Das Leuchten der Dinge
Veröffentlicht: 17. Januar 2022 Abgelegt unter: Alltag, Dinge, Herkunft, visuelles Tagebuch | Tags: 60er Jahre Ein Kommentar… dass alle uns umgebenden Dinge narrativ aufgeladen waren: ihre Geschichte seit ihrem Eintritt in unsere Familie war bekannt, gehörte zu ihnen und wurde immer wieder erzählt. Das erschwerte es, sich von ihnen zu trennen und unterschied uns noch mehr von den Trägern der Wegwerfgesellschaft, denen vor allem eines fehlte: die Fähigkeit zum ‚Lesen‘ der Bedeutung der Dinge in ihrem Leben.
Rolf-Ulrich Kunze „Das halbe Jahrhundert meiner Eltern“
Seit einigen Jahren steht der alte Schreibtisch meiner Mutter in meinem Arbeitszimmer. Kein wuchtiges Herrenzimmer-Trumm, nein, ein zierliches Möbel im jetzt wieder so modernen Stil der Mitte des 20. Jahrhunderts. Er ist mit einem honigfarbenen Holz furniert und hat unpraktische, spitz zulaufende, schwarz lackierte Metallfüße. Im Universum meiner Wohnung nahm er einen eher ungeliebten Platz ein: hierhin setzte ich mich für Buchhaltungsangelegenheiten, Amtskorrespondenz und all jenen anderen halbprivaten Schreib- und Zettelkram, den man so gern vor sich herschiebt.
In der letzten Woche habe ich begonnen, das Arbeitszimmer aufzuräumen und mich dabei zuerst dem Raum rund um den Schreibtisch zugewandt. Ich habe das Büroklammergerümpel und die gelben Zettelchen in eine Schublade verbannt und den alten Brieföffner meiner Mutter (warmtoniges Holz in einer leichten, feinpolierten Holzschale) aus einer entlegenen Kiste geholt.

Die fünf bis sieben nichtschreibenden Kugelschreiber kamen in den Müll, wurden durch zwei funktionierende Verwandte ersetzt, um in einer Birkenholzschachtel (von schöner Honigfarbe, was sonst) anstelle des alten Senfglases ihr neues Zuhause zu finden. Bleiben durften der geschliffene graue Ammonit (dessen Bedeutung zu erläutern hier nicht der Ort ist) und die Schutzmantelmadonna, die mir einst ein leider vor vielen Jahren verlorener Freund geschnitzt hatte und die ich vor langer langer Zeit mir selbst zur Ermutigung bemalte. (Wusste ich damals noch nicht, dass Madonnen blaue Mäntel tragen?)
Und dann sind da natürlich noch die Computermaus, handschmeichelnd und nützlich, wenn auch leider nicht von der Haltbarkeit ihrer Nachbarn, und das warme Licht, das keineswegs von einer Kerze kommt, sondern aus modernen LEDs, deren Lichtfarbe und Helligkeit sich meinen Bedürfnissen anpassen lassen. In diesem Fall dem der Erinnerung: Willkommen in der Gegenwart.
Was für wunderbare Dinge…Was es mit dem Ammonit auf sich hat, wüsste ich gern, doch das gehört ja nicht hierher…
Gruß von Sonja
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