Wegrand II – in der Diaspora
Veröffentlicht: 30. Juli 2017 Abgelegt unter: Allgemein, Architektur, Bewohntes Gelände 6, Reiseskizzen, Urban Sketching | Tags: 60er Jahre, Architektur, Mittelfranken, Moderne, Nürnberg Hinterlasse einen KommentarZwei meiner „Wegrandpostkarten“ – eher schnellen Skizzen, die ich weitgehend vor Ort fertig stelle – zeigen moderne Kirchenarchitektur. Beides sind katholische Kirchen. Auf meinem Weg habe ich gelernt, dass Mittelfranken, obschon im Freistaat Bayern gelegen, evangelisches Kernland ist; seinerzeit geprägt durch die Freien Reichsstädte, die das neue Gedankengut anzogen und in denen sich viele Anhänger der protestantischen Lehre sammelten. In Nürnberg wurde gedruckt, was im gesamten deutschen Sprachraum für die Verbreitung lutherischen Gedankenguts sorgte.
Erst mit den Wanderungsbewegungen der Industrialisierung kamen wieder Katholiken in die Gegend; richtig viele wurden es nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele der Flüchtlinge aus dem Sudetenland hier blieben. In den 50er Jahren hatten sich die Verhältnisse soweit stabilisiert, dass an Kirchenneubau gedacht werden konnte. Die meisten dieser Kirchen vermitteln auf eine eindringliche Weise die Stimmung jener Jahre: sie sind karg, manchmal geradezu ärmlich, und ihr Bildschmuck verweist auf Sühne und Leid – wie gebaute Romane von Böll, nur weniger poetisch.

St. Nikolaus in Wendelstein, Postkarte A6, gezeichnet am frühen Morgen.
Gezeichnet habe ich dann woanders. Das erste Bild zeigt St.Nikolaus, einen modernen Kirchenbau in Wendelstein, im zersiedelten Nürnberger Speckgürtel. Früh vor sieben, als ich dort entlangkam, war natürlich noch alles geschlossen, so dass ich mich mit dem äußeren Eindruck einer, nun ja, Fabrikarchitektur mit einigen farbigen Akzenten zufriedengeben musste. 70er? 80er? Auf der Website der Kirchgemeinde war nichts zur Baugeschichte zu finden.

Glaswand der Werktagskirche der katholischen Kirche von Nürnberg-Reichelsdorf. Postkarte.
Die „Heilige Familie“ in Nürnberg-Reichelsdorf hingegen war eine fast atemberaubende Überraschung, wenn ich mich beim Zeichnen auch auf einen Ausschnitt aus der Glaswand der Werktagskirche beschränkt habe. Diese Kirche – gegründet irgendwann in den 20ern und erweitert in den 6oern – ist ein Beispiel für gelungene Architektur der Moderne, ein verborgenes Kleinod in der Provinz. Klare Formen, warme Holztöne und milchigweiches, grauhelles Licht, das durch eine ganze Wand aus Glas hineinkam, die sowohl öffnete als auch abschirmte.