Drachentöter

Letzten Freitag hatte ich in Lübeck zu tun; anschließend nutzte ich, nicht zum ersten Mal, die Gelegenheit, im St.-Annen-Museum zu zeichnen. Erweitert um moderne Anbauten befindet sich das Museum in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Klosteranlage. Der Gebäudekomplex war um 1500 gebaut worden und erfüllte nur kurze Zeit den ihm zugedachten Zweck, dann kam die Reformation und alles wurde anders; die Backsteinmauern mussten verschiedene säkulare Nutzungen ertragen, Brände, Bombenangriffe …

Im zentralen Teil der Anlage, in den Räumen um Kreuzgang und Klosterhof sind spätmittelalterliche Gemälde und Schnitzereien ausgestellt. Lübeck war ein Zentrum der Produktion dieser künstlerischen Massenware. Einiges von dem, was Reformation, Kriege und zivile Katastrophen überstanden hat, findet sich im Annenmuseum: Altäre voller vergoldeter Wimmelbilder, rührende Guckkastenszenen hinter hölzernen Maßwerkvorhängen und der eine und andere schwertschwingende Heilige oder Erzengel.

Ich habe hier schon mehrmals gezeichnet; es ist selten viel Betrieb, reichlich Platz und man kommt den Objekten viel näher als in einer Kirche. Dieses Mal entschied ich mich für einen heiligen Georg, der in Lübeck Jürgen heißt und fast lebensgroß auf seinem Pferd sitzt, das Schwert gegen einen lächerlich kleinen Drachen erhoben. Während der Reformation hatte man die kostbare Figurengruppe rechtzeitig in Sicherheit gebracht, der große Lindwurm aber, zu schwer zum Transport, war dem Bildersturm zum Opfer gefallen und endete als Brennholz in den Herdfeuern der Wutbürger. Als die Zeiten sich beruhigt hatten, zogen Held, Pferd und Prinzessin (sie betet außerhalb meines Bildes) in eine kleinere Kapelle um und man gab ihnen das handlichere Tier bei.

Die Skulpturengruppe wirkt modern, nicht mehr gotisch; sie entstand um 1505, ihr Schöpfer, Henning von der Heyden, ist namentlich bekannt, auch das ein Hinweis auf die heraufziehende neue Zeit. Die Geschichte, die erzählt wird, ist noch die alte, eine Heiligenlegende samt Mission und Martyrium, der erst im Hochmittelalter eine Drachentöterlegende angestrickt worden war. Ich habe in den letzten zehn Jahren mehrere heilige Ritter beim Drachentöten gezeichnet, meine liebste Drachentöter-Geschichte aber ist die des „berufsmäßigen Helden“ Lanzelot. Der kommt in die sprichwörtliche Kleine Stadt, die sich mit ihrem Drachen längst arrangiert hat. Auch die Jungfrau, die er sich dieses Jahr ausgesucht hat, begehrt nicht gegen ihr Schicksal auf, und bald muss der Drachentöter selbst um sein Leben fürchten: Die Märchenparabel „Der Drache“ von Jewgenij Schwarz wurde über fünfzehn Jahre lang am Ostberliner Deutschen Theater gespielt und hat dafür gesorgt, dass ich zeitlebens für schlechtes Theater verloren war.


Zweimal Denkmal

Zum Tag des offenen Denkmals hatte ich in Schwerin die Auswahl zwischen dem Logenhaus der Schweriner Freimaurer – ich hatte es vor Jahren einmal von außen gezeichnet – und zwei von den drei Kirchen, die ich im Frühjahr erradelt hatte. Bei den Freimaurern würde es, so fürchtete ich, voll werden und ich vielleicht nicht zum Zeichnen kommen; ich entschied mich für die Kirchen.

Als ich an der Kirche von Kirch Stück ankam, sah ich es deutlich vor meinem inneren Auge, das Datum: 11.09.22. Es war allerdings erst der 4. Umkehren? Ich erinnerte mich, dass die zweite Kirche, nur wenige Kilometer entfernt, im März ganz ohne Denkmalanlass offen gewesen war; so auch an diesem Tag. Die Trebbower Kirche ist der gleiche Bautyp wie die im stillen, (gott)verlassenen Prestin – ein schlichter Hallenbau ohne Turm, mit Spitzdach, gerundetem Chorraum, einem kleinen Sakristeianbau an der Südwand und einem frei stehenden Glockenstuhl.

Still war es auch hier, eine belebte und bewohnte Stille. Am Friedhofstor schon begrüßte mich das „Offene-Kirche“-Schild, es passte zur einladenden und freundlichen Atmosphäre des Ortes.

Dorfkirche Groß Trebbow bei Schwerin, aquarelliert in meinem etwas „wilden“ Leporello.

Bevor ich hineinging, ließ ich mich im Moos unter alten Bäumen nieder und stellte dieses Bild fast fertig; zuhause vertiefte ich nur die Schatten ein wenig.

Im Innern erwartet die Besucherin freundlich-naives Barock an Kanzel und Altar; Voluten, Knorpelwerk und pausbäckige Engel. Als Kanzelträger, im dunklen Untergrund, erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar, fungiert eine düstere Maske mit gelben Augen.

Am folgenden Sonntag war dann wirklich der Tag des Offenen Denkmals und ich radelte noch einmal ins nahe gelegene Kirch Stück, um die vielfach im Vorbeifahren gesehene Kirche endlich einmal von innen kennenzulernen. Für eine Dorfkirche ist sie bereits im Mittelalter wertvoll ausgestattet worden, u.a. beherbergt sie eine der ältesten Glasmalereien Mecklenburgs.

Meine Blicke wurden sofort von dem grob in Granit gehauenen Taufstein angezogen. Man weiß nichts zuverlässiges über diese Steine; sie künden von Vorfahren, die außer ihnen nichts Steinernes und auch nichts Schriftliches hinterlassen haben und denen man später das Etikett „Heiden“ aufdrückte. Ich habe solche Taufsteine schon mehrfach gezeichnet, in Mecklenburg und sogar in Franken.

An der Stirnseite der Kirche steht ein fröhlich-bunter gotischer Altar mit der üblichen Aufreihung von Heiligen in den Seitenflügeln. Der Mittelteil ist von erzählenden Szenen rund um Jesu Hinrichtung ausgefüllt; dazu kommt der heilige Georg, dem die Kirche geweiht war. In schönster Märchenmanier erlegt er den Drachen, während die Prinzessin für den guten Ausgang der Geschichte betet.

St.Georg erlegt den Drachen – Mittelteil des Altaraufsatzes der Kirche in Kirch Stück bei Schwerin. Diese Seite des Leporellos hatte ich mich einem Papier grundiert, in dem Blattstücke verarbeitet sind.

Intermezzo: Basel

Nach der Harzreise ging es nach Süden, Richtung Schwäbische Alb und Bodensee, um an den Pilgerweg vom Frühjahr anzuknüpfen. Doch bevor ich dort ankam, gab es noch ein Intermezzo in Basel – Besuch bei Freunden. Gemeinsam gingen wir in die spektakuläre Ausstellung „Gold und Ruhm“, in der anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Basler Münsters Kunstschätze aus der Zeit des frühen und hohen Mittelalters gezeigt wurden.

Das Basler Kunstmuseum enthält eine schier unüberschaubare Zahl an wunderbaren Kunstwerken; Schweizer Geschäfts- und Bürgersinn hat hier schon lange gesammelt. Seit Mitte der 90er war ich schon einige wenige Male dort gewesen, daher wusste ich, wo ich nach den Goldschätzen noch hinwollte: zu den Alpen! In einem langen lichten Korridor, der im ersten Stock um den Innenhof führt, hängen Alpenpanoramen von der frühen Neuzeit bis zur Moderne.

Ich entschied mich für das Bild „Die Wilde Frau von der Bundalp aus“ von Auguste Baud-Bovy . Vor Ort erfasste ich nur die Grundstruktur – und da immer noch Inktober war, blieb ich dann später bei Füller und Tinte.

Am nächsten Tag startete ich Richtung Schwäbische Alb, vorher ging ich noch für eine Mittagsstunde ins Münster. Mein Zeichenmotiv fand ich davor: einen heiligen Georg, der an der Turmfassade mit eingelegter Lanze seine Attacke gegen einen, ja, irgendwie devot aussehenden Drachen reitet.

Auch hier, wie beim Goldschatz-Bild, stand der Inktober Pate – und bei beiden Bildern hatte ich die spätere Überarbeitung mit Farbe bei der Zeichnung bereits mitgedacht. Gezeichnet habe ich in ein Stillman&Birn-Heft im seltenen quadratischen Format, die intensiven schwarzen Flächen sind mit dem Pentel-Pinselstift entstanden.