Altehrwürdig

Soll ich chronologisch weitermachen oder mit den Skizzen von gestern? (Heute habe ich wirklich mal keine gemacht, bei schwülen 34℃ und Güllegestank ist mir nicht danach gewesen.) Ich entscheide mich für die Chronologie und blicke, wo die Wanderung schon beginnt das Etappenziel zu sehen, auf den Anfang zurück.
Von Engelthal aus bin ich durch herrliche, anfangs noch morgenfrische Wälder Richtung Altdorf gelaufen. Man sieht die kleine Stadt von weither liegen, ganz altmodisch rund mit Kirchturm in der Mitte, Weichbild, dieses fast vergessene Wort für Stadtsilouette, fiel mir ein.
Kurioser Weise hatte der Ort einmal eine Universität, und gar keine so unbedeutende. Reiche Bürger der mächtigen Freien Reichsstadt Nürnberg haben sie gegründet und unterhalten, sie war ein Hort von Reformation und früher Aufklärung. Der junge Leibniz hat hier promoviert.
Als ich am Abend dort zeichnete, atmete der Ort, obwohl schon seit über 200 Jahren anderweitig genutzt, noch immer den Geist der Altehrwürdigkeit – als würde gleich ein Herr im Talar die Tür zum Treppenturm öffnen.

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Tür zum Treppenturm im Gebäude der ehemaligen Universität Altdorf.


Am Wegrand

Tag für Tag bewegt sich Mittelfranken unter meinen Füßen fort, ich genieße es, früh aufzustehen und der Hitze davonzulaufen, überall gibt es etwas zu sehen und zu zeichnen – die Tage sind lang, doch immer noch nicht lang genug, um hier ausführliche Artikel zu schreiben. Abgesehen davon, dass viele Zeichnungen im Skizzenbuch im vertrauten dreiviertelfertigen Zustand verharren, weil schon das nächste Motiv des Weges gekommen ist.

Neben dem Skizzenbuch habe ich noch ein paar Aquarellpostkarten mitgenommen; darauf zeichnet es sich locker. Hier einige dieser Wegrandnotizen.


Engelthal

Von Hersbruck kommend, ging ich am Nachmittag noch bis Engelthal. Der kleine Ort lag, seinem Namen alle Ehre machend, wie verzaubert im Abendlicht. Im Hochmittelalter hatte hier einmal ein weithin berühmtes Nonnenkloster gegeben, in dem eine mystische, weiblich geprägte Spiritualität gepflegt wurde.

Seitdem sind 700 Jahre vergangen, das Kloster wurde bereits in der Reformation säkularisiert und bald darauf in einem regionalen Kleinkrieg geplündert; und doch ist erstaunlich viel erhalten: neben der Grundstruktur des Ortes Reste der Klostermauer und einiges, was im Laufe der Jahrhunderte überbaut wurde.

Zu mehr als einem kleinen Rundgang war ich nach der langen Reise leider nicht mehr in der Lage. Am nächsten Tag wollte ich zeitig aufbrechen, so dass ich mich vor dem Frühstück auf eine zügige Skizze eines der Torhäuser beschränkte. Bloß nicht friemeln! (Ich hatte mir in Hersbruck gerade noch einen Lamy mit breiter Spitze besorgt, das half.)

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Eines der charakteristischen Torhäuser vo Engelthal im Nürnberger Land. 


Der Hersbrucker Palmesel

Die 6.Etappe meiner Pilgerwanderung hat begonnen! Die letzte, im vergangenen Oktober, endete in Lauf an der Pegnitz, östlich von Nürnberg; gestartet bin ich dieses Mal einige Kilometer weiter, in Hersbruck. Wie immer am ersten Reisetag stieg ich etwas zerknittert aus dem Zug. Der hübsche Ort lag in fast unwirklich klarem Nachmittagslicht, alles strahlte und warf scharfe Schatten.

Milder war das Licht in der Kirche von Hersbruck (evangelisch, wie das ganze Nürnberger Land). Überraschend gab es dennoch einen großen und schönen Marienaltar, doch angezogen wurde ich sofort von einer annähernd lebensgroßen Jesusfigur auf einem Esel: dem Hersbrucker Palmesel. Die Plastik (aus dem 16.Jh.) ist nicht restauriert. Mit den Jahrhunderten ist die Farbe abgeblättert, haben sich die einzelne Teile voneinander gelöst und manches ist ganz verloren gegangen – wie einige Finger und die kompletten Füße.

Die Geschichte, die sie erzählt, markiert den Anfang der Passionserzählung: Jesus reitet auf einem Esel in Jerusalem ein; die Menschen jubeln ihm zu und streuen als Zeichen der Ehrerbietung Palmblätter auf seinen Weg. Ob die Geschichte so stattgefunden hat, wie sie in den Evangelien aufgeschrieben wurde, werden wir niemals erfahren. Wir können aber annehmen, dass hier Bezug genommen wird auf einen viel älteren Text, einer Vision des Propheten Sacharja:

Juble laut, Tochter Zion,
jauchze, Tochter Jerusalem,
sieh, dein König kommt zu dir,
gerecht und siegreich ist er,
demütig und auf einem Esel reitend,
auf einem Fohlen, einem Eselsfohlen.

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Der „Hersbrucker Palmesel“, eine spätmittelalterliche Skulptur in der Kirche von Hersbruck bei Nürnberg.