Mariä Reinigung 2

Nach dem zweiten Kerzenbild kam Maliki. Maliki4eyes, mit bürgerlichem Namen Marcella Trujillo Espinoza, ist eine chilenische Malerin und Grafikerin. Ich hatte auf Domestika (einer großen Online-Seminarplattform) ihren Kurs „Autobiografische Graphic Novel“ gebucht und hielt schon beim ersten Video den Atem an: Darauf hatte ich gewartet! Ihre Kombination aus magischem Realismus und einem handfesten Feminismus sprach mich genauso an wie die kluge, reflektierte und gründliche Art, in der sie ihre Informationen präsentierte.

So machte ich mich daran, das Thema in einer kleinen „Graphic Novel“ umzusetzen.

Ich versuchte, den Prozess der Entstehung dieser Idee zu visualisieren – der Spiegel im Spiegel im Spiegel. Mindestens drei der fünf Wochen brachte ich mit dieser Seite zu, mit der Blattaufteilung (dem „Storyboard“, wie man das nennt), mit Entwürfen für die Einzelbilder (das ging leider nicht ohne die Bildarchive des Internets) und ganz besonders mit dem Versuch eines freundlichen Selbstporträts (da half das Internet wenig).

Die Idee für dieses zweite Bild war zuerst da. Passenderweise wurde das Ganze – weitgehend – am Frauentag fertig, eine Bildmeditation über das Verhältnis von (weiblicher) Körperlichkeit und Spiritualität, von Körper und Seele, von Blut und Geist.

Ich habe bei diesem Projekt viel gelernt. Maliki sagt nicht umsonst in einem Nebensatz ihres Kurses, man solle eine Stunde wenigstens täglich zeichnen. Da ich das üblicherweise nicht tue, brauche ich um so länger für die einfachsten Motive, für ein kleines Selbstporträt, für die Haltung einer Hand, für einen Esel … Kreativität und Spontanität sind das eine, Übung und Fleiß das andere. Und es gibt noch ein drittes: ich will es Präzision nennen. Aus einem Gedanken ein Bild zu machen ist etwas anderes als diesen Gedanken in Worte zu fassen, doch es erfordert nicht weniger Genauigkeit.

Ich liebe Graphic Novels, und meine Schränke sind voll davon. Ich bewundere die Autoren und Autorinnen jetzt noch mehr als vorher. Bei diesem Projekt habe ich mich ganz bewusst an Malikis Stil orientiert, ich ahne jetzt – sehr entfernt – wie etwas aussehen könnte, das meiner Handschrift ähnelt.

Bevor ich damit beginne, werde ich mich an die tägliche Zeichenstunde erinnern.


Mariä Reinigung 1

Zu „Mariä Lichtmess“, vor nunmehr fünf Wochen, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Ich hatte angefangen, mich mit diesem seltsamen und fast vergessenen Feiertag zu beschäftigen und gleichzeitig nach Wochen eine erste Zeichnung geschafft – passenderweise eine Kerzenlaterne. Auch wenn die vordergründig gar nichts mit der Geschichte des symbolischen „Loskaufs“ eines Neugeborenen im Tempel zu tun hat. (Die Kerzen kamen erst später dazu, in Lichterprozessionen zu Ehren des „Lichts der Welt“, Christus.) Und was hat Maria damit zu tun?

Der Feiertag hat noch einen zweiten Ursprung, der sich in dem alten Namen „Purificatio Mariae“ – „Mariä Reinigung“ widerspiegelt. Eine Frau, die geboren hatte, galt als kultisch unrein und war vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, bis sie sich – frühestens nach 40 Tagen – einem Reinigungsritual unterzogen hatte.

Als Reaktion auf diese Erkenntnis entstand erst einmal dieses ganz unidyllische Bild von Advents- und Osterkerzen:

Und das war erst der Anfang, denn dann kam Maliki.


Mariä Lichtmess

Die Wende vom Januar zum Februar ist eine Landmarke im Jahreslauf: Die Sinuskurve der Taglänge wird schnell steiler; wer täglich zur gleichen Zeit aus dem Haus geht, durchmisst in einer Woche den Weg von der Dämmerung zur Helligkeit.

In dieser Zeit, am 2.Februar, in der Mitte des astronomischen Winters, liegt ein alter, fast vergessener christlicher Feiertag: Mariä Lichtmess. Schon der Name mag vielen, zumal norddeutschen Menschen sperrig und seltsam erscheinen; in eine moderne Sprache gebracht heißt er prosaisch „Marias Kerzengottesdienst“. Im katholischen Gottesdienst, in der Messe, wird an diesem Tag über die für das Jahr eingeplanten Kerzen der Segen gesprochen, sie werden geweiht. Dieser Brauch stammt aus einer Zeit, in der Kerzen ein wichtiges und kostbares Leuchtmittel waren.

Ein anderer Name des Feiertages verweist auf tiefere, frühere Schichten der Überlieferung: „Jesu Darstellung (oder Opferung) im Tempel“. Hier wird auf das in allen abrahamitischen Religionen geltende Verbot der Menschenopfer angespielt – der jüdische Erstgeborene wird symbolisch in den Tempel gebracht, Gott „dargeboten“ und ebenso symbolisch freigekauft. (Zu Zeiten Jesu zahlten seine Eltern zwei Tauben – woran man sieht, dass sie arme Leute waren -, im heutigen orthodoxen Judentum sind es spezielle Silbermünzen.)

Und dann ist da noch der Name „Mariä Reinigung“, und der wird gelegentlich ein eigenes Kapitel bekommen …


Heiterer Ernst

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.

Friedrich Schiller

Das Schweriner Staatliche Museum, eine hochkarätige Kunstsammlung, ist schon seit Jahren wegen eines umfangreichen Umbaus geschlossen. Vor lauter Grummelei darüber hatte ich übersehen, dass einige der hochkarätigsten Sammlungsstücke schon seit zwei Jahren im Schloss gezeigt werden. Nun habe ich es endlich geschafft, die Schweriner Urban Sketchers waren auf der Suche nach einem Winterzeichenort auf das Schloss gekommen.

Das Angebot an Zeichenmotiven ist überwältigend; selbst wenn man keinen Eintritt löst, kann man sich stundenlang mit dem spektakulären Treppenhaus und den Ausblicken in den Schlosshof beschäftigen. Ich hatte nach einem ersten Rundgang schnell mein Motiv gefunden.

Diese etwas über 30cm hohe Christusfigur ist ein Hingucker und, nach dem ersten Eindruck unfreiwilliger Komik, ein Rätsel. Aus dem Kontrast von kindlicher Körperform und hoheitsvoller Segensgeste erwächst uns heutigen eine schwer aufzulösende Irritation, zumal das Lächeln etwas karikatur- und buddhahaftes hat. (Auf meiner Zeichnung ist das etwas abgemildert umgesetzt.)

Tante Google hilft mit ihrer Bildersuche; später finde ich die Figur auch in einem dicken und lange nicht angesehenen Buch wieder. Im Hochmittelalter (und in katholischen Regionen bis in das 18.Jahrhundert) war das Einkleiden von Christusfiguren zur Weihnachtszeit in Nonnenklöstern weit verbreitet, die Figuren wurden – wie Anziehpuppen – nackt gefertigt und bekamen erst an ihrem Bestimmungsort Krone und Ornat. Diese Art von Gewändern hat die Zeitläufte kaum überstanden, daher ist das mit Hermelin verbrämte Mäntelchen des ehemals Rostocker Christkindes eine Rarität.

Diese Christusfigur ist ein Widerschein einer uns fremden, kaum noch einfühlbaren spätmittelalterlichen Frömmigkeit. In den antiklerikalen Erzählungen der letzten zweihundert Jahre erscheinen Nonnenklöster vor allem als Orte der Unterdrückung; dass sie auch Orte einer sehr spezifischen weiblichen Spiritualität waren, ist darüber fast in Vergessenheit geraten.

Allegorie des Sommers, Sandsteinfigur, etwa 100cm hoch.

Die Irritation über diese Figur stellte sich erst während des Zeichnens ein. Es sind insgesamt drei Kinder, die als Allegorien Frühling, Sommer und Herbst darstellen (der Winter sei gestohlen worden, als sie noch draußen standen.) Der „Sommer“ ist, ermüdet vom Schafehüten, im Stehen eingedöst, man vermeint das leise, etwas blubbernde Schnarchen eines pummeligen Kindes zu hören … Solche „niedlichen“ Kinder, die erwachsenen Beschäftigungen nachgehen, waren in der Alltagkultur (gemeinhin als Kitsch bezeichnet) noch bis ins späte 20.Jahrhundert weit verbreitet; als Nischenprodukte gibt es sie noch immer (z.B. als „Hummel“-Figuren).

Die Dissonanz zwischen der „erwachsenen“ bäuerlichen Tätigkeit und deren idyllisierender und verniedlichter Darstellung ist auf den ersten Blick nicht so stark wie die beim Anblick eines segnenden Säuglings im Hermelinmantel – doch erschien sie mir als ein Widerschein der kognitiven Dissonanzen, die frühmoderne und moderne Gesellschaften mit sich bringen (und die manchmal, um bei der Landwirtschaft zu bleiben, in Traktoren vor dem Brandenburger Tor ihren Ausdruck finden.)


The Universal Soldier (Eisenach 2)

Mauritius war, so erzählt die Legende, um das Jahr 300 n.Chr. Kommandeur einer aus Nordafrika stammenden römischen Legion. Die mehrheitlich christlichen Männer wurden nach Europa versetzt, um im Gebiet der Westalpen gegen die dortige christliche Bevölkerung eingesetzt zu werden; als sie sich weigerten, richtete man sie hin. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist heute nicht mehr nachprüfbar, doch bekam sie bald ein Eigenleben – Wunder geschahen, Kirchen wurden errichtet und irgendwann war der Heilige zum Schutzpatron von Kaiser und Heer geworden. Und schwarz. Man begann sich den aus Ägypten stammenden Offizier als einen Schwarzen Menschen vorzustellen, mit deutlich schwarzafrikanischen Gesichtszügen. In dieser Gestalt wurde er an vielen Orten verehrt, die erste Darstellung eines Schwarzen im Deutschland des Mittelalters findet sich im Magdeburger Dom.

Da der heilige Mauritius auch der Schutzheilige der Salzsieder ist, begegnet man ihm in Thüringen allerorten. So fand ich ihn in Eisenach in der ehemaligen Predigerkirche, in einer Ausstellung mittelalterlicher Schnitzplastik. Die meisten Exponate sind unrestauriert, in dem Zustand, in dem man sie aus renovierungsbedürftigen Dorfkirchen und modrigen Sakristeien geborgen hat.

Heiliger Mauritius, Hans Gottwald von Lohr, 1510

Ich sah die Skulptur im harten Licht eines Punktstrahlers, versehrt, ohne Hände und Füße, Gesicht und Rumpf von langen Rissen gespalten; ein passenderer Zustand wäre nicht denkbar gewesen für den Heiligen der Heere. Und ich erinnerte mich an das Lied aus den frühen 60ern, nur wenig jünger als ich.

He’s five-foot-two and he’s six-feet-four
He fights with missiles and with spears
He’s all of thirty-one and he’s only seventeen
He’s been a soldier for a thousand years …

Buffy Sainte-Marie

(Vor Ort machte ich im Stehen zwei kleine Skizzen, die mir später ungelungen schienen, so entstand dieses Zeichnung zu Hause.)


Rückblick: Eisenach

Seltsamerweise war ich 2023 drei Mal in Eisenach. Zuerst, Ende April, ein Abstecher von der Werra-Tour, als Nachlese dazu ein paar Stunden im September und zum guten Schluss einige Seminartage (samt angehängtem Wochenende) im November. Gezeigt habe ich davon bisher nur ein Frühlingsbild.

Im September saß ich bei strahlendem Sonnenwetter zwischen vielen Menschen auf dem Marktplatz und zeichnete, was ich in dieser Woche überall zeichnete: Fachwerk. Zu mehr kam ich an diesem Tag nicht.

Im November war mehr Zeit. Zuerst für den Blick aus meiner Hotellobby:

Ich hatte in diesen Tagen auch Muße für einiges, was die Stadt an Museen zu bieten hat. Mein Favorit war das Bachhaus, in dem ich mehrere Stunden zubrachte. Ein klug präsentierter Wissensschatz, untermalt von Bachscher Musik an zahlreichen Hörstationen, und als Höhepunkt eine kleine Präsentation von Originalinstrumenten.

Dieses kleine Aquarell entstand auf der Grundlage einer flüchtigen Bleistiftskizze und eines Fotos.


Nach Weihnachten

.. dass alle uns umgebenden Dinge narrativ aufgeladen waren: ihre Geschichte seit ihrem Eintritt in unsere Familie war bekannt, gehörte zu ihnen und wurde immer wieder erzählt. Das erschwerte es, sich von ihnen zu trennen und unterschied uns noch mehr von den Trägern der Wegwerfgesellschaft, denen vor allem eines fehlte: die Fähigkeit zum ‚Lesen‘ der Bedeutung der Dinge in ihrem Leben.

Rolf-Ulrich Kunze, Das halbe Jahrhundert meiner Eltern

Als kürzlich ein profilneurotischer Politiker den Weihnachtsbaum zum Teil der deutschen Leitkultur erklärte, lachte das halbe Land über ihn. Und wirklich: der Herr hat vermutlich weder an globalisierte Plastikbäume nach Disney-Art gedacht noch an die zahlreichen anderweitigen Bräuche rund um grüne Zweige, an Stechpalme, Mistel und Efeu … (Stammt der Herr nicht aus dem Sauerland, wo die ausgedehntesten Weihnachtsbaumplantagen Deutschlands beheimatet sind? Vielleicht hat er deshalb den Wald vor lauter Tannenbäumen nicht gesehen.)

Mitte Januar ist Weihnachten endgültig vorbei, die Wohnung ist einmal durchgelüftet und auf den Fensterbrettern stehen Hyazinthen und Amaryllis. Den Weihnachtsbaum habe ich am letzten Sonntag abgebaut, am Tag nach Epiphanias, und drei Schmuckstücke zum Zeichnen zurückbehalten.

Ich gebe es zu: der Echte-Kerzen-Strohsterne-Typ bin ich nicht. An meinem Tannenbaum darf es kitschig zugehen, altmodisch und naiv, was sich jenseits aller Logik gut mit den elektrischen Kerzen verträgt, die mein technikaffiner Großvater schon vor knapp hundert Jahren, kurz nach ihrer Erfindung, zum familiären Standard gemacht hatte.

Drei Lieblingsstücke, die nicht alle so alt sind, wie sie aussehen.

Die Kugel mit dem geprägten Muster ist eine Erinnerung an den „Formost“-Laden, der vor etwa einem Jahr aus dem Schweriner Stadtbild verschwand und mit ihm drei Schaufenster voller Bollhagen-Geschirr, erzgebirgischer und Thüringer Weihnachtskunst. Sie stammt aus einer Thüringer Manufaktur, wo sie nach alten Mustern geblasen wurde.

Das Wachsherz kam aus dem Benediktinerinnen-Kloster „Maria Frieden“ am Obermain; es war der kleinste Gegenstand in dem Klosterladen und passte 2015 noch in meinen Pilgerrucksack. In dem Kloster leben einige uralte philippinische Nonnen und vermutlich hat eine von ihnen das Herz gefertigt. (In dem Kloster habe ich zum ersten Mal benediktinische Tagzeitengebete gehört, trotz der dünnen Nonnenstimmen eine lange nachschwingende Erfahrung.)

Das älteste Stück ist der Rauschgoldengel. Er war schon immer da, mindestens fünfzig Jahre, vielleicht sechzig oder siebzig, und das Goldpapier hat sich überraschend gut gehalten. Nur die Krone ist ein bisschen zerknittert. Wie er einst in unseren Haushalt kam, kann er nicht berichten.


Im Zoo

Letztes Wochenende waren die Schweriner Urban Sketchers im Zoo. Oder sagen wir mal: die, die nicht mit Fieber im Bett lagen. Ich war gerade wieder auferstanden, ein bisschen wacklig noch fragte ich mich, wie das wohl bei dem Wetter werden würde. Es wurde. Schön.

Zuerst einmal: es war still. Außer uns waren kaum mehr als fünf Familien auf dem Gelände. (Wir waren auch nur zu viert.) Und es gab Löwen. Vor einigen Jahren ist in Schwerin eine neue, hochmoderne Löwenanlage gebaut worden, in der ein kleines Rudel Asiatischer Löwen lebt. In freier Wildbahn gibt es nur noch 350 von dieser Unterart; sie leben in einem indischen Nationalpark. Um so größer ist die Freude über den Löwennachwuchs; die zwei älteren, jetzt fünf Monate alten Löwenjungen konnten wir durch die großen Panoramascheiben ausgiebig beobachten. (Die jüngeren sind gerade erst geboren und von der Öffentlichkeit noch abgeschirmt.)

Die Löwenjungen wuselten durch das Gehege, sprangen auch mal durch die extragroße Katzenklappe nach draußen in den Schnee – da habe ich mich zum Zeichnen an den Löwenkater Shapur gehalten, der seinen Nachwuchs mit königlicher Gelassenheit im Auge behielt.

Auf dem Heimweg machte ich noch eine kleine Bleistiftskizze am Warmhaus der Flamingos. Zu Hause kam noch ein bisschen Farbe dazu, eher atmosphärisch als genau.


Pilze

Pilze gab es im Blog lange nicht mehr. Zwar war ich den ganzen Herbst über, mal mehr, mal weniger erfolgreich, in den ausgedehnten Wäldern um Schwerin unterwegs gewesen, doch hatte die freie Zeit meist gerade zum Bestimmen gereicht. (Dazu war eine geführte Pilzwanderung in Thüringen gekommen, fünfzig Pilzarten konnte ich dabei fotografieren und beschriften.)

Gestern stimmte nun endlich alles: Bei schönstem Herbstwetter zog ich mit Korb und Messerchen in ein pilzreiches Waldgebiet, das ich erst vor kurzem entdeckt hatte. Korb und Messerchen bedeutet auch: ich sammle, wenn ich es denn finde, vorrangig Bekanntes für die Pfanne. Der Plan ging auf; nebenbei nahm ich nur einige wenige besondere „Bestimmlinge“ mit. Zu Hause sortierte ich, putzte, briet und dünstete und legte nur eine kleine Auswahl der essbaren Pilze zum Zeichnen beiseite.

Besondere Freude hatte ich an den rotmilchigen Reizkern. Der lateinische Begriff für die Sektion (so heißt das bei den Pilzen) der Reizker ist „deliciosi“, „die Köstlichen“, das sagt schon alles. (Das Wort „Reizker“ kommt aus dem slawischen und bedeutet „der Rote“ zB. russisch Рыжик, Ukrainisch Рижик, Tschechisch Ryzyk) Fichtenreizkern sagt man im Gegensatz zu den Edelreizkern Madenbefall und einen bitteren Nachgeschmack nach; beides konnte ich bei meinen nicht finden. Besonders lustig fand ich den grünspangrünen Minipilz am Fuße des größeren.

Er behielt seine Farbe bis zum nächsten Tag, im Gegensatz zu den Violetten Rötelritterlingen, die heute schon völlig verblasst waren. Den Heringstäubling erkannte ich am Geruch, unüberriechbar nach altem Fisch.


Treffurt II

Vor knapp zwei Wochen bin ich aus Treffurt Richtung Hannoversch Münden gefahren, nach Norden, Richtung Heimweg. (Zwei Tage lagen noch vor mir.) Es war der dritte Oktober, Feiertag, der Ort noch stiller als am Vortag (wenn das möglich ist) und in einer seltsamen Wetterlage mit warmem Südweststurm und aufziehendem Regen gefangen. Ich war zur Kirche hochgefahren, ich umkreiste sie wie am Vortag auf der Suche nach einem Zeichenblick, den ich, bei extremer Hanglage und verwinkelter Bebauung, nicht fand, ebensowenig wie eine geöffnete Kirchentür.

So wurde es wieder einmal Fachwerk, gebeugt und geneigt, bescheidener als die großen Bürgerhäuser um den Marktplatz herum.

In dem seltsamen Wetter verzogen sich noch einmal die Wolken, mit eins saß ich in der stechenden Sonne und machte mich schnell davon, den Hügel hinunter, mit einem halbfertigen Bild; heute habe ich die Farbe ergänzt. (Und das schöne Breitformat dazu genutzt, endlich mal einen neuen Seitentitel einzuziehen, so dass es nun gleich zweimal da ist.)

Kurz oberhalb des Marktplatzes, in der einzigen Straße, die ich noch nicht abgelaufen war, fand ich den Kirchenblick. Das Türmchen, das hinter dem Kirchenschiff hervorlugt, gehört zur Burg Normannstein, die etwas höher am Hang steht und früher über die drei Furten des Ortes Treffurt (Drei-Furt) gewacht hatte.