – so rückt der neogotische Choranbau der Schlosskirche in den Mittelpunkt. Gemalt habe ich ihn mit einer meiner Lieblingsfarben, Hämatitschwarz von Schmincke.

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Nordostecke des Schweriner Schlosses, im Vordergrund der neogotische Choranbau der Schlosskirche.

Heute hingegen war das Wetter traumhaft, die Stadt an einem langen Wochenende voller Menschen; zuerst fand ich einen Platz zwischen Fliederduft und Clematislaube, doch danach habe ich mich noch mitten ins Getümmel gesetzt, auf den Logenplatz des „Café Prag“, und die Skyline der Kuppeln und Türmchen gezeichnet.

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Die Stadtseite des Schweriner Schlosses.


Sehen, angeblickt, habe ich wieder erlernt.

Ich hatte mir vorgenommen, früh am Morgen zeichnen zu gehen, endlich mal in Ruhe zum Schloss. Was ich nicht bedacht hatte: im Gegensatz zu den vergangenen Morgen war es eisig kalt und und vor allem windig; ich verkroch mich in eine von Hecken geschützte Ecke im Burggarten und bekam wirklich eine Zeichnung fertig, sogar mit einem bisschen Farbe (ich zeige sie später). Dann war ich allerdings so durchgefroren, dass ich schnell wieder nach Hause gelaufen bin und mir erst einmal eine Kanne Tee gekocht habe.

Noch etwas steifgefroren und nicht ganz fertig mit dem Frühstück machte ich mich darüber her, die Teetasse zu zeichnen, und natürlich ging das schief: an Stelle von eleganten Ellipsen nur schräge Eier, von gelungener Perspektive ganz zu schweigen. Mit der Farbe kam, wie neulich schon mal im Domhof, die Rettung, das leuchtende Orangerot zog die Aufmerksamkeit weg vom Ungelungenen, tiefes Indigo definierte die Form neu, und die Schrift im Hintergrund verlieh dem Ganzen eine zweite grafische Ebene.

Warum ich das hier so genau beschreibe? Weil die halbe Stunde, die ich mit der Abbildung dieser Tasse zugebracht habe, viel darüber erzählt, was Tagebuchzeichnen für mich ausmacht. Einen Gegenstand genau anzusehen, genau hinzusehen und das Bild, was ich von ihm im Kopf habe, ein Stück weit loszulassen, bringt mich mit ihm in Verbindung; und während ich mich beim Zeichnen eines so banalen Gegenstandes wie einer Tasse selbst vergesse, erschaffe ich etwas von Tiefe und Dauer. (Und weil es ein schönes Beispiel für die „Rettung“ einer scheinbar missglückten Zeichnung ist.)

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Tee an einem kalten Morgen.

Vom 3.-5.August werde ich zusammen mit dem Pfarrer Christian Höser aus Güstrow einen Wochenendkurs zum Thema „Gezeichnetes Tagebuch“ anbieten. Der Kurs findet im Haus der Stille in Bellin bei Güstrow statt. Ich habe hier schon des öfteren Bilder aus Bellin gezeigt, der Ort hat eine eigene Magie mit seiner archaischen Kirche und der Lage im stillen Herzen Mecklenburgs. Anmeldung bitte über den Verein „Haus der Stille Bellin“, im Programm des Hauses ist er unter K21 „Tagebuch-Bilder“ zu finden. Es gibt nur sieben Plätze! Die Kursgebühr umfasst Unterkunft, Verpflegung und ein Skizzenbuch, ich selbst bringe mich dort ehrenamtlich ein – was für mich das reine Vergnügen ist, da ich einfach gern an diesem Ort bin. Fragen an mich gern unter meiner Email annette_hofmann@t-online.de .

Die Titelzeile entstammt dem Gedicht „Prag Jänner 64“ von Ingeborg Bachmann.


Nachlese

Gibt es unfertige Skizzen? Darf es sie geben? Diese Frage erheitert mich immer wieder, und ihre möglichen Antworten erzählen eine Menge nicht nur über die Beziehung, die wir zu unseren (Kunst)Werken entwickeln, sondern über unser Sein in der Welt überhaupt.

Auf einer einfachen Ebene geantwortet: gewiss gibt es unfertige Skizzen, zumal in einem Skizzenbuch, das eher ein Tage- und Wegebuch ist, das keine Entwürfe für Fertigeres enthält, sondern einen Lebensabschnitt dokumentiert. Und so habe ich auch dieses Jahr, trotz aller guten Vorsätze, wieder manches Unvollendete aus Madeira mitgebracht. Natürlich bin ich schon ein paar Wochen zurück, doch waren diese Wochen von der eher kunstunfreundlichen Art.

Heute endlich habe ich zum Befreiungsschlag ausgeholt und eine Auswahl getroffen, um das Buch endlich mit einem guten Gewissen ins Regal stellen zu können.

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Fische in der Markthalle von Funchal

Da wären zuerst die Fische aus der Markthalle. Bunt und schön und doch leider schon tot liegen sie in der Markthalle auf Eis, um spätestens am Abend gegrillt auf einem Teller zu landen. Die Händler haben es nicht leicht, bei ihrer täglichen Arbeit bestaunt und fotografiert zu werden, Rücksicht auf mein Zeichnen kann ich da nicht erwarten, und – schwupps! – ist der Fisch weg, an dem ich gerade gearbeitet habe. So war ich froh, vor Ort wenigstens die Umrisse mit Tinte hinbekommen zu haben.

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Drei Kneipen gegenüber der Markthalle – „Zur Neuigkeit“, „Zur Vorzüglichkeit“ und „Zum Händler“

Diese drei Kneipen gleich neben der Markthalle haben mich fasziniert, und ich habe sie an verschiedenen Tagen gezeichnet – am Markttagen und am Sonntag, an dem dieses Bild entstand, deshalb ist auch nicht viel los. Ich konnte mich nicht entschließen, ob mit oder ohne Auto, am Ende ist es ein Kompromiss geworden. Dieses Bild war schon auf Madeira fertig und kommt erst hier zum Vorschein, weil ich immer noch gedacht hatte, ich vervollständige die andere Version. Doch die bleibt wie sie ist zwischen ihren Buchdeckeln. („Die drei Gleichen“ habe ich sie getauft, weil sie Rhythmus mit Interpunktion sind: jede anders im gleichen Raster.)

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Einer der charakteristischen Kachelkirchtürme.

In Ribeira Brava hatte ich Zeit, bis mein Bus in die Berge fuhr, und habe lange am Bild einer Palme auf der Promenade gefriemelt. Besser gefällt mir am Ende der Kirchturm, der heute noch etwas Farbe abbekommen hat.

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Leuchterengel in der Sakramentskapelle der Kathedrale von Funchal

Diesen wunderbaren, vielleicht einen Meter großen Engel hatte ich gleich am ersten Tag in Funchal entdeckt, doch dann sollte es bis zum letzten dauern, bis ich ihn zeichnen konnte. Zum einen ist die Kathedrale nicht immer geöffnet, zum anderen ist so eine Sakramentskapelle ein wirklicher Andachtsort, in dem eigentlich immer Menschen sehr versunken vor dem Allerheiligsten beten. Mein Zeichnen, mag es für mich auch noch so meditativ sein, mag manchen stören. So blieb die Farbe im Kasten und kam auch erst heute aufs Bild.


Wandertag

Gestern war mein erster Wandertag. Ich hatte mir eine leichte Tour oberhalb von Funchal ausgesucht, entlang einer schon lange stillgelegten Levada war der erste Teil ein bequemer Wanderweg – wenn auch durch eher weniger spektakulären Eukalyptuswald. Als der Wald endete, endete leider auch die Levada, dafür hatte ein unangenehmer kalter Sprühregen begonnen – auf 900 m Höhe kann es auch in afrikanischen Breiten ganz schön ungemütlich werden.

Zum Rasten fand sich dann eine Bushaltestelle – wenn auch kein Bus; stattdessen ein ebenfalls auf Levadasuche befindlicher Wandergefährte. So gingen wir zu zweit das Stück Straße, das irgendwann mal eine Levada gewesen war, und verpassten trotz mehrmaligen Fragens den Wiedereinstieg für das letzte Wegstück. *

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Im Nirgendwo auf Madeira.

In Funchal hingegen strahlte die Sonne, und im schwindenden Licht begann ich mein Abendessen vorzubereiten – nicht ohne noch eine kleine Skizze zu machen (koloriert habe ich beide heute, dafür war es dann schon zu dunkel geworden.) Der Stil ist eine kleine Hommage an den Kölner Zeichner Peter Hoffmann, dessen Bilder ich sehr schätze.

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In Ferienwohnungen gibt es nie ordentlich scharfe Messer.

* Für Leute, die Madeira kennen oder es kennenlernen wollen: es handelt sich hier um den Weg von Santo da Serra nach Camacha auf der Levada da Serra.


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Hier kommen die nächsten beiden Bilder aus dem kleinen Hahnemühle-Buch.

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Gestern war ein Freund mit seinem kleinen Sohn zu Besuch. Während wir uns unterhielten, lag der Knabe ganz versunken auf dem Fußboden und spielte mit der Brio-Bahn (die ich von meinen Kindern aufbewahrt habe.)

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Ein Bild aus der Serie „Auf dem Tisch unter der Lampe“. Dieses Mal eine letzte Gartenrose in einer seltsam messingfarben glasierten Vase aus den 60ern.


Hamburg

Gestern war ich bei einem Workshop mit Till Lenecke in Hamburg zeichnen. Auf dem Programm standen Fischmarkt und Holzhafen – also richtige Hamburger Bilderbuchansichten. Der Wind pfiff um die Ecken und es hat immer mal geschauert, dafür wurden wir mit spektakulären Abendhimmeln entschädigt.

Am Fischmarkt habe ich die Aussicht noch ignoriert und statt dessen unseren Treffpunkt, den Minervabrunnen, gezeichnet (einschließlich der frierenden Zeichner unter ihm). Das ganze Ensemble atmet mit seinem kupfergrün gestrichenen Stahlrohrtürmchen und seinen abgerundeten Backsteinformen den heute ein bisschen gestrig anmutenden Charme der 80er Jahre. Auch der Brunnenfigur konnte ich das Jahrzehnt ihrer Entstehung auf eine nicht näher zu definierende Weise ansehen. Beim Nachlesen stellte ich dann fest, dass sie just von dem gleichen Künstler – Hans Kock – stammt wie die Lampen im Greifswalder Dom, die mich vor einigen Wochen so penetrant an die Lampen aus dem Palast der Republik erinnert hatten! (Der Brunnen selbst ist allerdings alt, er stammt aus dem 18.Jahrhundert.)

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Minervabrunnen am Hamburger Fischmarkt.

Danach ging es ein paar Straßen weiter zum Holzhafen. Während schon die Dämmerung einfiel, konnte ich aus dem Windschatten eines Hauses heraus den Blick auf die Elbe zeichnen. Auf der Heimfahrt im Zug habe ich noch ein bisschen daran herumgefriemelt – besonders die Geometrie der Hochhausfassade konnte noch ein bisschen Gestrichel vertragen. Die Farbe kam dann heute dazu.

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Blick vom Hamburger Holzhafen auf die Elbe. Hinter den alten Kränen der „Kristall-Tower“, ein Luxuswohnhaus.

 

 


Bunte Stube und bunte Mischung

Als Nachtrag meines Greifswald-Besuchs traf ich mich zwei Tage später noch einmal mit Freunden, die in Ahrenshoop Urlaub machten. Während die beiden in der „Bunten Stube“ nach Geschenken suchten, versuchte ich so schnell wie möglich das künstlerkoloniemäßige Äußere des Baus einzufangen (Bäderstil x Bauhaus). „So schnell wie möglich“ hieß in diesem Fall, dass die kleinen Kritzeleien noch kritzliger wurden und das größere Bild beim Aufbruch noch recht im Rohbau war; ausgebaut habe ich ihn dann zu Hause.

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Die „Bunte Stube“, ein traditioneller Andenken- und Buchladen in Ahrenshoop.

Zu Hause habe ich ein bisschen „Reportage“ geübt und dabei die kleinen Bilder etwas größer gemacht und mit Farbe versehen. Links der Schweriner Hauptbahnhof mit dem „Seenotbrunnen“ auf dem Bahnhofsvorplatz, dessen erotisch aufgeladene Szenerie zur Zeit der Aufstellung die Schweriner Gemüter erhitzte. Rechts zwei Blitzlichter meines heutigen Abendessens im Einkaufszentrum.

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Schweriner Stadtszenen, schnell und ohne Vorzeichnung mit Füller gezeichnet und zu Hause koloriert.

 


Greifswald

Anfang der 80er habe ich in Greifswald studiert, nicht nur mein Fach, sondern intensiv auch das Leben. Mit einigen der Mitlebenden jener Jahre durfte ich mich vergangenes Wochenende dort treffen. Ich habe die Stadt, deren Zerfall und Abriss mich bis heute schmerzt, seit meiner Studienzeit nur sporadisch besucht, um so eindringlicher war der heutige Blick auf die Orte der Vergangenheit.

Zuerst ein Postkartenmotiv: Der Dom vom Rubenow-Platz aus. Muss ich sagen, dass der rosige Himmel ein – hach, schönes Neudeutsch! – Fake ist? In der sogenannten Wirklichkeit war er grau (und blieb es fast den ganzen Tag, belebt nur vom kalten Greifswalder Wind), doch ich hatte das Blatt schon mit etwas Magenta präpariert. Mein Beitrag zum Thema „Urban Sketcher zeigen die Welt, wie sie wirklich ist“.

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Greifswalder Dom von Westen, Super5-Tinte violett und Wasserfarbe in S&B Beta.

Wir sind – mit dem Wind im Rücken, immerhin – am Ryck entlang nach Wieck und Eldena gelaufen, ein klassischer Greifswalder Spaziergang. Die Klosterruine Eldena ist eine der berühmtesten Ruinen der Kunstgeschichte, Ikone und Topos der Romantik, von Caspar David Friedrich immer wieder gemalt, der ins Leere blickende Spitzbogen des Ostchors ein Versatzstück popkultureller Mittelaltersehnsucht.

Die Ruine in ihrer jetzigen Form hat wenig mit Friedrichs Bildern gemein, ein heiteres, parkartiges Areal; auch ist vom ehemaligen Kloster deutlich mehr erhalten, als Friedrichs Bilder ahnen lassen. Auf Motivsuche habe ich mich in Klein- und Kleinst-Skizzen ausgetobt; Friedrichs Ostchor hat, obwohl nicht der interessanteste Ausschnitt, dann doch noch eine besondere Bühne erhalten.

 

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Ikone der Romantik – der Ostchor der Klosterrunie Eldena.

Am Sonntag Vormittag kam dann die Gelegenheit, im Dom zu zeichnen, und mit ihr die Frage, was. In der Mischung der Stile materialisieren sich 700 Jahre Geschichte, vom gotischen Baukörper über frühbarocke Epitaphe, neugotischen Zuckerguss bis zu den deutlichen Spuren des Umbaus der 80er Jahre. Ich entschied mich für letztere,  Kronleuchter mit Kugellampen, die mich an die Bezeichnung „Erichs Lampenladen“ für den „Palast der Republik“ erinnerten. Während der „Palast“ längst einer Schlosskulisse gewichen ist, dürfen die Greifswalder Lampen immer noch von den Um- und Querwegen der Geschichte erzählen, von den komplizierten Verhältnissen zwischen Staat und Kirche in der DDR, die kurz vor der politischen Wende dazu führten, dass Erich Honecker dem Eröffnungsgottesdienst einer Kirche beiwohnte – neben Berthold Beitz vom vormaligen kapitalistischen Erzfeind Krupp.

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Greifswalder Dom. Kronleuchter im Stil der 80er Jahre.

 

Zum Weiterlesen hier noch ein paar Informationen zur jüngeren Geschichte des Greifswalder Doms: „Ein Dom der Ost-West-Moderne“. Ein Artikel zur den baulichen und stilistischen Hintergründen des Umbaus.  „Zwischen Anpassung und Abgrenzung“. Ein Beitrag zur politischen Situation. „Der Greifswalder Weg“ ist ein Buch der Autorin Rahel von Saß (jetzt Rahel Frank), das sich sehr gründlich den Verbindungen von Kirche und Staatssicherheit im Greifswalder Umfeld widmet. Ein langes Interview mit dem evangelischen Greifswalder Studentenpfarrer jener Zeit, Harro Lucht, schlägt den Bogen weiter, von den 50er Jahren bis in die Gegenwart.

 

 

 

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Komische Heilige

Letzten Sonntag wollte ich zum Abschluss meines Belliner Wochenendes noch ein bisschen in der Kirche zeichnen. Ich hatte mir dieses Mal den Altaraufsatz vorgenommen, der klugerweise nicht auf dem Altar, sondern in einer etwas dunklen Ecke steht. Er ist aus zwei schon einzeln wenig gelungenen Teilen zusammengestückelt: einem barocken Altarbild samt Predella, auf der Jesus beim Abendmahl aussieht wie ein Kavalier auf der Grande Tour, und den Flügeln mit sechzehn Heiligenfiguren.

Diese Heiligen sind lupenreine spätgotische Massenware, auf den ersten Blick langweilige, auf den zweiten unfreiwillig komische in die Länge gezogene Gesellen. Den komischsten von ihnen habe ich mir zum Zeichnen vorgenommen, einen St.Veit, der mit verdrehten Augen und Kussmündchen in seinem Topf voll siedendem Öl steht. Nein, Mittelalter ist nicht immer romantisch!

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Heiliger Veit, spätgotische Altarfigur in der Kirche von Bellin/Mecklenburg.

Auf dem Heimweg bin ich noch bei Barlach vorbeigefahren, im Güstrower Atelierhaus am Heidberg, einer sehr schönen und erstaunlich wenig besuchten Anlage. Nach einigen Überlegen habe ich mich dann entschieden, die „Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“, der in einem Gipsentwurf dort hängt, zu zeichnen. Die Ikonographie des Frieses hat, wie vieles bei Barlach, Anklänge an mittelalterliche Sakralkunst. Die unfreiwillige Komik kam dann beim Zeichnen von selbst: indem ich anfangs den Hut der Dame etwas zu hoch zeichnete, sah die ganze Figur gleich aus wie mit einem jener 20er-Jahre-Topfhüte geschmückt – und ich bekam das Bild dann trotz Korrektur nicht mehr aus dem Kopf.

Beide Bilder habe ich mit einer Untermalung aus wasserfester Tusche versehen, bevor ich sie farbig übermalt habe.

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„Die Pilgerin“ aus dem „Fries der Lauschenden“ von Barlach.