Zitronat

Wann habe ich das letzte Mal mit Zitronat gebacken? In den 1980ern und 90ern, als ich mit Früchtebrot und wochenlang gereiften Lebkuchenteigen experimentierte? Vermutlich. Stollen habe ich nie gebacken, auch keine Königskuchen – wozu sollte Zitronat sonst gut sein? Und woraus wird es eigentlich hergestellt? In der DDR, so lese ich, experimentierte man mit grünen Tomaten, um die teuer importierten Zitronen einzusparen, doch das ist eher eine Fußnote der Geschichte.

Nein, Zitronat wird nicht aus Tomaten hergestellt, sondern aus – man hätte es sich denken können – Zitronatzitronen, urtümlichen, durch Züchtung nur wenig veränderten Zitrusfrüchten. Aus Neugier habe ich mir bei einem Versand für exotische Früchte ein Kilogramm Zitronatzitronen mitbestellt – das sind zwei Stück, deutlich größer als normale Zitronen.

Die Früchte bestehen zu einem großen Teil aus Schale, man kann daraus Likör, Limonade oder eben Zitronat herstellen. Likör trinke ich nicht, auch für Limonade habe ich im Winter wenig Verwendung – also wird es wohl Zitronat werden. (Und was mache ich dann damit?)

Vorher wollten die Früchte allerdings noch abgebildet werden, und mit dieser Gouache-Skizze (15×15 cm) ist endlich auch die Kunstsaison wieder eröffnet. Im Herbst hatte über sechs Wochen lang praktisch täglich etwas gezeichnet, dann kam die Vorweihnachtszeit mit zahlreichen anderen Aktivitäten; viel mehr als ein paar Meetings-Kritzeleien brachte ich nicht zustande. Nach fast acht Wochen Pause will die Hand-Auge-Koordination wieder neu trainiert werden; das braucht etwas. Zwei überdimensionale Zitronen sind als Motiv da gerade einfach genug. (Die Entscheidung zwischen Gouache und Aquarell habe ich erst in letzter Minute getroffen, mit beidem hatte ich im Frühherbst aufgehört, um mich eher grafischen Techniken zu widmen – mal sehen, wie es weitergeht …)


Auf getöntem Grund

Während ich mich am heimischen Zeichentisch in Gouache versuchte, war auf kleineren Reisen das vertraute Hahnemühle-Büchlein mit hellbraun dem hellbraun getönten Papier dabei, ein idealer Weggefährte in handlichen 14×14 cm. Die Bilder darin wirken oft wie mit Deckfarben gemalt; meist ist es Aquarell mit etwas wasserlöslicher weißer Kreide.

Vor Wochen schon entstand in Bellin am Rand einer Veranstaltung diese Apfelskizze.
Blick von der neuen Uferpromenade Richtung Bornhövedstraße.

Deutlich aufwändiger war diese Skizze, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Die Schweriner Urban Sketchers hatten an einem der weniger spektakulären Seeufer versammelt, einer Stadtrandregion zwischen Lost Place und Sanierungsgebiet.

Ganz frisch, von heute, ist dieses Bild eines Zapfens. Der zugehörige Baum steht in dem etwas vergessen wirkenden Park einer Rostocker Klinik, ein Exot zwischen Buchen, Birken und Eiben. Es ist keine heimische Kiefer, auch keine Pinie, die da viel zu nah an dem halb sanierten und mit Graffiti besprühten Krankenhausgebäude steht; vielleicht eine Aleppo-Kiefer.


Das dritte Quadrat

Die letzten beiden quadratischen Bilder waren durch einen Domestika-Kurs angeregt. Die Künstlerin, Vicky McGrath, ist ein Teil der „Daily-Painting“-Bewegung. Es geht darum, jeden Tag ein kleines, abgeschlossenes Bild fertig zu stellen. Der „Erfinderin“, Carol Marine, ging es nicht nur darum, Hand und Seele zu lockern – sie stellte auch fest, dass sich viele kleine Bilder besser verkaufen als ein großes.

Die Formate liegen meist bei 15 bis 20 cm im Quadrat. Ich weiß nicht, wie klein meine Bilder werden müssten, damit ich eines am Tag schaffe – es bleiben Wochenendkreationen. Immerhin habe ich das heutige in zwei, drei Stunden fertig gestellt. Ich habe dabei auch nicht nach Foto gearbeitet, sondern nach wirklichen Äpfeln auf meinem Balkon – zumindest, bis die Sonne herumkam.

Ganz bewusst habe ich die Pinselstriche weniger perfekt gesetzt. Wenn ich das Format noch ein bisschen verkleinere und den breitesten Flachpinsel nehme, schaffe ich das nächste vielleicht am Abend eines Wochentags …


Klaräpfel

Früher hießen sie Augustäpfel, dieses Jahr fielen die ersten – noch winzig, doch schon genießbar – Ende Juni vom Baum. Seit einer Woche gehe ich jeden Tag in den Garten und lese ein paar Hände voll auf, von Tag zu Tag werden sie größer und strahlen im schönsten Apfelgrün.

Bereits als ich mit den Erdbeeren fertig war, hatte ich mir ein Klarapfelstillleben in Gouache vorgenommen, ein Paar Fotos in passendem Streiflicht gemacht – um erst einmal an einem Korb voller Tassen auf dem Töpfermarkt zu verzweifeln. (Das Bild wird halbfertig bleiben.) Dann riefen mich die Äpfel zum Muskochen, und gearbeitet wollte auch noch ein bisschen werden.

So verging eine Woche bis zum nächsten Bild.

Ich blieb ganz bewusst beim quadratischen Format und einer etwas bonbonbunten Farbigkeit, um erst einmal im neuen Kosmos anzukommen. Und anders, erstaunlich anders fühlt sich die Gouache gegenüber meiner sonstigen Art zu zeichnen an. (Das fängt schon beim Begriff an: bei Gouache würde ich eher von „Malen“ sprechen wollen.) Vor vielen Jahren, lange bevor ich mit diesem Blog begann, hatte ich mit Öl gemalt und später mit Acryl; Hände und Pinsel beginnen sich zu erinnern …


Erdbeeren am Abend

In den letzten Wochen und Monaten hatte mich manchmal die Langeweile in den festen Griff ihrer weichen Klauen genommen: nach zehn fleißigen Jahren konnte ich keine Skizzenbücher mehr sehen. Ob Teetassen oder Stadtansichten, Menschen an Nachbartischen oder Tulpen am Fenster – es war mir alles etwas fade geworden.

Hilfe kam von Domestika. Domestika ist keine beste Freundin, sondern eine Seminarplattform für alles, was sich kreativ nennt; vom Schreiben eines Romans über Spieledesign und Häkeln bis hin zu einer unendlichen Auswahl an Zeichen- und Maltechniken kann man dort alles lernen. Die Kurse sind preiswert, für um die zehn Euro bekommt man ein manchmal mehrstündiges Webinar. Natürlich gibt es Unterschiede, aber eine von der Plattform vorgegebene Struktur garantiert eine Grundqualität.

Fünf Spätwinterwochen lang arbeitete ich nach Anleitung von Marcella Trujillo an einer kurzen „Graphic Novel“, wirklich grafisch, in Inhalt und Form sehr verschieden von dem, was ich sonst mache, danach kamen zwei Geschenkprojekte, ein langer Urlaub (hier bleibt das Skizzenbuch eine feste Größe) und dessen „Nacharbeit“, bis ich wieder vor der gleichen Frage stand: Was jetzt? Domestika offerierte mir alles mögliche, bei einem Kurs mit quietschbunten Stillleben in Gouache biss ich an. (Ein sommerlicher Gegenentwurf zu tiefsinnigen Winterwerken in Schwarz-Weiß.)

Erdbeeren am Abend, Gouache auf Aquarellpapier, 18×18 cm

Ich folgte den Anleitungen des Kurses und machte etwas, was mir Zeit meines Lebens immer fast unmoralisch vorgekommen war: Ich zeichnete nicht vom Objekt, nicht einmal ein klitzekleines bisschen, sondern von einer Fotografie. Die hatte ich immerhin selbst aufgenommen und aus einer ganzen Zahl von Arrangements ausgewählt. Die Gouache-Farben hatte ich noch liegen, irgendwann für irgendeinen vergessenen Zweck angeschafft. Da war es eine gute Idee, erst einmal ein paar Farbkarten anzulegen, festzustellen, was für eine wunderbare Farbe das Ultramarin in der Tube war und mich für ein paar rote Höhepunkte aus den Aquarelltuben zu bedienen.

Am Ende brauchte ich drei gut gelaunte Sommerabende für das Bild. Auch wenn aus mir keine Pop-Art-Künstlerin werden wird: die ersten gelbgrünen Klaräpfel warten schon.


Mit Pinsel und Klöpfel

Vergangenes Wochenende habe ich mich am Formen von Holz versucht. Drei Tage lang stand ich mit Klöpfel und Stemmeisen an einer von sieben kleinen Werkbänken, die der Holzbildhauer Yves Rasch unter der großen Linde in Bellin aufgebaut hatte. Ziel war es, eine Schale zu schaffen.

Mir, ungewohnt in Handarbeit, wurde es zeitweilig schwerer als erwartet; gern nahm ich in der Pause statt des Klöpfels Pinsel und Stift in die Hand.

Am Sonntagnachmittag war meine Schale so fertig, wie sie eben war, mit Werkzeugspuren und unpoliert nahm ich sie mit nach Hause. In der Wohnung ist jetzt, Anfang August, Schalenzeit: die ganze Fülle des Spätsommers kommt in ihnen zu liegen.

So kam die fast fertige Schale gerade recht, voller Klaräpfel steht sie auf dem Balkontisch.


Berlin Buch

Die Klinikanlagen in Berlin Buch breiten sich über ein riesiges Gelände aus; erbaut wurden sie zwischen 1900 und 1930 vorwiegend als Tuberkulose-Heilstätte und Psychiatrische Klinik. Der älteste Teil der Anlage ist in einem Backstein-Stil erbaut, der an dänische Renaissance-Schlösser erinnern soll. Der Bau verlief auch damals nicht ohne Kostendiskussion, im Protokoll der Berliner Stadtverordnetenversammlung von 1902 ist folgendes zu lesen:

„Die Irrenärzte legen den größten Wert darauf, daß bei diesen Riesenbauten die Fassaden etwas gegliedert und belebt werden. Das ist hier in der allerbescheidensten Weise getan und zwar soweit, als es von den Irrenärzten gewünscht wird.“

Bescheiden ist auch der Ausschnitt, den ich gewählt habe, der Querflügel von Haus 203.

Und was tut man in einer Klinik, wenn man sich nicht krank fühlt und es draußen regnet? Man zeichnet das reichlich vorhandene Frühstücksobst. Dabei kann man sich ganz nebenbei am Vergleich von Äpfeln und Birnen üben.


Quitten

Während noch die Reisebilder von Elbe und Havel im vorläufigen Status verharren, geht schon das Leben mit Ankommen, Auspacken und Aufräumen weiter … Am Abend vor einer zweiten, kürzeren Reise traf zu meiner Freude ein Paket voller duftender Quitten bei mir ein, die dem großen Garten einer Freundin entstammten. Ich konnte sie nicht mehr alle verarbeiten, aber zeichnen – zeichnen ging noch.

Zwei Seiten waren frei geblieben im Reiseleporello. Weil ich wieder zu Hause war, konnte ich bei den Materialien aus dem Vollen schöpfen, nach dem gelbesten Gelb in meinen Aquarellfarben suchen und noch mit den Farbstiften und weißer Kreide darüber gehen.


Leporello, mal wieder

Vor einigen Wochen sah ich mal wieder einen der hinreißenden Leporellos der Landschaftsarchitektin Martina Offenberg. Sie ist eine großartige Zeichnerin, die ihre Urban Sketches gern auf selbst gestaltete Leporellos zeichnet. Sie bereitet diese Papierstreifen als Collage aus unterschiedlichen Papieren und Stempeln vor, die unterwegs noch weiter ergänzt wird.

So etwas wollte ich auch machen! In vier Wochen habe ich Urlaub, und da wäre es schön, einen selbst gestalteten Leporello as Reisetagebuch mitzunehmen. (An fertig konfektionierten hatte ich schon zwei mal meine Freude gehabt – hier und hier) Ich beschloss einen Probelauf und sichtete meine sich als reichlich erweisenden Papiervorräte. Ich liebe die Resultate solcher Aktionen – wenn andere Leute sie angefertigt haben. Selbst bin ich darin ungeschickt; ich habe Freude an der Haptik der verschiedenen Aquarell- und Bastelpapiere, doch beim Schneiden und Kleben gab es erst einmal eine Menge Ausschuss.

Irgendwann war das Produkt fertig, zusammengeklappt hat es A6-Format. Ich hatte wild darauf los geschnippelt und geklebt, unterschiedlich Papiersorten gemischt, mit Aquarellgrundierung versehen und zusätzlich noch diverse Collage-Elemente vorbereitet.

Als erstes schnitt ich eine kleine Skizze vom Mittagessen bei „Nordsee“ aus einem anderen Skizzenbuch aus und klebte sie ein – sie ist hier nicht zu sehen, nur der Leuchtturm kündet auf dieser Seite davon. Zu sehen sind drei besondere Löffel – am liebsten hätte ich „Eine kleine Geschichte von mir in sieben Löffeln“ erzählt und mich unendlich in den Assoziationen verloren, die die Dinge an unserer Seite auftun. Aber ich beschränkte mich erst einmal auf drei – mit Fortsetzungsoption.

Eine kleine Löffelsammlung.

Den „Göffel“ hat eine Freundin liegengelassen. Es ist ein superleichtes superhartes Objekt aus Titan, die Minimalistinnen-Variante des Besteckkastens für den Rucksack. Seltsamer Weise trägt er die Inschrift „Light my Fire“.

Der Suppenlöffel mit dem „Konsum“-Signet entstammt den unendlichen Tiefen der Besteckkiste auf meiner Arbeitsstelle (und ist inzwischen dorthin zurückgekehrt). Ein rauchender Schornstein und eine Sichel ergeben in typisch ostmoderner Ästhetik zusammen ein „K“ wie „Konsum“ (gesprochen Kónsumm) – dem Inbegriff des Lebensmittelgeschäfts in der DDR. (Das interessante Wurzeln in Lebensreform und Sozialdemokratie hat und in einem gemeinwohlorientierten Land wie der Schweiz z.B. als „volg“ überleben konnte.)

Der geschnitzte „Folklore“-Löffel kam durch einen der zahlreichen Osteuropa-Kontakte meiner Mutter in unseren Haushalt und hing viele Jahre als Dekoration in der Küche – mit einer dazu passenden Gabel als Salatbesteck. Ich hätte es gern benutzt, doch es ist klein und unhandlich, so wanderte es in eine Schublade, die „Mein Museum“ heißt und voll ist mit kleinen Dingen, über die ich – irgendwann einmal – schreiben möchte.

Drei Äpfel über eine Stadtsilhouette gezeichnet.

Am nächsten Tag saß ich am Schweriner Marienplatz und versuchte mich – gleich mit Füller – an einer kleinen Stadtansicht. Über die Dachsilhouette und ein paar Oberleitungen der Straßenbahn kam ich nicht hinweg, so dass ich das Ganze abends mit drei Äpfeln übermalte.

Das hätte ich vermutlich in einem konventionellen Skizzenbuch nicht getan, doch die Anmutung von Collage, die dem ganzen Projekt eigen ist, machte es möglich. Wie immer nimmt die locker aufgebrachte Grundierung die Angst vor dem leeren Blatt, macht munter und mutig. Es liegt darin auch die Gefahr, Lockerheit mit Schlampigkeit zu verwechseln und die Struktur zu verlieren. So hat mich dieses Probe-Projekt bis heute schon gelehrt, es nicht zu übertreiben mit „Mixed media“, nicht zu viele unterschiedliche Papiersorten und Collageelemente zu verwenden – zumal die einem auf Reisen sowieso in reicher Zahl in Form von Eintrittskarten, Prospekten, Zuckertüten & Co. zufallen.

Am Tag nach den Äpfeln bin ich zu mal wieder zu einer Dorfkirche über Land gefahren: Fortsetzung folgt.


Hortus conclusus

Am nördlichen Schweriner Stadtrand, wo die sich die Wismarsche Straße scheinbar endlos bis in die 300er Hausnummern zieht, versteckt sich ein verzauberter Garten. Am Eingang eines alten Mietshauses weist ein winziges Schild darauf hin; man geht durch den Torweg und folgt erstaunt einem sich schlängelnden Weg in ein weiträumiges Hanggelände, das sich zwischen den Häusern und der Bahn erstreckt: Den Schweriner Gemeinschaftsgarten. Dort haben die Schweriner Urban Sketchers gestern gezeichnet.

Es war sonnig und schwül geworden, so suchte ich mir als erstes einen Platz im Obstgarten. Die Platzwahl war durch den Schatten bestimmt, so machte ich es mir unter einem Pflaumenbaum bequem. Während ich zeichnete, schlich sich Brechts Gedicht „Erinnerung an die Marie A.“ in meine Gedanken, jene wunderbare Meditation über Zeit und Ewigkeit, über Erinnern und Vergessen, das der Dichter mit unglaublichen zweiundzwanzig Jahren geschrieben hatte.

Die Sonne drehte ihre Bahn, und mit ihr der Schatten – ich flüchtete mich unter die Kastanien, wo wir später lange saßen und eine Kaffeetafel hielten. Zuerst aber waren die Blätter dran, gezeichnet von einer Urban Sketcherin: Wir bezeugen unsere Umwelt wahrhaftig. Mit Autos auf den Straßen (die waren gerade nicht da) und mit Mottenfraß in den Blättern.

Kastanienblatt mit Fraßgängen der Miniermotte.

Es war eine heitere und ein bisschen verwunschene Stimmung in dem versteckten Garten, auch wenn wir mit einem Hauch von schlechtem Gewissen den Vereinsmitgliedern beim Gärtnern zusahen. Nach dem Kaffee setzte ich mich unter einen Sonnenschirm und zeichnete das Pardiespförtchen, das in den Obstgarten führt, wo Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume sich unter der Last ihrer Früchte biegen. Zeichnerisch war es eine spezielle Übung, ganz ohne Farbe Struktur in das Motiv zu bringen.

Am Paradiespförtchen.