Stralsund im Regen, Teil 2, Donnerstag

Zum Zeichnen war ich nach Stralsund gekommen, und nun regnete es schon den zweiten Tag! Das Stadtmuseum war geschlossen und die beiden Meeresmuseen überfüllt – aber es gelang mir, die Kellnerin eines strategisch günstig gelegenen Frühstückscafés zu überreden, mich auch draußen unter dem Schirm zu bedienen. So kam ich zu einer Zeichnung der berühmten Stralsunder Rathausfassade.

Die Schaufassade des Stralsunder Rathauses. Den Regen habe ich mit viel Farbe weggehübscht.

Das Rathaus grenzt direkt an die St.Nikolai, die Haupt-, Bürger, Kauf- und Seemannskirche der Hansezeit. Von der reichhaltigen Ausstattung ist noch viel erhalten und gibt eine Ahnung davon, dass eine solche Kirche neben der spirituellen auch eine praktische Bedeutung für die Bürger der spätmittelalterlichen Hansestadt hatte.

Ein ganz besonderes Zeugnis davon sind die hözernen Reliefs des „Gestühls der Rigafahrer“. In dieser Kaufmannsbruderschaft waren Kaufleute organsiert, die sich auf den Nordosthandel spezialisiert hatten – der von Stralsund vorwiegend über Riga abgewickelt wurde.

Die Reliefs waren ursprünglich Rückseiten des Gestühls der Rigafahrerkapelle – solche halbprivaten Kapellen gab es in Stadtkichen die Menge, in ihnen wurden Messen für die Auftraggeber gelesen, aber auch Versammlungen abgehalten und Verträge geschlosen.

Dennoch ist es bemerkenswert, dass diese geschnitzte Graphic Novel nicht einmal andeutungsweise versucht, eine biblische Geschichte zu erzählen. Auf den vier annähernd quadratischen, knapp einen Meter hohen Tafeln sind vielmehr Szenen aus der russischen Pelztierjagd und Waldimkerei dargestellt. Sie lassen sich hintereinander betrachten wie eine fortlaufende Bildergeschichte. An deren rechtem Rand, auf meinem Ausschnitt nicht dargestellt, nimmt ein Stralsunder Kaufmann vor der Kulisse der Stadt Riga die Handelsware in Empfang.

Die gejagten Tiere sind offensichtlich Eichhörnchen, deren Winterfell eine begehrte Handelsware bildete. Der Künstler stellt Haar- und Barttrachten sowie die Abläufe der Jagd mit bemerkenswerter Sachkenntnis dar – so weiß er zum Beispiel, dass die Tiere, und die wertvollen Bälge zu schützen, mit stumpfen Pfeilen von den Bäumen geschossen wurden. Nur in einem irrt er – Pelztierjagd findet natürlich im Winter statt.

Die zweite begehrte Ware war Wachs – der ganz rechte Händler trägt einen Klumpen in der Hand. Erstaunt habe ich erfahren, dass der Honig in jener Zeit eher ein Nebenprodukt war. Die Waldbienenhaltung, die sogenannte Zeidlerei, ist in Deutschland in all den Gebieten verbreitet gewesen, die ursprünglich slawisch besiedelt waren.


2 Kommentare on “Stralsund im Regen, Teil 2, Donnerstag”

  1. I really like the color choice and looseness of the buildings.

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