Tokonoma

Ein Tokonoma ist eine Wandnische in einem traditionellen japanischen Raum, der mit Aufmerksamkeit für Details jahreszeitlich dekoriert wird. Auch in meinem Wohnzimmer gibt es eine Tokonoma: das breite Fensterbrett des einzigen Fensters. Nachdem die letzten spätwinterlichen Hyazinthen in ihren Gläsern abgeblüht hatten, wurde es dort Zeit für die Osterdekoration.

Was wäre besser dafür geeignet als blau-weiß gemustertes Bollhagen-Geschirr? Die Keramik mit den abwechselnd hell- und dunkelblauen Streifen ist ein Klassiker aus einer Keramikmanufaktur, die vor allem im Osten Deutschlands legendär ist.

Auf dieses Geschirr trifft in meinem Haushalt noch mehr als auf andere Gegenstände der Satz von Rolf-Ulrich Kunze zu:

.. dass alle uns umgebenden Dinge narrativ aufgeladen waren: ihre Geschichte seit ihrem Eintritt in unsere Familie war bekannt, gehörte zu ihnen und wurde immer wieder erzählt. 

Kernstück des Arrangements ist eine Teekanne, deren Muster im Gegensatz zu den Blockstreifen ein zartes Gitternetz bildet. Diese Kanne gehört zu einem Teeservice, das ich am Ende meines Studiums in einer Greifswalder Kunstgalerie erwarb – eine fast unglaubliche Beute vor dem Hintergrund der DDR-Versorgungslage. (Und für eine Studentin mit 200 DDR-Mark eigentlich unbezahlbar, doch ich hatte gerade genau diese Summe zum Studienabschluss geschenkt bekommen.)

Die klassisch gestreiften Teile habe ich später im Laufe der Jahre gebraucht erworben; die Eier im Vordergrund stammen ebenfalls aus den 1980er Jahren und haben ihre eigene Geschichte, die auch noch erzählt werden wird.

Gezeichnet habe ich das Blatt mit farbigen Kugelschreibern. Vor Jahren hatte ich in einer Bahnhofsbuchhandlung einen 10er Satz erworben, der zu einem treuen Begleiter für Sitzungskritzeleien geworden war. Übrig geblieben sind nur die wenigen Farben, mit denen ich hier gezeichnet habe. Die feinen und etwas nervös wirkenden Linien sind eine Art Gegenentwurf zur Erdschwere der Gouache des letzten Bildes geworden; abendliches Gestrichel einer ganzen, mich etwas ermüdet habenden Woche.

Heute ist Tag 49, morgen Halbzeit des 100-Tage-Projekts. Ich staune, wie schnell die Zeit vergangen ist. Es gab zwischendurch vier oder fünf Tage, an denen ich gar nicht gezeichnet habe, sonst waren es wenigstens einige Striche. Da ich mir keinen zeitlichen Rahmen pro Bild gesetzt habe, ist es gut zu schaffen. Natürlich werden auf diese Weise am Ende der Aktion noch diverse Museumsobjekte ungezeichnet geblieben sein. (Fast habe ich das Gefühl, sie in ihren Schubladen und Schrankfächern mit den kleinen Füßen scharren zu hören – jedes Ding will das nächste sein, das drankommt.)


Klaräpfel

Früher hießen sie Augustäpfel, dieses Jahr fielen die ersten – noch winzig, doch schon genießbar – Ende Juni vom Baum. Seit einer Woche gehe ich jeden Tag in den Garten und lese ein paar Hände voll auf, von Tag zu Tag werden sie größer und strahlen im schönsten Apfelgrün.

Bereits als ich mit den Erdbeeren fertig war, hatte ich mir ein Klarapfelstillleben in Gouache vorgenommen, ein Paar Fotos in passendem Streiflicht gemacht – um erst einmal an einem Korb voller Tassen auf dem Töpfermarkt zu verzweifeln. (Das Bild wird halbfertig bleiben.) Dann riefen mich die Äpfel zum Muskochen, und gearbeitet wollte auch noch ein bisschen werden.

So verging eine Woche bis zum nächsten Bild.

Ich blieb ganz bewusst beim quadratischen Format und einer etwas bonbonbunten Farbigkeit, um erst einmal im neuen Kosmos anzukommen. Und anders, erstaunlich anders fühlt sich die Gouache gegenüber meiner sonstigen Art zu zeichnen an. (Das fängt schon beim Begriff an: bei Gouache würde ich eher von „Malen“ sprechen wollen.) Vor vielen Jahren, lange bevor ich mit diesem Blog begann, hatte ich mit Öl gemalt und später mit Acryl; Hände und Pinsel beginnen sich zu erinnern …


Erdbeeren am Abend

In den letzten Wochen und Monaten hatte mich manchmal die Langeweile in den festen Griff ihrer weichen Klauen genommen: nach zehn fleißigen Jahren konnte ich keine Skizzenbücher mehr sehen. Ob Teetassen oder Stadtansichten, Menschen an Nachbartischen oder Tulpen am Fenster – es war mir alles etwas fade geworden.

Hilfe kam von Domestika. Domestika ist keine beste Freundin, sondern eine Seminarplattform für alles, was sich kreativ nennt; vom Schreiben eines Romans über Spieledesign und Häkeln bis hin zu einer unendlichen Auswahl an Zeichen- und Maltechniken kann man dort alles lernen. Die Kurse sind preiswert, für um die zehn Euro bekommt man ein manchmal mehrstündiges Webinar. Natürlich gibt es Unterschiede, aber eine von der Plattform vorgegebene Struktur garantiert eine Grundqualität.

Fünf Spätwinterwochen lang arbeitete ich nach Anleitung von Marcella Trujillo an einer kurzen „Graphic Novel“, wirklich grafisch, in Inhalt und Form sehr verschieden von dem, was ich sonst mache, danach kamen zwei Geschenkprojekte, ein langer Urlaub (hier bleibt das Skizzenbuch eine feste Größe) und dessen „Nacharbeit“, bis ich wieder vor der gleichen Frage stand: Was jetzt? Domestika offerierte mir alles mögliche, bei einem Kurs mit quietschbunten Stillleben in Gouache biss ich an. (Ein sommerlicher Gegenentwurf zu tiefsinnigen Winterwerken in Schwarz-Weiß.)

Erdbeeren am Abend, Gouache auf Aquarellpapier, 18×18 cm

Ich folgte den Anleitungen des Kurses und machte etwas, was mir Zeit meines Lebens immer fast unmoralisch vorgekommen war: Ich zeichnete nicht vom Objekt, nicht einmal ein klitzekleines bisschen, sondern von einer Fotografie. Die hatte ich immerhin selbst aufgenommen und aus einer ganzen Zahl von Arrangements ausgewählt. Die Gouache-Farben hatte ich noch liegen, irgendwann für irgendeinen vergessenen Zweck angeschafft. Da war es eine gute Idee, erst einmal ein paar Farbkarten anzulegen, festzustellen, was für eine wunderbare Farbe das Ultramarin in der Tube war und mich für ein paar rote Höhepunkte aus den Aquarelltuben zu bedienen.

Am Ende brauchte ich drei gut gelaunte Sommerabende für das Bild. Auch wenn aus mir keine Pop-Art-Künstlerin werden wird: die ersten gelbgrünen Klaräpfel warten schon.


Super extra Kardamom

An einen hellen Abend im Hochsommer, es war schon ziemlich spät, wollte ich auf einem Spaziergang noch etwas Kaffee für den nächsten Tag kaufen. Am Weg lag ein kleiner syrischer Laden; ich stieg die paar Stufen zu dem engen und bis unter die Decke vollgestellten Raum im Souterrain hinab. Es brauchte ein bisschen, bis ich mich verständlich machen konnte: ich wollte den Kaffee keineswegs gleich vor Ort trinken, sondern zu Hause kochen. Schließlich verließ ich das Geschäft mit einem goldfarbenen Päckchen.

Erst zu Hause sah ich das Kleingedruckte: „Super extra Kardamom“ – das würde eher keinen Frühstückskaffee in der großen Tasse abgeben. Ich las nach, wie man arabischen Kaffee zubereitet und freute mich, endlich das kupferne bulgarische Stielkännchen bestimmungsgemäß verwenden zu können: Kaffee ins Kännchen, heißes Wasser aufgießen und auf dem Herd mehrmals aufwallen lassen. Und ich lernte dazu: in Bulgarien hatte man den Kaffee seinerzeit auf türkische Art mit Zucker zusammen aufgekocht, dieser hier bleibt ungesüßt. (Ich lernte auch, dass dieser Vorgang Aufmerksamkeit braucht, sonst ist der Kaffee ganz schnell auf der Herdplatte.)

Ich war begeistert! Mit ein paar Datteln oder etwas süßem Gebäck dazu wurde es eine perfekte Nachmittagsfreude, ein kleines, nicht zu oft zelebriertes Ritual mit Kupfertablett und Mokkatasse. (Ja, Mokka und nicht Espresso, aus einem praktisch nie genutzten kleinen Bollhagen-Service, das meiner Sammelleidenschaft gedankt ist.)

Aquarell mit etwas weißer Gouache im Toned Watercolour Book von Hahnemühle.

Gestern war es mal wieder soweit, zu Feier eines freien Freitags gab es den Kaffee, und nach dem endgültigen Zuklappen der Schweizer Reisebücher konnte ich endlich ein neues Zeichenbüchlein beginnen. Ich hatte es noch vom letzten Jahr her liegen; die graue Variante hatte mich seinerzeit wenig überzeugt, und im Frühjahr behagte mir das herbstliche Braun nicht. Nun geht es schon auf den Winter zu, und ich freue mich auf den warmen Farbton.


Blau-Weiß

Zwei unterschiedliche Blautöne auf weißem Grund: DAS Erkennungsbild der Bollhagen-Keramik. (In meiner Kindheit war das noch anders, da herrschte Schwarz-Grün vor, aber das ist eine andere Geschichte.) Geometrische, mehr oder weniger kleinteilige Dekore laden dazu ein, verschiedene Muster zu mischen, ferne Erinnerungen an bäuerliche Gebrauchskeramik mischen sich mit Bauhauselementen.

Für meine diesjährige Osterdekoration habe ich aus den Tiefen des Küchenschranks einige Kerzenhalter und andere Kleinteile in diesem Stil hervorgeholt, die sonst selten den Weg auf den Tisch finden. Als ich sie in den Wochen vor Ostern aufstellen wollte, musste ich feststellen, dass passende Kerzen nicht zu bekommen waren. Sie sind aus der Mode gekommen, wenn man von dem Saisonartikel „Pyramidenkerze“ absieht, der pünktlich zum 23.12. aus allen Regalen verschwindet.

Wie man sieht, haben sich noch welche eingefunden – ein rechtzeitig erhaltenes Geschenk (voller Geschichte und Geschichten der Schenkerin, die zu erzählen hier nicht der Ort ist …)

Zeichnend hatte ich Lust auf Aquarellstifte – sie erlauben Kleinteiligkeit, ohne dass die Arbeit sich über Tage hinzöge wie bei den wasserfesten Buntstiften. Der Preis ist eine gewisse Farbungenauigkeit: beim Kontakt mit Wasser verändern sich die Töne manchmal sehr, so kam auch der Violettstich zu Stande, wo im Original Kobalt- oder Delftblau zu sehen ist.


Auf dem Fensterbrett …

… meines Wohnzimmers wird immer mal umgeräumt, es ist eine kleine Bühne mit saisonalen Akteuren. Jetzt, Anfang März, träumt sie von einer Osterdekoration in Pastelltönen. Höchste Zeit für ein Bild von dem, was dort in den letzten Wochen stand. („Nagori“ heißt es in Japan – „Die Sehnsucht nach der von uns gegangenen Jahreszeit“.) In diesem Winter waren das weiße Blumen in dunklen Gefäßen, eingerahmt von ein paar schwarz-grünen Bollhagen-Kleinigkeiten. Den großen Auftritt haben sie nicht bekommen, der ging an das warme Lampenlicht, das an diesem grauen Abend schon früh die Oberhand gewann. (Die Vase, obwohl sie so aussieht mit ihren Streifen und dem unnachahmlichen Winkelmaß der Mitte des letzten Jahrhunderts, ist nicht von Bollhagen.)

Gezeichnet habe ich auf etwas vorgrundiertem Stillman&Birn Beta im Ringbuch – und dabei in meinem neuen Grün geschwelgt, dem Green Apatite Genuine von Daniel Smith.


Schwarz und grün

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass ich die schwarze Teekanne zuletzt gezeichnet habe. Erfreulicher Weise ist sie immer noch heil, und immer noch hole ich ihr zu Ehren die anderen seltener genutzten Bollhagen-Teile aus dem Schrank. Stövchen und Zuckerdose hat mir vor fast vierzig Jahren ein Freund geschenkt, Kerzenständer und Schälchen habe ich vermutlich selbst gebraucht erworben. Bollhagen* schwarz-grün hat nie die Verbreitung gefunden wie blau-weiß, es war früher schwierig zu erhalten und ist heute neu unbezahlbar. So bekommt der damit gedeckte Tisch etwas Meditatives, etwas von Teezeremonie, die Teile werden sorgsam komponiert und arrangiert.

Gezeichnet habe ich dieses Mal auf mit Buntstiften auf schwarzes Papier. Ganz zufrieden bin ich nicht, das Ganze ist insgesamt etwas dunkel geraten und mehr Helligkeit war mit den Stiften nicht rauszuholen. Beeindruckend finde ich die Plastizität, die sich schon nach wenigen Strichen einstellte die Möglichkeiten des Arbeitens auf schwarzem Grund ahnen lässt.

Schwarz-grünes Bollhagen-Geschirr, mit Buntstiften auf eine schwarze Seite des Stillman&Birn Nova Trio square (19x19cm) gezeichnet.

*Bollhagen-Geschirr ist ein Stück ostdeutscher Kultur, ein Stück gelebter Moderne, das heute unter der zugkräftigen Marke „Bauhaus“ vermarktet wird. Nach wie vor ist es im Osten Deutschlands weit bekannter als im Westen. Hedwig Bollhagen war eine Ausnahmekünstlerin, sie war auch eine Opportunistin, die sich mit zwei deutschen Diktaturen zu arrangieren wusste – und am Ende sogar mit dem neuzeitlichen Kapitalismus. Wie und wo diese Geschichte sich mit meiner eigenen trifft, würde ich gern einmal ausführlicher erzählen und dazu noch die ein oder andere Tasse zeichnen.


Tee in der Komfortzone

Heute bin ich gar nicht gewachsen. Jedenfalls nicht, wenn es nach dauergutgelaunten Lebenshilferatgebern geht, die all denen, die es sich in ihrer Komfortzone gemütlich machen, mit Konsequenzen drohen. „Kein persönliches Wachstum“, das liest sich ein bisschen wie „ohne Abendbrot ins Bett“ – Strafe muss sein.

Nein, kein Challenge, kein Projekt, kein persönlicher Entwicklungsplan: mein guter Vorsatz für heute war die altbekannte Teetasse; ein Stillleben, das schön still hält, aus dem ich mich während des Zeichnens mit schwarzem Tee bedienen kann, während ich nebenbei dem Ofen beim Zimmerwärmen zusehe.

Naja, zugegeben – ein klitzekleines bisschen Projekt ist doch dabei. Im Gegensatz zu der Weihnachtspyramide in Gouache ist die Tasse nämlich mit Aquarellfarben gemalt. Abgeguckt habe ich mir die Technik bei Marie Silver, die in dieser Weise auf dem beigen Stillman&Birn-Papier arbeitet. Das Weiß wird ebenso wie die anderen Farben in Aquarellmanier lasierend eingesetzt und der – in meinem Fall graue – Untergrund darf durchscheinen. Zum Schluss gibts noch ein paar Higlights mit einem weißen Marker obendrauf.


Dreimal schwarze Kanne

Die kleine schwarze Kanne fasst knapp vier Tassen Tee; sie hat als Alltagskanne schon meine Kindheit begleitet und ist, fast ein Wunder in über fünfzig Jahren, unbeschädigt geblieben. Heute benutze ich sie nur noch selten, doch wenn, hole ich dazu noch das andere, eben so vorsichtig verwendete schwarz-grüne oder dunkelrote Bollhagen-Geschirr raus. Dabei ist die Kanne selbst gar nicht von Bollhagen, jedenfalls trägt sie keine Marke, auch wenn sie perfekt den Geist – man kann es auch einfach die Mode nennen – der 50er, 60er Jahre verkörpert.

Zeichnen wollte ich sie schon lange mal; jetzt ist eine kleine Serie daraus geworden, mit unterschiedlichen Zeichenmaterialien.


Die Versionen 2 und 3 sind beide heute entstanden, und zwar auf mit etwas Wasserfarbe vorgrundiertem Papier.


Tulpen am Nachtfenster

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Tulpenstrauß in gestreifter Vase. Super5- und Pentel-Tinte mit Wasserfarbe in S&B Alpha.

Gestern Abend konnte ich nach ein paar vergrippten Tagen zum ersten Mal wieder ein bisschen aus den Augen gucken, da leuchteten mich diese Tulpen an. Die Vase, mit ihrer Form für Tulpen gerade richtig, sieht aus wie Bollhagen, ist aber einfach nur schwarz-gelb gestreift und auf eine unnachahmliche Weise der Mitte des 20.Jahrhunderts zugehörig.